Sein Präsidentenbüro an der Zürcher Bahnhofstrasse wird umgebaut, wir treffen Axel Weber am neuen provisorischen UBS-Hauptsitz am Talacker, wo er im fünften Stock sein Büro hat - zwei Etagen über CEO Sergio Ermotti. Er redet schnell, mit dem leichten Einschlag seiner pfälzischen Heimat, ist kaum zu unterbrechen. Es ist sein erstes Interview mit der Schweizer Presse seit der Wahl Donald Trumps.

Kurz vor Trumps Amtsantritt gaben Sie sich optimistisch für 2017 - es gebe nur ein grosses Risiko: dass der neue Präsident seine Ankündigungen auch tatsächlich umsetze. Jetzt scheint er das zu tun. Ist Ihr Optimismus verflogen?
Axel Weber*: Nicht verflogen, nur verschoben.

Warum?
Die Sequenz, mit der der neue Präsident seine Ankündigungen umsetzt, kann kurzfristig einen negativen Effekt haben. Ich ging bis jetzt davon aus, dass er die Steuersenkungen und Infrastrukturinvestitionen in der Wirtschaftspolitik als Priorität behandeln würde.

Danach sieht es nicht aus.
Er benötigt dafür beide Kammern des Kongresses, deshalb lässt sich das nicht in den ersten fünf bis zehn Monaten umsetzen. Per Dekret angekündigte Handelseinschränkungen können dagegen einen viel schnelleren Effekt haben. Es droht also eine Durststrecke, bis die Steueranreizprogramme greifen.

Wie trocken wird die Durststrecke?
Handelsrestriktionen treiben die Preise in die Höhe, Importe aus dem Ausland werden teurer, und die Inflation steigt. Dadurch erhöht sich der Druck auf die US-Notenbank für eine Zinserhöhung. Dann käme es kurzfristig zu einer Abschwächung der Konjunktur.

Die optimistischen Prognosen zu Jahresbeginn taugen also schon nichts mehr?
Wir befanden uns über mehrere Jahre in einem sehr schwierigen Konjunkturumfeld. In den letzten fünf Jahren hat der IWF bei seinen Jahrestagungen stets seine Prognose nach unten korrigieren müssen, gleichzeitig aber betont, dass es nächstes Jahr besser werde. Das ist dieses Mal nicht passiert. Ende 2016 hat der IWF zum ersten Mal die Prognose nicht nach unten revidiert, vielleicht wird er sie sogar nach oben korrigieren. Das ist ein Wendepunkt in der globalen Wirtschaftsdynamik. Mittelfristig bin ich daher nach wie vor optimistisch. Doch kurzfristig ist diese konjunkturelle Kehrtwende bedroht.

Bewährte Gewissheiten gelten nicht mehr.
Es weht ein stärkerer Gegenwind gegen die Globalisierung. Als globaler Konzern macht uns das Sorgen. Das Spezielle ist, dass sich die bisher so international ausgerichteten USA an die Spitze setzen. Aber auch in Europa ist die Gefahr gross: Der Brexit ist ein Rückschritt für die EU, in Frankreich, Italien, den Niederlanden und Deutschland legen die Anti-Globalisierungs-Bewegungen zu, wie nicht zuletzt auch in der Schweiz.

Bisher waren multinationale Konzerne wie die UBS im Visier der Linken. Jetzt hat sie Trump an den Pranger der Rechten gestellt.
Nein, die Kritik zielt vor allem auf US-Unternehmen, die Profite an steuergünstige Standorte verlagert haben. Setzt Trump seine Steuerreform wie geplant um, entsteht ein sehr wettbewerbsfähiges Steuersystem, und der Druck auf andere wird steigen. Mit mehr als 20'000 Mitarbeitern in den USA sind wir dort sehr stark und profitabel. Vom möglichen Wachstum der amerikanischen Wirtschaft würden wir also profitieren. Aber als global führender Vermögensverwalter wollen wir auch weiterhin in Europa und Asien Erfolg haben. Es ist für uns sehr wichtig, dass Dienstleistungen, Kapital und Mitarbeiter sich frei bewegen können. Dieser globale Ansatz steht jetzt unter Druck.

