Kein anderes Land als die Schweiz verlangt seinen Jungwissenschaftlern so viel Geduld bei der Karriere ab. «Man schreibt seine Doktorarbeit bei einem Professor, wird sein Assistent und hofft, eines Tages seinen Platz einnehmen zu können», beschreibt Thomas Ward, Chemieprofessor an der Universität Neuenburg, das eidgenössische Karrieremodell. Junge Forscher in England, Frankreich und vor allem den USA befinden sich schon in Amt und Würden, wenn der heimische Nachwuchs noch artig dem Professor die Bücher ins Büro trägt und für ihn Seminare und Vorlesungen vorbereitet. Bis er endlich auf den begehrten Lehrstuhl berufen werden kann, altert der Schweizer Jungprofessor im Schnitt schon seinem fünften Lebensjahrzehnt entgegen.

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Kein Wunder, dass angesichts dieser wenig motivierenden Aussichten viele der besten Köpfe ins Ausland, vor allem in die USA, abwandern. Gemessen an ihrer Grösse, zählt die Schweiz zu den bedeutendsten Entsendeländern von Nachwuchswissenschaftlern gen USA: Jährlich entscheiden sich rund 300 junge Schweizer Wissenschaftler, in die Vereinigten Staaten zu gehen. Nur die Hälfte kehrt in die Schweiz zurück. Allein an den US-Universitäten arbeiten etwa 900 Schweizer. Für die Schweiz ist das ein volkswirtschaftliches Verlustgeschäft, denn der Exodus wird mit Stipendien des Nationalfonds auch noch gefördert. Gleichzeitig haben sich die USA im Hochschulbereich für eine Politik der Öffnung entschieden. In der Fachwelt gilt ohnehin, dass ein Gastspiel in den USA unerlässlich für die wissenschaftliche Karriere ist.

Asifa Haider
Erhielt ihr Diplom in Pharmakologie an der ETH Zürich, promovierte am New York Medical College. Absolviert derzeit ein Postdoc in Investigative Dermatology an der Rockefeller University in New York, ab November im Range eines Post Doctoral Fellowship. Als sich die Frage stellte, wo sie die Dissertation schreiben soll, gab ihr ihr Diplomprofessor den Tipp, an eine renommierte Uni in eine aktive Forschungsgruppe zu gehen. «Ganz wichtig ist es, sich ein internationales Kontaktnetz zu schaffen. Persönliche Beziehungen sind der Schlüssel zum Erfolg, können durch E-Mail und Ähnliches nicht ersetzt werden.»


Haider (38) empfindet die USA im Vergleich zur Schweiz als eine sehr gute Forschungsumgebung, wo mehr Gelder zur Verfügung stehen und die Forschung mehr verankert ist. «Schweizer haben es relativ leicht, Geld für einen USA-Aufenthalt zu bekommen, und sind dort willkommen, weil die Schweiz eine seriöse wissenschaftliche Ausbildung bietet.»


Sie selbst lernte viel durch die unterschiedlichen Arbeits- und Umgangskulturen in der Schweiz und in den USA. Zudem machte sie die Erfahrung, dass überall mit Wasser gekocht wird – die USA haben Respekt vor Europa, Europa hat Respekt vor den USA, was ihr einen lockereren Umgang mit dem Ganzen brachte. Vor die Wahl gestellt, würde sie eher Amerika vorziehen. «Wir arbeiten hier unter optimalen Bedingungen», sagt sie. «Die Aufstiegsmöglichkeiten sind besser.»

Also nichts wie die Koffer gepackt und rüber über den grossen Teich? «Ein Postdoc-Aufenthalt in den USA wird als bereichernde Erfahrung und Gelegenheit empfunden, neue Kenntnisse zu erwerben», sagt Christian Simm, Experte auf dem Gebiet der «Expatriate Scientists». Für viele junge Wissenschaftler ist die Rückkehr kaum eine Option. «Die meisten Schweizer Jungakademiker machen ihr Postdoktorat mit dem Plan einer akademischen Karriere in den USA», sagt Laurent Jay, seit April dieses Jahres selbst Associate Professor an der University of Iowa. Die Aufstiegschancen stehen dabei durchaus gut: Diejenigen Schweizer, die ein Postdoc in Angriff nehmen, sind im Allgemeinen angesehene Studenten gewesen und sind an den amerikanischen Universitäten und Laboratorien hochwillkommen.

Ob man Aussicht auf eine Karriere in der Wissenschaft hat, entscheidet sich in den USA schon früh. Wer mit Ende zwanzig bereits einen Job als Assistant Professor hat, kann darauf bauen, in ein paar Jahren «richtiger» Hochschulprofessor zu werden. «Man erhält als Ausgangsbasis eine gute finanzielle Unterstützung und muss innerhalb von sechs Jahren beweisen, dass man diese Investition wert war», sagt Professor Thomas Ward. Dagegen ist im Schweizer System auch bei erfolgreichem Abschluss der Assistentenzeit in keiner Weise der Übergang in eine Hochschullehrerlaufbahn gewährleistet.

