Was ist das bloss für ein seltsames Ding? Es wird wie eine Uhr am Arm getragen, statt eines Zifferblattes hat es aber sechs an Bullaugen erinnernde kleine Fensterchen, hinter denen man farbige Zahlen sieht, die an einen Spielautomaten denken lassen können. Es ist – eine Armbanduhr. Die «Opus 3» von Harry Winston ist vielleicht das momentan auffälligste Werk einer neuen Generation von edelsten Uhren, die erst einmal durch ihr Design verblüffen. Und dann durch ihr Innenleben, das mit spektakulären Mechanismen und wegweisenden neuen Technologien fasziniert. Der vermeintliche Designer-Gag entpuppt sich als uhrmacherische Kostbarkeit, als technisches Meisterwerk und als Leckerbissen für jeden Sammler. Diese Stücke, nur in kleinen Serien hergestellt, haben ihren stolzen Preis: Mit 45 000 bis 125 000 Franken muss man dafür schon kalkulieren.

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Die «Opus 3» ist dank einer Allianz besonderer Art entstanden: Seit 2001 fordert die Edelmarke Harry Winston jedes Jahr einen anderen Ausnahmeuhrmacher auf, eine interessante Rarität für ihre kleine exklusive Kollektion Opus zu kreieren. Nach «Opus One» von François-Paul Journe und «Opus Two» von Antoine Preziuso hat dieses Jahr der in Sainte-Croix im Waadtländer Jura tätige Franzose Vianney Halter mit einer Kreation sowohl die Fachwelt als auch die Uhrenfreaks zum Staunen gebracht. «Opus 3» ist eine wahre Zeitmaschine geworden. In den sechs Bullaugen ähnlichen Fenstern auf dem massiven rechteckigen Gehäuse erscheinen in verschiedenen Farben die Stunden (oben links und rechts), die Minuten (unten links und rechts) sowie das Datum (in der Mitte von oben nach unten). Auf der hier rechts aussen abgebildeten Uhr steht die Zeit also auf 20 Uhr 37 und es ist der 14. des Monats. Was zunächst kompliziert wirkt, ist es gar nicht. Das blitzschnelle und sichere Ablesen bedarf nur einer kurzen Gewöhnungszeit.

Eine Uhr, auf der immer etwas los ist

Im Innern des futuristischen Zeitmessers rotieren auf kleinstem Raum auf einer Welle zehn Scheiben mit insgesamt 47 Ziffern. Sie drehen sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und sind so über-, unter- und nebeneinander angeordnet und mit «Fenstern» versehen, die den Durchblick auf tiefer liegende Scheiben gestatten, dass die Ziffern schliesslich in der richtigen Reihenfolge in den Bullaugen auftauchen und dort zusammen die exakte Zeit angeben.

Aufgezogen werden die Mechanismen mit einem seitlich herausragenden Rad, das im Gegensatz zu einer herkömmlichen Aufzugskrone horizontal am Gehäuse angebracht ist. Doch nicht nur das Aussehen der «Opus 3» suggeriert Action, auf dieser Uhr ist tatsächlich ständig etwas los. Ähnlich wie bei einer Slotmachine kündigt alle sechzig Sekunden ein umgekehrter Countdown – 56, 57, 58, 59 –, der im oberen Datumsfenster abläuft, den bevorstehenden Minutenwechsel an.

Einer der originellsten Zeitmesser

«Opus 3» besteht aus 250 Einzelteilen; nahezu alle wurden von Vianney Halter selber hergestellt. Anderthalb Jahre lang brütete der besessene Tüftler über dem komplizierten Mechanismus dieser Uhr, wobei es zwei harte Nüsse zu knacken gab: Die eigentliche Zeitmessung und die Zeitanzeige. Dieser enorme Entwicklungsaufwand kommt aber lediglich in 55 Exemplaren zum Tragen – auch eine Art, Luxus zu demonstrieren. 25 Exemplare sind in Rotgold, 25 in Platin ausgeführt und – das war sich Harry Winston als «König der Diamanten» natürlich schuldig – fünf Stück wurden grosszügig mit Edelsteinen besetzt.

Wer keine «Opus 3» erwischt oder sie sich nicht leisten kann, wird sich mühelos mit einer der andern Zeitmaschinen von Vianney Halter trösten können. Seine visionären Kreationen mit mehreren Zifferblättern auf einer einzigen Plattform gehören zu den originellsten und raffiniertesten Zeitmessern, die zur- zeit zu haben sind. «Ich habe ein Bedürfnis, die Technik sichtbar zu machen, und ich glaube, meine Uhren gefallen denjenigen Menschen, die gerne – wie ich – einer Sache auf den Grund gehen», sagt Halter.

Auch Thomas Baumgartner von der Genfer Uhrenmarke Urwerk hat eine bestimmte Vorstellung von den Menschen, die seine Uhren tragen. «Ich baue Uhren für Leute, die der Zeit nicht hinterher- rennen, sondern sie spüren und geniessen wollen», erklärt der 34-jährige Deutschschweizer, der seit 1995 in Genf arbeitet und vor ein paar Jahren seinen Erstling 101 vorstellte. Bereits bei dieser Uhr zieht einzig die jeweilige Stundenzahl auf einer halbkreisförmigen Bahn während 60 Minuten einsam übers Zifferblatt. Die Minuten lassen sich bloss abschätzen – tatsächlich also eine Uhr für den wahren Zeit-Geniesser, der sich nicht um Details wie Minuten scheren mag. Beim neuesten Modell 103, das dieses Jahr an der Basler Messe vorgestellt wurde, hat sich das Macher-Trio, die Brüder Thomas und Felix Baumgartner sowie Designer-Kollege Martin Frei, nun aber doch zur Minute bekannt und die Uhr um eine entsprechende Skala ergänzt. Verrückt und einzigartig ist dieser Zeitmesser mit seiner gigantischen Krone, dem geheimnisvollen ovalen Gehäusedeckel und der verblüffenden Zeitanzeige.

