BILANZ: Tweedy, Browne richtet ihre Anlagekriterien nach den bald 80 Jahre alten Value-Grundsätzen von Benjamin Graham aus (siehe «Klassenprimus» unter 'Weitere Artikel'). Ist dieses Geschäftsmodell heute noch sinnvoll?
William Browne: Schauen Sie die Wertentwicklung unserer Fonds an. Wir haben auch in den letzten zehn Jahren eine positive Rendite erzielt. Grahams Regeln werden eher wieder an Bedeutung gewinnen.
Wieso das?
Mit der Finanzkrise ist eine lange Periode zu Ende gegangen, in welcher sich die Entwicklung der Aktienkurse vom Wert der Unternehmen abgekoppelt hatte. In Zukunft werden Substanz und Ertragslage der Unternehmen für die Aktienbewertungen wichtiger. Und darauf basieren die Kriterien von Benjamin Graham.
Worauf führen Sie die gegenwärtige Verunsicherung an den Börsen zurück?
Die Turbulenzen sind die Folge eines Wandels. Die USA als militärische Macht und der Wohlstand in Europa werden durch die aufstrebende Wirtschaftsmacht Chinas in Frage gestellt. Zudem bremst der Abbau von Schulden bei den Konsumenten in den USA und den Staatshaushalten in Europa die Wirtschaft.
Ist also mit tieferen Aktienrenditen zu rechnen?
Ich glaube nicht, dass sich Anleger mit einer solchen Perspektive zufriedengeben. Es wird darum wieder zu Übertreibungen und Crashs kommen. Die Kriterien von Benjamin Graham helfen, die Übertreibungen zu erkennen und günstig bewertete Aktien zu finden.
Finden Sie in diesem Umfeld noch attraktive Anlagemöglichkeiten?
Wir sehen vielleicht noch eine Handvoll attraktiver Aktien, im Frühling 2009 gab es davon jedoch korbweise. Die meisten Aktien sind inzwischen fair bewertet, einige sogar schon zu teuer.
Wann verkaufen Sie Anteile?
Wenn die Aktie im Vergleich zu ähnlichen Unternehmen des Sektors oder gemessen an den Kennzahlen nicht mehr unterbewertet ist. Wir können aber mit dem Verkauf auch zuwarten, solange das Wachstum intakt ist. Zahlreiche Positionen halten wir über Jahre. Pro Jahr werden nur etwa 20 Prozent des Portfolios unserer Fonds verändert.
Sie führen einen Fonds in Franken und einen in Euros. Wie beurteilen Sie die Zukunft des Euro?
Wir betreiben keine Währungsspekulation, sondern sichern nur die Währungsrisiken für unsere Kunden ab. Aber schauen Sie mal zurück, worüber noch zu Jahresbeginn diskutiert wurde. Da wurde in Erwägung gezogen, den Ölpreis nicht mehr in Dollars, sondern in Euros anzugeben. Niemand zweifelte an der Stärke des Euro. So schnell hat sich die wirtschaftliche Situation nicht verändert, die eine solche Wende rechtfertigen würde.
Was dann?
Der Herdentrieb. Viele verschulden sich jetzt mit tiefen Zinsen im Euro und legen das Geld in starken Währungen mit hohen Zinsen wie dem australischen Dollar an. Solche Carry Trades sind aber äusserst riskant. Die Stimmung kann rasch kippen, wie wir ja nun gesehen haben.
Wie stark sind die Auswirkungen für die Schweizer Firmen, wo Sie zahlreiche Beteiligungen halten?
Viele sind global stark vernetzt und profitieren vom Wachstum in den Schwellenmärkten. Diese Firmen müssten ihren Sitz und ihre Kotierung nicht mehr zwingend in der Schweiz haben. Sie können die Währungsschwankungen erfolgreich ausgleichen. Schliesslich sind nicht alle Währungen gegenüber dem Franken schwächer geworden. Im Fokus sind vor allem Euro und Pfund.
Auf das Medienhaus Tamedia, an dem Ihre Fonds Aktien halten, trifft das kaum zu.
Tamedia ist ein wunderbares Unternehmen, sollte aber gar nicht kotiert sein. Ein Rückzug über ein Going private würden wir sehr begrüssen.
Wieso?
Die Aktien werden kaum gehandelt. Das Unternehmen braucht die Börse gar nicht, um Investitionen zu finanzieren.
Und was entgegnet der Verwaltungsrat?
Sie möchten den Dialog zu Investoren wie uns führen. Doch dazu müssen die nicht an der Börse sein. Sie können mich auch so jederzeit anrufen.
Was gefällt Ihnen generell an Medienhäusern wie Tamedia oder Axel Springer? Zu letzterem gehört ja die BILANZ.
Durch das Internet findet ein Kulturwandel in der Informationsverarbeitung und -nutzung statt. Das Potenzial der neuen Medien mit dem herkömmlichen Geschäft erfolgreich zu verbinden, gelingt diesen Firmen besonders gut.
Auch die Aktien von Axel Springer sind nicht sehr liquid.
Wir erwarten, dass sich das bald ändern wird und der Free-Float steigt.
In der Schweiz wird bald abgestimmt, ob Aktionäre die Saläre von Verwaltungsrat und Management genehmigen müssen. Wie finden Sie das?
