Kein anderes Land als die Schweiz verlangt seinen Jungwissenschaftlern so viel Geduld bei der Karriere ab. «Man schreibt seine Doktorarbeit bei einem Professor, wird sein Assistent und hofft, eines Tages seinen Platz einnehmen zu können», beschreibt Thomas Ward, Chemieprofessor an der Universität Neuenburg, das eidgenössische Karrieremodell. Junge Forscher in England, Frankreich und vor allem den USA befinden sich schon in Amt und Würden, wenn der heimische Nachwuchs noch artig dem Professor die Bücher ins Büro trägt und für ihn Seminare und Vorlesungen vorbereitet. Bis er endlich auf den begehrten Lehrstuhl berufen werden kann, altert der Schweizer Jungprofessor im Schnitt schon seinem fünften Lebensjahrzehnt entgegen.
Kein Wunder, dass angesichts dieser wenig motivierenden Aussichten viele der besten Köpfe ins Ausland, vor allem in die USA, abwandern. Gemessen an ihrer Grösse, zählt die Schweiz zu den bedeutendsten Entsendeländern von Nachwuchswissenschaftlern gen USA: Jährlich entscheiden sich rund 300 junge Schweizer Wissenschaftler, in die Vereinigten Staaten zu gehen. Nur die Hälfte kehrt in die Schweiz zurück. Allein an den US-Universitäten arbeiten etwa 900 Schweizer. Für die Schweiz ist das ein volkswirtschaftliches Verlustgeschäft, denn der Exodus wird mit Stipendien des Nationalfonds auch noch gefördert. Gleichzeitig haben sich die USA im Hochschulbereich für eine Politik der Öffnung entschieden. In der Fachwelt gilt ohnehin, dass ein Gastspiel in den USA unerlässlich für die wissenschaftliche Karriere ist.
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Also nichts wie die Koffer gepackt und rüber über den grossen Teich? «Ein Postdoc-Aufenthalt in den USA wird als bereichernde Erfahrung und Gelegenheit empfunden, neue Kenntnisse zu erwerben», sagt Christian Simm, Experte auf dem Gebiet der «Expatriate Scientists». Für viele junge Wissenschaftler ist die Rückkehr kaum eine Option. «Die meisten Schweizer Jungakademiker machen ihr Postdoktorat mit dem Plan einer akademischen Karriere in den USA», sagt Laurent Jay, seit April dieses Jahres selbst Associate Professor an der University of Iowa. Die Aufstiegschancen stehen dabei durchaus gut: Diejenigen Schweizer, die ein Postdoc in Angriff nehmen, sind im Allgemeinen angesehene Studenten gewesen und sind an den amerikanischen Universitäten und Laboratorien hochwillkommen.
Ob man Aussicht auf eine Karriere in der Wissenschaft hat, entscheidet sich in den USA schon früh. Wer mit Ende zwanzig bereits einen Job als Assistant Professor hat, kann darauf bauen, in ein paar Jahren «richtiger» Hochschulprofessor zu werden. «Man erhält als Ausgangsbasis eine gute finanzielle Unterstützung und muss innerhalb von sechs Jahren beweisen, dass man diese Investition wert war», sagt Professor Thomas Ward. Dagegen ist im Schweizer System auch bei erfolgreichem Abschluss der Assistentenzeit in keiner Weise der Übergang in eine Hochschullehrerlaufbahn gewährleistet.
Besonders begehrt sind in den USA
«tenure track positions», Stellen, die ausdrücklich als Qualifikationsstellen für eine spätere Dauerprofessur an der entsprechenden Hochschule eingerichtet sind. Kein Wunder, dass die richtig Erfolgreichen nicht zurückwollen. «Schweizer Wissenschaftler in den USA entfremden sich mehr und mehr von der Schweiz. Sie verlieren die alten beruflichen und persönlichen Kontakte und gliedern sich in der amerikanischen sozialen und beruflichen Umgebung ein», sagt Christian Simm.
Zusätzlich wird die Fortsetzung einer akademischen Karriere in der Schweiz durch mehrere Dinge erschwert. Es gibt zu wenig freie Stellen. Zudem haben die Schweizer Universitäten relativ starre Strukturen, die Auswahlkriterien bei der Stellenvergabe sind restriktiv: hier zählen Alter, Anzahl der Dienstjahre, Anzahl der Veröffentlichungen oder Ähnliches. Oft werden die Kandidaturen interner Fachleute bevorzugt, und die Professoren wählen ihre Assistenten. So hat die Bewerbung schweizerischer Postdocs, die sich im Ausland befinden, wenig Chancen.
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Junge Wissenschaftler, die in die USA ziehen, letztlich aber eine akademische Karriere in der Schweiz planen, leben oft «in einer Art verlängertem Übergangszustand, in dem sie weder zum amerikanischen noch zum schweizerischen Umfeld gehören», sagt Laurent Jay. «Sie neigen dazu, einen Postdoc-Posten nach dem anderen anzunehmen, während sie auf Angebote warten, die nicht kommen.» Eine demotivierende Erfahrung, die ein Betroffener so beschrieb: «Die Postdocs, die im Ausland auf eine Anstellung in der Schweiz warten, sind wie Flugzeuge, die über dem Flughafen kreisen, ohne eine Landeerlaubnis zu bekommen. Irgendwann geht ihnen unweigerlich das Benzin aus, und sie zerschellen am Boden.»
Immerhin, es gibt Alternativen: Zur Industrie zu wechseln, ist in den Vereinigten Staaten leichter als in der Schweiz. Es kommt daher nicht selten vor, dass die eidgenössischen Postdocs irgendwann ihre akademische Karriere sausen lassen und bei einem grossen US-Konzern anheuern. «Bei uns geben sich die Headhunter sowieso die Klinke in die Hand», berichtet die Medizinerin Asifa Haider, die derzeit ihr Postdoc an der Rockefeller University in New York absolviert. «Angesichts der gebotenen Gehälter ist es zuweilen schon recht schwierig, der Verlo-ckung zu widerstehen und in der akademischen Forschung zu bleiben.»
Eine Karriere in der Schweizer Wirtschaft hingegen erweist sich für viele Schweizer Exil-Akademiker ebenfalls als ausgesprochen schwierig – schon deshalb, weil viele Postdocs das Spiel mit den heimischen Personalabteilungen nie gelernt haben. «Die wissen oft gar nicht, wie man einen Lebenslauf verfasst oder ein Bewerbungsgespräch vorbereitet und führt», sagt Laurent Jay. Es ist paradox: Diese brillanten Wissenschaftler verfügen über eine ausgezeichnete Ausbildung, können sich aber auf dem heimischen Arbeitsmarkt kaum «verkaufen». Das fördert den Frust: «Man hat ohnehin nicht den Eindruck, dass die Schweiz viel unternimmt, um die betroffenen Schweizer Wissenschaftler zurückzuholen», sagt Vincent Butty, Doktorand an der Harvard Medical School.
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