Nach zehnmonatiger Flaute geht es an der Schweizer Börse SIX wieder los mit Neuzugängen. Ab morgen werden Aktien des Pharmazulieferers Polypeptide an der Schweizer Börse gehandelt. Und der nächste Börsengang steht ebenfalls bereits in den Startlöchern.
Die Gerüchte gab es schon länger, vergangene Woche wurde es dann offiziell: Das schwedische Pharmaunternehmen Polypeptide geht in der Schweiz an die Börse. Es ist der erste Börsenneuling an der SIX seit zehn Monaten und zudem das erste «klassische» Initial Public Offering (IPO) an der SIX seit 2019.
Damit hat der Schweizer IPO-Betrieb wieder Fahrt aufgenommen. Und er zieht auch schon die nächsten Börsenkandidaten mit: Auch der Aargauer Luftfahrtzulieferer Montana Aerospace will demnächst den Schritt aufs Börsenparkett wagen. Die Firma soll laut den Plänen von der Gruppe Montana Tech Components abgespalten und der Börsengang noch im zweiten Quartal erfolgen.
Sehr ruhiges 2020
Wegen des relativ kleinen Marktes gibt es in der Schweiz verglichen mit anderen Ländern wenige Börsengänge. 2020 war mit lediglich zwei Neuzugängen an der Schweizer Börse aber selbst unter diesen Umständen ein aussergewöhnlich ruhiges IPO-Jahr, sagen Experten.
Im Juni 2020 hatte der Mischkonzern Metall Zug seine Haushaltgerätesparte V-Zug an die Börse gebracht und der Baukonzern Implenia einen Teil seines Entwicklungsportfolios als Ina Invest. Dabei erhielten die bestehenden Aktionäre aber Aktien in Form einer Sachdividende an den Abspaltungen, ohne dass neue Aktien ausgegeben wurden. Es war das erste Mal seit zehn Jahren, dass es an der SIX kein klassisches IPO, also eines mit Aktienplatzierungen, gab.
Dass es auf dem Schweizer Börsenparkett so ruhig war, hat laut IPO-Experten mit der Coronakrise zu tun. «Manche Unternehmen waren zwar schon bereit für einen Börsengang, haben ihre IPOs dann allerdings wegen der schwierigen Situation lieber verschoben», sagt Tobias Meyer, Leiter IPO vom Beratungsunternehmen EY auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP.
Während in der Schweiz 2020 eine ungewöhnliche Ruhe herrschte, zogen die Neuzugänge an den Börsen in anderen Ländern bereits in der zweiten Jahreshälfte wieder an. Trotz weniger IPOs boomten aber auch hierzulande die Kapitalmärkte, erklärt UBS-Verantwortlicher Markus Wetter. Ihm zufolge beschafften sich die Firmen ihr Geld aber eher über Kapitalerhöhungen, Wandelanleihen oder andere Finanzinstrumente.
Frühling als gutes Zeitfenster
Inzwischen ist das Klima für Börsengänge in der Schweiz laut Meyer aber wieder besser und die Unternehmen dürften ihre Börsengänge nun nachholen, was im Frühling üblicherweise günstig ist. «Eine der Anforderungen für einen Börsengang ist die Verfügbarkeit von aktuellen Finanzinformationen», sagt Meyer.
Nachdem die Jahresabschlüsse geprüft sind, hat eine Firma ein gewisses Zeitfenster für den Börsengang. Meistens komme dabei die 135-Tage-Regel zum Zug. Sie besagt, dass der letzte Finanzabschluss nicht älter sein soll als 135 Tage. Da die meisten Firmen ihre Jahresabschlüsse Anfang Jahr veröffentlichen, bleibt somit ein Fenster bis ungefähr Ende Mai. Danach gibt es wieder ein Fenster nach den Quartalszahlen bis im Sommer und eines im Herbst, nach Veröffentlichung der Halbjahreszahlen.
Für einen Börsengang an der SIX gilt diese Regel zwar nicht, «Banken, die einen Börsengang begleiten, haben aber im Normalfall aufgrund von Risikoüberlegungen ein Interesse daran, dass die Abschlüsse aktuell sind», sagt Meyer. Und auch die Investoren wollen meistens einen aktuellen Einblick in die Bücher haben, bevor sie sich entscheiden, von einem Unternehmen Aktien zu kaufen.
Nebst dem Zeitfenster im Frühling gibt es laut Wetter aber noch einen anderen Grund, warum die Unternehmen jetzt an die Börse wollen: Zurzeit sei das Börsenumfeld für IPOs günstig, weil die Volatilität der Märkte relativ tief sei. Dadurch sinkt laut Experten für die Firmen das Risiko, dass sie bei ihrem Börsengang nicht den gewünschten Aktienpreis erzielen.
Vier bis fünf Börsengänge
Beide Experten gehen davon aus, dass es dieses Jahr sicher vier bis fünf Neuzugänge an der SIX gibt, eventuell auch mehr. Über die Firmen, die das sein könnten, kann bisher nur spekuliert werden. Klar ist aber, dass der Visadienstleister VFS Global und der Snackautomatenbetreiber Selecta ihre Börsenpläne nicht zuletzt wegen der Coronakrise zurückgestellt haben.
Der Industriekonzern ABB denkt ausserdem über Abspaltungen nach. Gerüchten zufolge hat auch die dänische Software-Firma Trifork ihre Fühler nach der Schweizer Börse ausgestreckt.
Zudem dürfte es nach Einschätzung der Experten auch in absehbarer Zeit zum ersten SPAC-Börsengang kommen. Ein SPAC (Special Purpose Acquisition Vehicles) ist eine leere Firmenhülle ohne operatives Geschäft.
Dieses geht dann an die Börse, um dort Geld einzusammeln, das es danach für das Aufkaufen von Firmen nutzt. Momentan sind zwar die regulatorischen Voraussetzungen dafür an der SIX noch nicht ganz ausgearbeitet, laut Meyer wären aber ein bis zwei SPAC-Börsengänge noch dieses Jahr durchaus realistisch.
(awp/mlo)