Sie verschieben Mitarbeiter von London in die EU. Wie sieht Ihre Planung für den Brexit genau aus?
Wir haben 5500 Mitarbeiter in London. Etwa 1000 sind in Geschäften tätig, für die ein EU-Standort nötig ist. Dieser Teil wird sich im schlimmsten Fall ohne Marktzugang in der EU neu aufstellen müssen. Es ist aber durchaus auch denkbar, dass es eine Lösung gibt, bei der deutlich weniger Beschäftigte umziehen müssen. Für die Vermögensverwaltung haben wir unsere Europa-Bank bereits in Frankfurt konzentriert.

Die Briten wollen den Brexit unbedingt zum Erfolg führen und deshalb auf Deregulierung setzen, in den USA will Trump das Banken-Regelwerk Dodd-Frank Act abschwächen. Muss die Schweiz stärker deregulieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Zunächst einmal: Die Renationalisierung führt zu einem Auseinanderdriften der globalen Regeln. Es wird immer mehr unterschiedliche Regeln in unterschiedlichen Ländern geben. Uns betreffen weltweit jedes Jahr neu etwa 50'000 Regulierungen, rund 130 pro Tag. Das wird weiter zunehmen und ist immer mit Kosten verbunden. Wir müssen diese Regeln erfüllen, bevor wir Geschäfte machen können.

Aber dennoch: Die Schweiz leistet sich die härteste Bankenregulierung der Welt. Ist das nicht ein Nachteil für den Finanzplatz Schweiz im Wettbewerb mit London und New York?
In der frühen Phase direkt nach der Finanzkrise war es richtig, diese neue Regulierung auch in der Schweiz voranzutreiben. Die «Too big to fail»-Lösung wurde von uns und der CS mitverhandelt, und wir kamen auf einen richtigen und guten Nenner.

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Die USA haben nicht einmal die Kapitalvorschriften von Basel III akzeptiert, in Europa diskutiert man bereits über Basel IV.
Die US-Notenbank-Präsidentin Janet Yellen hat einen Brief von Senatoren erhalten, in dem ihr diese nahelegen, zurzeit keine weiteren Abschlüsse mit ihren internationalen Partnern zu unterschreiben. Die Finalisierung von Basel III in den USA wird möglicherweise auf lange Zeit verschoben. Das bedeutet eine weiter andauernde Unsicherheit. Wir wissen effektiv nicht, wo die Standards landen werden.

Eben: Die Angelsachsen fahren die Regulierung zurück.
Wir sehen in den USA und Grossbritannien in der Tat einen Rollback dieser Regeln. In der Schweiz haben wir mit unserem schnell eingeführten Swiss Finish versucht, wie ein guter Fussballspieler den Ball dorthin zu spielen, wo wir erwarteten, dass das internationale Umfeld landen würde. Jetzt stellen wir fest, dass dieses Umfeld nicht in die erwartete Richtung geht, sondern dass wir sogar eine Absenkung der bereits verhandelten internationalen Standards sehen. Wenn man klug reguliert, muss man auf diese Änderungen reagieren. Das heisst: Sollten die internationalen Standards nicht dort enden, wo wir sie noch vor zwei Jahren erwartet haben, sollte man auch mit dem Schweizer Standard nicht deutlich über die internationalen Regeln hinausgehen.

Das tut man doch schon.
Nichts ist in Stein gemeisselt.

Sie plädieren für eine Revision des «Too big to fail»-Regimes?
Es gibt Review-Klauseln in den «Too big to fail»-Regeln. Die zweite Version war nichts anderes als eine Überprüfung nach zwei Jahren, ob sich das Umfeld tatsächlich in diejenige Richtung entwickelt, wie man es erwartet hat. Das war der Fall. Doch in den Empfehlungen der Brunetti-Kommission, der ich angehöre, ist auch festgehalten, dass man sich die Entwicklung stets vor dem Hintergrund des internationalen Umfelds anschauen muss.

Fühlen Sie sich auch von der Finma zu hart angefasst?
Die Zusammenarbeit ist gut. Differenzen bei konkreten Auslegungsfragen gibt es zwischen einer Bank und dem Regulator immer. Was wir allerdings besonders bei internationalen Regulatoren feststellen, ist eine Änderung der Philosophie. Nicht mehr die Wahrscheinlichkeit von Szenarien steht im Vordergrund, sondern vielmehr der von den Regulatoren für möglich gehaltene Stress. Auch ist nicht immer klar, welche Art von Kapitalstandards angewendet wird: Mindeststandards oder Puffer für Stressresistenz? Wir werden heute schon daran gemessen, wie wir Standards unter Maximalbedingungen und Stress erfüllen. Dabei müssen wir deutlich über internationale Standards hinausgehen, um für Extremsituationen gewappnet zu seien. Das ist international ein Nachteil für uns. Unsere Eigenkapitalquote liegt bei 13,8 Prozent, internationaler Standard sind 10 Prozent. Als maximaler Puffer für Stresssituationen machen Quoten oberhalb von 13 Prozent Sinn, als Ziel für eine durchschnittliche Eigenkapitalunterlegung macht das aber keinen Sinn mehr.