Die Stundenziffer erinnert an die Sonne, die im Osten erscheint und auf ihrer Bahn Richtung Westen wandert. Wenn die abgelaufene Stunde am linken Rand verschwindet, taucht am rechten die nächste auf.

Hightech-Inspirationen von gestern

Die Inspiration zu seinen futuristischen Urwerk-Modellen holte sich der 34-jährige Thomas Baumgartner – wie Vianney Halter ebenfalls Mitglied der exklusiven Uhrmachergilde Académie Horlogère des Créateurs Indépendents – in der fernen Vergangenheit: Mitte des 17. Jahrhunderts stand auf dem Nachttisch des Papstes Alexander VII. eine so genannte Nachtuhr, bei dem die Stundenzahl auf ähnliche Weise über das bunt bemalte Zifferblatt wanderte. Bestandteil jener Uhr war ein Öllämpchen, das es dem Kirchenoberhaupt ermöglichte, in der Dunkelheit die Zeit abzulesen. Eine spezielle Beleuchtung wird mit dem Modell 103 natürlich nicht mitgeliefert, aber versteckt, nämlich auf dem Boden der Uhr, ist ein kleines Control Center untergebracht: Eine Sekundenanzeige, ein Viertelstundenindikator, eine Anzeige der Gangreserve von 42 Stunden und die Möglichkeit einer Fein-Reglage, ohne dass das Gehäuse geöffnet werden muss. Über solche Details kann der potenzielle Kunde aber gerne persönlich mit den Uhrmacherbrüdern fachsimpeln. Zwar gibt es auf der Welt verstreut ein paar Verkaufspunkte, aber bei Uhren dieses Kalibers – es ist eine Auflage von 100 Exemplaren vorgesehen – ist es möglich, dass Käufer, die dies wünschen, ihr künftiges Lieblingsstück direkt aus den Händen des Kreateurs überreicht bekommen.

Geniale Einfälle eines Astronomen

Zu den aussergewöhnlichsten Uhren, die in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind, gehört zweifellos «The Freak» aus der Manufaktur Ulysse Nardin in Le Locle. Oder hat schon jemand zuvor von einer Uhr gehört, die keine Zeiger zum Ablesen der Zeit hat, weil das Uhrwerk, ein Acht-Tage-Karussell-Tourbillon, selber diese Aufgabe übernimmt? Oder kennt jemand einen anderen Zeitmesser, der ohne Krone auskommt, weil man das Werk durch Drehen des Gehäusebodens aufziehen kann?

Solche genialen Einfälle stammen von Ludwig Oechslin, dem Astronomen, Mathematiker und Meisteruhrmacher in einem. Der heutige Direktor des Musée international de l’horlogerie in La Chaux-de-Fonds, der im Laufe der letzten Jahre mit einer ganzen Reihe spektakulärer Erfindungen für Ulysse Nardin begeisterte, hat auch «The Freak» mit wirklich wegweisenden neuen Technologien ausgestattet, die den Uhrenkenner faszinieren. Zwei Werkbrücken rotieren um das gemeinsame Zentrum und zeigen die Stunden und Minuten an. Die untere Brücke weist auf die Stunden, während die obere, sich einmal pro Stunde um die eigene Achse drehend, die Minuten angibt.

Zur ungewöhnlichen Technik gehört eine überraschend einfache Hemmung, die keine Schmierung braucht. Während in herkömmlichen Tourbillons der Hemmungsmechanismus einmal pro Minute in seinem Käfig rotiert, dreht sich bei «The Freak» das ganze Uhrwerk mitsamt der Hemmung stündlich um die eigene Achse. «Ich habe das, was eine Uhr leisten muss, bei ‹The Freak› in die einfachst mögliche Form gebracht», erklärt Oechslin. «Über das Drehverhältnis erfolgt die Zeitanzeige. Die Einsichtigkeit des Werkes ist absolut. Die ‹Freak› erfüllt ein Bedürfnis des Menschen, der verstehen will, was passiert. Kann er dies nicht, verliert er schnell das Interesse.»

Das wird dem Besitzer einer «Freak» also nicht passieren. Aber zunächst heisst es Geduld aufbringen. Die Nachfrage ist gross und es bestehen heute Wartezeiten von zwei, drei Monaten für diese Uhr, die anders als die andern ist.

Johanna Bächtold ist regelmässige Mitarbeiterin der BILANZ.

Wo es diese exklusiven Uhren gibt
Bei den folgenden Adressen gibt es nähere Informationen und die Bezugsquellen zu den vorgestellten Uhren:


Vianney Halter

Quartier de la Joux 2
1450 Sainte-Croix
Telefon 024 454 29 48
www.vianney-halter.com



Die «Opus 3» wird via Harry Winston vertrieben, die andern Uhren von Vianney Halter gibt es bei Embassy in Luzern und L’Heure ASCH in Genf.


Harry Winston Rare Timepieces

82, rue de Lausanne
1202 Genf
Telefon 022 716 29 00
www.harrywinston.com



Montres Urwerk

Thomas und Felix Baumgartner
11, rue de Cornavin
1201 Genf
Telefon 022 900 20 25
www.urwerk.ch



Ulysse Nardin

3, rue du Jardin
2400 Le Locle
Telefon 032 930 74 00
www.ulysse-nardin.com