Besonders begehrt sind in den USA

«tenure track positions», Stellen, die ausdrücklich als Qualifikationsstellen für eine spätere Dauerprofessur an der entsprechenden Hochschule eingerichtet sind. Kein Wunder, dass die richtig Erfolgreichen nicht zurückwollen. «Schweizer Wissenschaftler in den USA entfremden sich mehr und mehr von der Schweiz. Sie verlieren die alten beruflichen und persönlichen Kontakte und gliedern sich in der amerikanischen sozialen und beruflichen Umgebung ein», sagt Christian Simm.

Zusätzlich wird die Fortsetzung einer akademischen Karriere in der Schweiz durch mehrere Dinge erschwert. Es gibt zu wenig freie Stellen. Zudem haben die Schweizer Universitäten relativ starre Strukturen, die Auswahlkriterien bei der Stellenvergabe sind restriktiv: hier zählen Alter, Anzahl der Dienstjahre, Anzahl der Veröffentlichungen oder Ähnliches. Oft werden die Kandidaturen interner Fachleute bevorzugt, und die Professoren wählen ihre Assistenten. So hat die Bewerbung schweizerischer Postdocs, die sich im Ausland befinden, wenig Chancen.

Der Aufstieg nach dem «American Way»
So läuft die Karriere in der Spitzennation der Wissenschaft:
  • Nach Bachelor-/Master-Studium je nach Studienrichtung ein Industry Practice.
  • Vier intensive Jahre Ph.D. (Dissertation). Während dieser Zeit ein oder zwei gute Journalartikel. Anschliessend Bewerbung als Assistant Professor.
  • Zeitlich befristete Assistentenstelle (tenure track), nach sechs oder neun Jahren Entscheidung über Überführung in gesichertere Stelle (tenured).
  • Weiterer Weg über Associate Professor (tenure track oder tenured) zum Full Professor (tenured).

Andere Karriereverläufe: Postdoc oder reine Unterrichtstätigkeit als Assistant Professor (non-tenure track), Senior Lecturer oder Visiting Professor (zum Beispiel befristet auf ein Jahr).

Junge Wissenschaftler, die in die USA ziehen, letztlich aber eine akademische Karriere in der Schweiz planen, leben oft «in einer Art verlängertem Übergangszustand, in dem sie weder zum amerikanischen noch zum schweizerischen Umfeld gehören», sagt Laurent Jay. «Sie neigen dazu, einen Postdoc-Posten nach dem anderen anzunehmen, während sie auf Angebote warten, die nicht kommen.» Eine demotivierende Erfahrung, die ein Betroffener so beschrieb: «Die Postdocs, die im Ausland auf eine Anstellung in der Schweiz warten, sind wie Flugzeuge, die über dem Flughafen kreisen, ohne eine Landeerlaubnis zu bekommen. Irgendwann geht ihnen unweigerlich das Benzin aus, und sie zerschellen am Boden.»

Immerhin, es gibt Alternativen: Zur Industrie zu wechseln, ist in den Vereinigten Staaten leichter als in der Schweiz. Es kommt daher nicht selten vor, dass die eidgenössischen Postdocs irgendwann ihre akademische Karriere sausen lassen und bei einem grossen US-Konzern anheuern. «Bei uns geben sich die Headhunter sowieso die Klinke in die Hand», berichtet die Medizinerin Asifa Haider, die derzeit ihr Postdoc an der Rockefeller University in New York absolviert. «Angesichts der gebotenen Gehälter ist es zuweilen schon recht schwierig, der Verlo-ckung zu widerstehen und in der akademischen Forschung zu bleiben.»

Eine Karriere in der Schweizer Wirtschaft hingegen erweist sich für viele Schweizer Exil-Akademiker ebenfalls als ausgesprochen schwierig – schon deshalb, weil viele Postdocs das Spiel mit den heimischen Personalabteilungen nie gelernt haben. «Die wissen oft gar nicht, wie man einen Lebenslauf verfasst oder ein Bewerbungsgespräch vorbereitet und führt», sagt Laurent Jay. Es ist paradox: Diese brillanten Wissenschaftler verfügen über eine ausgezeichnete Ausbildung, können sich aber auf dem heimischen Arbeitsmarkt kaum «verkaufen». Das fördert den Frust: «Man hat ohnehin nicht den Eindruck, dass die Schweiz viel unternimmt, um die betroffenen Schweizer Wissenschaftler zurückzuholen», sagt Vincent Butty, Doktorand an der Harvard Medical School.

Vincent Butty
Nach seinem Abschluss als Dr. med. an der Universität Genf wechselte Butty (29) direkt in die USA, um ein Ph.D.-Programm in Immunology aufzunehmen. Inzwischen im vierten Jahr am Joslin Diabetes Center der Harvard Medical School. «Das Wichtigste für jeden Europäer, der im amerikanischen Universitätswesen eine Karriere machen will, sind Empfehlungsschreiben.» Das gesamte europäische Noten- und Bewertungssystem sei für amerikanische Professoren und Zulassungskomitees eine Blackbox. Das mache es für US-Institute schwer, sich ein korrektes Bild von den akademischen Leistungen der Bewerber zu machen.