Das ist sicher sinnvoll. Im Vergleich zu den USA sind die Bonuszahlungen in Europa aber sehr bescheiden. Wichtiger finden wir, wenn in der Schweiz die verschiedenen Aktienkategorien abgeschafft würden. Sie führen zu ungleichen wirtschaftlichen Zielsetzungen.
Sie haben sich erfolgreich gegen die Übernahmeangebote bei SIG und Forbo zur Wehr gesetzt. Wie aktiv nehmen Sie Einfluss als Aktionär?
Wenn wir der Meinung sind, dass die Interessen des Managements den Interessen des Unternehmens und der Aktionäre zuwiderlaufen, setzen wir uns zur Wehr. Keinesfalls sehen wir uns aber als Aktivisten, die über unsere Beteiligungen den schnellen Profit auf Kosten der Substanz eines Unternehmens suchen.
Wie investieren Sie als Value Investor in Schwellenmärkten?
Inzwischen halten wir mehr als ein Drittel unserer Beteiligungen in diesen Wachstumsmärkten. Aber zum grössten Teil indirekt über Firmen in den Industrieländern, die von diesem Wachstum profitieren. Direkte Anlagen haben wir nur wenige, weil die Vielfalt an liquiden Aktien und transparenten Firmen für unsere Standards noch ungenügend ist.
Befürchten Sie in China einen Crash?
Das ist schwierig zu beurteilen, weil die Kennzahlen und wirtschaftlichen Daten nur beschränkt vertrauenswürdig sind. Daher gehen auch die Einschätzungen weit auseinander. Ich denke, dass der Aufschwung breit abgestützt ist und sich nicht zurückdrehen lässt. Vereinzelt können Spekulationsblasen entstehen und platzen. Das Wachstum bleibt aber intakt.
Welche Sektoren meiden Sie?
Bei Rohstoffaktien fehlt uns die Möglichkeit, nach unseren Kriterien Firmen zu finden, die im Sektorvergleich besonders günstig und auch wachstumsträchtig sind. Sicher steigt der Bedarf an Rohstoffen. Aber letztlich für alle gleich. Und eine Tonne Kupfer kostet bei Firma A gleich viel wie bei Firma B.
Und die Finanzbranche, wo die die Regulierung verschärft wird? Welche Auswirkungen sind davon zu erwarten?
Die Finanzbranche hat das Vertrauen in selbstregulierende Marktkräfte verspielt. Die Vorschriften werden verschärft. Bisher unregulierte Märkte vor allem bei den alternativen Anlagen werden durch neue Gesetze transparenter. Unter einfacheren Produkten und mehr Transparenz werden jedoch die Profite der Banken, vor allem der Investmentbanken, leiden. Wir kaufen deshalb weiterhin keine Bankaktien, trotz der günstigen Bewertungen.
Profitieren Sie von neuen Vorschriften wie dem Verbot von ungedeckten Leerverkäufen?
Dadurch sollten schliesslich die Aktienmärkte stabiler und weniger volatil werden. Wertschwankungen werden durch Ereignisse wie rapid ansteigende Prämien für Kreditversicherungen ausgelöst, nicht durch Vorschriften. Und Leerverkäufe sind für die Aktienmärkte wichtig. Sie sorgen für mehr Liquidität und reduzieren Überbewertungen.
Lag Warren Buffett mit dem Kauf von Bankaktien falsch?
Sie müssen sehen, dass Warren Buffett lukrative Geschäfte zu äusserst günstigen Konditionen angeboten werden. Eine zweistellige Rendite ist ihm schon beim Einstieg sicher.
Worin unterscheiden Sie sich?
Abgesehen von der Grösse konzentriert er sich stärker auf einzelne Beteiligungen und setzt mehr auf die Qualität des Managements. Bei uns steht die Perspektive eines Unternehmens im Vordergrund, und wir sind breiter diversifiziert.
Würden Sie Tweedy, Browne auch heute noch starten?
Auf jeden Fall. Dieses Geschäft ist noch immer faszinierend. Wir sind ein überschaubares Team geblieben mit einem klaren Konzept, das sich in der Finanzkrise einmal mehr bewährt hat.
Was sind die wichtigsten Tugenden in diesem Geschäft?
Ehrlich und verantwortungsvoll zu handeln. Mit Kontinuität und Treue zum Geschäftsmodell entsteht über Jahre schliesslich ein unverwechselbares Firmenprofil.
Welche Wirtschaftspersönlichkeit hat Sie am meisten beeindruckt?
Unser inzwischen 92-jähriger Büropartner Walter Schloss. Als mein Vater 1978 zurücktrat, legte er mir nahe, Walter nie eine Miete zu verlangen und stets seine Anlagetipps zu befolgen. Wann immer ich diese anzweifelte, lag ich falsch.
Ihr bisher bester Anlageentscheid?
Der fällt mir spontan nicht ein. Aber meinen schlechtesten kann ich Ihnen verraten: Als ich 1970 meine wunderbare Frau heiratete, schenkte uns mein Vater Aktien von Berkshire Hathaway. Leider verkaufte ich diese Aktien sogleich, um unsere Hochzeitsreise bezahlen zu können.