Es gibt also eine Willkürmarge der Finma, wie stark sie den Stresstest festlegt?
Ich würde diesen Ausdruck nicht benutzen, aber nationale Regulatoren haben einen gewissen diskretionären Spielraum jenseits der Minimalanforderungen ... Grundsätzlich ist eine Umsetzung nahe am internationalen Standard sinnvoll, damit für alle gleiche Bedingungen gelten. Eine Tendenz zu Maximalanforderungen ist wenig hilfreich.

Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie eine Amtszeit von zehn Jahren anvisiert, jetzt sind Sie fünf Jahre im Amt. Zufrieden mit dem Halbzeitstand?
Ich sehe es weniger als Halbzeit, sondern als kontinuierliches Engagement. Ich stelle mich jedes Jahr zur Wiederwahl. Ich bin zudem gerade zum Präsidenten des internationalen Bankenverbands IIF gewählt worden, dort ist eine Amtszeit von fünf Jahren vorgesehen. Ich kann mir gut vorstellen, auch bei der UBS noch weitere fünf Jahre Verantwortung zu tragen. Das Team funktioniert gut. Wir haben vieles erreicht, sind aber noch nicht da, wo wir hinwollen.

Als VR-Präsident definieren Sie die Strategie. Die wirkt jedoch seit mehr als vier Jahren wie in Stein gemeisselt. Was bleibt da noch zu tun?
Unsere gemeinsam mit der Konzernleitung entwickelte Strategie ist erfolgreich, wir sehen derzeit keinen Grund, sie zu ändern. Wir ziehen uns aber jedes Jahr zwei Mal gemeinsam mit Verwaltungsrat und Konzernleitung zur Strategietagung zurück, um alles auf den Prüfstand zu stellen und Dinge zu hinterfragen. Wir hatten in den letzten fünf Jahren Gegenwind durch die schwache Konjunktur, Negativzinsen und den starken Franken. Dass unser Geschäftsmodell trotzdem erfolgreich ist, zeigt uns, dass unsere Strategie richtig ist. Einiges an diesem Gegenwind dürfte sich in den nächsten fünf Jahren in Rückenwind drehen. Die Normalisierung der Zinsen in den USA hat begonnen, und auch die Europäische Zentralbank sollte spätestens Ende dieses Jahres beginnen, ihre Wertpapierkäufe zu reduzieren, Asien hat sich erholt.

Sie sehen das Ende der Negativzinsen?
Absolut. Nicht in diesem Jahr, aber im nächsten.

Auch in der Schweiz?
Ja. Wenn der Druck auf den Franken nachlässt, weil die Zinsen im Ausland steigen, gibt das der Nationalbank den Spielraum, die Zinsen zu normalisieren.

Ist die UBS etwas behäbig geworden?
In der wichtigsten Sparte Wealth Management läuft es schon länger nicht rund, trotzdem scheint wenig zu passieren. Davon kann keine Rede sein. Wir haben gerade in der Vermögensverwaltung mit grossem Einsatz erfolgreich Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen erzielt. Der Gegenwind liegt an anderen Faktoren: schwache Konjunktur, tiefe Zinsen, es fehlte an Investorenvertrauen. Zudem haben wir das gesamte Crossborder-Geschäft auf eine neue Basis gestellt und trotz des widrigen Umfelds im letzten Jahr 42 Milliarden Franken netto an Neugeld angezogen. Dass die Margen gesunken sind, liegt unter anderem an der Komposition dieser Neugelder: Wir wollen ganz bewusst auch bei Milliardären im Topsegment wachsen. Da ist die Dynamik hoch, aber die Margen sind relativ geringer als bei Kunden in anderen Segmenten. Bei den richtigen Bedingungen sollten unsere Resultate im Wealth Management, aber auch für die ganze Bank in den nächsten Jahren anziehen.