Ist die Bewerbung am Ende überzeugend, seien die Chancen für Ausländer gar nicht einmal so schlecht. «Hier bei uns an der Harvard Medical School ist es so, dass die ausländischen Bewerber getrennt vom Gros der amerikanischen Kandidaten betrachtet werden. Und in vielen Fällen ist es dann so, dass ausländische Fakultätsmitglieder in den Bewertungs- und Auswahlprozess involviert sind. Das führt zu einem besseren Verständnis für die Eignung und Fähigkeiten des jeweiligen Kandidaten.» Einfacher, aber wichtiger Rat von Butty: Während die meisten Bewerbungen für Ph.D.-Programme gewöhnlich Anfang bis Mitte Januar begutachtet werden, sind an vielen Unis bereits im Dezember alle Plätze vergeben. «Gerade für einen ausländischen Bewerber ist es daher wichtig, früh auf sich aufmerksam zu machen.»















































Wie schaffe ich es, Postdoc in den USA zu werden?
Das bringen Sie mit:
  • Anspruchsvolle Doktorarbeit, möglichst mit Magna cum laude beziehungsweise Summa cum laude.
  • Englische Sprachkenntnisse. Wenn möglich, schon Auslanderfahrung.
  • Exzellenter Studienabschluss.
  • Falls Familie: Ehepartner, der bereit ist, Umstellung mitzumachen.

So bereiten Sie sich vor:

  • Liste der für das eigene Gebiet (Doktorarbeit) wichtigen Institute erstellen.
  • Standorte nicht nach landschaftlicher oder kultureller Attraktion aussuchen.
  • Antragseingabe inklusive «Letter of recommendation».

So überzeugen Sie:

  • Anträge nach Vorschriften der jeweiligen Institutionen anfertigen.
  • Antragsteller sollte den Antrag allein schreiben.
  • Antrag an späteren Betreuer in den USA zur Einsicht beziehungsweise Kontrolle senden.
  • Antrag sollte dem Ausbildungs- und Wissensstand des Postdoc entsprechen.
  • Vorgeschlagene Forschungsvorhaben sollten sich in den zeitlich festgesetzten Zeiträumen durchführen lassen.
  • Wissenschaftliche Experimente sollten durch «hands-on research» ohne technische Hilfe (technische Assistenten) durchführbar sein.

So erledigen Sie den Papierkram:

  • Kontakt mit Betreuern und internationalem Office der entsprechenden Institution aufnehmen und Visapapiere besorgen.
  • Meist sind folgende Papiere einzureichen: CV; Award-notice; Applikationspapiere für J-1-Visum; Brief vom momentanen Arbeitgeber, der Beurlaubung sowie spätere Wiedereinstellung bestätigt; Krankenversicherungsnachweis für USA; Impfausweis (international).
  • Falls Partner mitkommt, muss man verheiratet sein oder Partner muss selbst ein Stipendium und eigene Stelle haben.
  • Nach der Bearbeitung der Visumpapiere durch die US-Behörden beim Schweizer US-Konsulat Visum einholen.

























































































Laurent O. Jay
Im Anschluss an seine Promotion in Mathematik an der Universität Genf wechselte Jay (39) für ein Postdoc-Programm ans Department of Computer Science der University of Minnesota. Ab 1998 Assistant Professor am Department of Mathematics der University of Iowa, seit April dieses Jahres Associate Professor. «Das Bewerbungssystem in den USA ist transparenter als in der Schweiz», sagt Jay, der selbst in einigen Auswahlkomitees seiner Hochschule sitzt.


Laut Jay sind für eine akademische Karriere an einer US-Uni Erfahrungen in der Lehrtätigkeit besonders wichtig. Er rät allen Studenten, die sich ernsthaft mit einem Wechsel nach Amerika beschäftigen, bereits die Promotion in den USA zu absolvieren, «dort allerdings an einer der besten 100 Hochschulen des Landes – die meisten Assistentenstellen werden mit Kandidaten besetzt, die von diesen Unis stammen.» Daneben absolut unerlässlich: Empfehlungsschreiben früherer Lehrer und Professoren: «Europäische Hochschullehrer wählen eher einen nüchternen Ton, während US-Professoren hier zu Lande euphorisch über ihre ehemaligen Studenten schreiben.»


Grundsätzlich funktioniere das Verhältnis zwischen Professoren und Studenten in Amerika anders als in Europa. «Die Studenten hier sind wie Kunden, die gutes Geld für ihre Ausbildung bezahlen.» Dadurch wachse der Erwartungsdruck an die Lehrenden. Laurent Jay: «Eine Universität wird in den USA als Business betrachtet, nicht als Heiligtum.»