Ihr Ziel ist eine Eigenkapitalrendite von 15 Prozent, im letzten Jahr lag sie bei 9,2 Prozent. Damit können Sie nicht zufrieden sein.
Die 15 Prozent sind über den Zyklus gerechnet, also ein Durchschnitt guter und schlechter Konjunkturlagen. Die letzten fünf Jahre waren nicht gut. Wenn die nächsten fünf konjunkturell besser sind - und derzeit ist eine verhaltene Konjunkturerholung festzustellen - , bleibe ich optimistisch, dass wir bei einem Gespräch zu Ende meiner Amtszeit besser dastehen.

Sergio Ermotti bezeichnete die Aktie im «Bilanz»-Gespräch bei einem Kurs von 20 Franken als unterbewertet und bei einem Kurs von 26 als angemessen. Heute liegt der Kurs bei 16. Auf wie viel sollte er steigen?
Ich mache keine Aussagen zu Aktienkursen, teile aber sein Gefühl, dass die Aktie unterbewertet ist. Wichtiger als das absolute Kursniveau ist für mich das Verhältnis von Kurs- zu Buchwert. Dort liegen wir bei 1,1 und werden als einzige europäische Universalbank auf dem Niveau der amerikanischen Grossbanken gehandelt.

Von 16 Franken auf 26 ist ein grosser Sprung.
Als ich bei der Generalversammlung 2012 hinzukam, lag der Kurs bei unter 10 Franken, letztes Jahr überschritten wir kurzfristig 20 Franken. Viele Wettbewerber, auch lokale, wurden durch die Rückschläge des letzten Jahres viel stärker getroffen als wir. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht: Die Bank ist schlanker, wir haben Risiken abgebaut, und unser Geschäftsmodell hat sich bewährt. Wir können den Rückenwind nutzen, sobald die Konjunktur anzieht.

Anfangs gab es Skepsis, ob das Duo Weber/ Ermotti harmonieren würde.
Intern hatten wir diese Skepsis nie. Ich kannte Sergio Ermotti aus Deutschland, als ich Präsident der Bundesbank war. Er arbeitete damals für die italienische UniCredit, und wir haben bei seinen Besuchen zusammen mit dem damaligen CEO regelmässig über die Integration der Hypo-Vereinsbank gesprochen. Ich habe nie daran gezweifelt, dass er die Bank gut führen wird. Die einzige Überraschung für mich war, dass er Schweizer ist.

Haben sich da zwei gefunden?
Wir schätzen uns, jeder weiss, was der andere kann, und wir ergänzen uns sehr gut. Daraus ist ein gutes Arbeitsverhältnis entstanden, und auch mit der gesamten Konzernleitung habe ich ein Vertrauensverhältnis.

Wie lange bleibt das Duo?
Ich gehe davon aus, dass Sergio Ermotti und ich die nächsten fünf Jahre in gleicher Besetzung den Konzern führen.

Und dann treten Sie gemeinsam ab?
Darüber reden wir zu gegebener Zeit.

Steht die nächste Generation bereit?
Eine Verjüngung hat bereits stattgefunden, der Übergang war reibungslos, das neue Team funktioniert. Und vor allem: Die Mitarbeiter sind wieder stolz, bei der UBS zu arbeiten. Ich bin sehr viel in den Regionen der Schweiz unterwegs und höre dies immer wieder. Jetzt können wir mit Kontinuität den Konzern zu neuen Spitzenleistungen führen. Häufige Wechsel in der Führung sind nicht hilfreich.

Werden Sie Schweizer?
Das kann ich mir durchaus vorstellen, denn ich will langfristig in der Schweiz bleiben. Meine Frau ist Engländerin, wir haben auch unser Haus in Deutschland behalten. Wir schätzen die jeweiligen Vorzüge von England, Deutschland und der Schweiz, aber sind sehr glücklich hier in Zürich. Die Schweiz hat enorme Vorteile, die vielen Schweizern oft gar nicht bewusst sind.

*Der Pfälzer Axel Weber verfolgte nach dem Studium der Volkswirtschaft zunächst eine Karriere in der akademischen Welt und lehrte an den Universitäten Bonn, Frankfurt und Köln. Von 2004 bis 2011 war er Präsident der Deutschen Bundesbank. Im Mai 2012 löste er Kaspar Villiger als Präsidenten des UBS-Verwaltungsrates ab. Mit Bezügen von rund sechs Millionen Franken ist Weber der bestbezahlte Verwaltungsrat der Schweiz. Seit 2016 ist er Chairman des globalen Bankenverbands IIF. Er wird am 8. März 60 Jahre alt.

Was Schweizer CEOs 2016 verdient haben, sehen Sie in der Bildergalerie unten: