Die Frühlingsmonate sind besonders gefürchtet. Denn zwischen Februar und Juni, wenn sich eine Generalversammlung an die andere reiht, müssen die Schweizer Konzernchefs wieder Rede und Antwort stehen. Manchmal kommt nur ein Telefonanruf aus London, wo die Spezialisten der Corporate-Governance-Einheit von BlackRock hocken, manchmal reisen die Spezialisten des US-Multis auch persönlich in die Schweiz, um ihren Standpunkt darzulegen.
Mit 6000 Milliarden Dollar an verwalteten Vermögen ist BlackRock der grösste Vermögensverwalter der Welt. Die Milliarden sind zu einem guten Teil auch in der Schweiz parkiert – bei praktisch allen Schweizer Grossfirmen ist BlackRock Aktionär, meist indirekt über die Fonds, in die die Aktien der Schweizer SMI-Firmen eingebracht sind. So besitzt BlackRock 3,4 Prozent an Novartis oder 4,2 Prozent an Adecco (siehe Liste unten). Das bedeutet auch, dass die Amerikaner an den hiesigen Generalversammlungen ein gewichtiges Wörtchen mitzureden haben – und dies auch tun: Die Analyse des Stimmverhaltens zeigt, dass BlackRock im letzten Jahr an jeder vierten Generalversammlung in der Schweiz mindestens einmal mit Nein gestimmt hat. Insgesamt 8 Prozent der Traktanden wurden abgelehnt.
Machtbeweise
Dabei ist das Stimmverhalten nur eines der Machtinstrumente. Vieles läuft im Vorfeld der Aktionärsversammlungen, wenn der grosse Investor in «Engagementgesprächen» mit dem Management seine Vorgaben einbringt. Es sich mit BlackRock zu verderben, kann gefährlich sein. Dies musste etwa die Bank Julius Bär 2013 erfahren, als sich Bär-CEO Boris Collardi nach einer Übernahme noch eine Zusatzprämie auszahlen lassen wollte. Es soll daraufhin vertrauliche Gespräche der Corporate-Governance-Vertreter von BlackRock mit dem Bär-Management gegeben haben, in denen der Bank signalisiert wurde, man werde derlei kategorisch ablehnen. Bär liess sich nicht beirren und stellte das Traktandum unverändert zur Abstimmung – und bekam eine Klatsche, weil viele Aktionäre die Argumente von BlackRock übernahmen: Zwei Drittel der Aktionäre lehnten den Vergütungsbericht ab. Solche Machtbeweise haben BlackRock auch hierzulande zum Schrecken für Firmenchefs gemacht.
«Bis vor kurzem fanden wir vor allem in der Schweiz, in Deutschland und in Frankreich nur schwer Zugang zum Management. Dies hat sich mittlerweile geändert», liess Amra Balic, Chefin Investment Stewardship, kürzlich ein einem Zeitungsinterview wissen. Balic leitet das für Europa zuständige, elfköpfige Corporate-Governance-Team in London.
In der Schweiz haben es Balic und ihr Team unter anderem auf die Sesselkleber abgesehen. So erkennt BlackRock Verwaltungsratsmitglieder, die länger als zwölf Jahre im Amt sind, nicht mehr als unabhängig an. Zwar fügt der Anlageriese seiner Definition den Ausdruck «in der Regel» hinzu und wird nicht müde, zu betonen, jeder Fall werde individuell beurteilt, doch de facto werden immer mehr Verwaltungsräte mit langer Amtszeit ganz einfach nicht mehr wiedergewählt. Dies soll letztes Jahr etwa auch beim Personalvermittlungskonzern Adecco der Fall gewesen sein, wo Präsident Rolf Dörig das Placet nicht bekam. Weder BlackRock noch Adecco wollten dazu Stellung nehmen.
Doch in eigener Sache druckst Black-Rock in solchen Fragen herum. Das zeigt aktuell das Beispiel der Besetzung des eigenen Verwaltungsrats. Im Board des US-Riesen hat ein bekannter Schweizer Einsitz: Mathis Cabiallavetta, Ende der neunziger Jahre Konzernchef der UBS und von 2008 bis 2016 VR-Mitglied der Swiss Re. Bei BlackRock sitzt Cabiallavetta schon seit 2007 im Verwaltungsrat. Damit würden dieses Jahr also die 12 Jahre voll. Doch auf die Frage, ob er an der kommenden Generalversammlung vom 23. Mai wieder zur Wahl stehe, will BlackRock keine Stellung nehmen. Der diesbezügliche Entscheid sei noch nicht gefallen.
Auch auf die Nachfrage, ob denn die 12-Jahres-Guillotine bei Cabiallavetta nicht automatisch zur Anwendung kommen müsste, will BlackRock keine Stellung nehmen, verweist aber indirekt auf die in den USA etwas anderen Corporate-Governance-Gepflogenheiten als in Europa. Dabei müsste spätestens 2020 ohnehin Schluss sein für Cabiallavetta – dann wird er 75, und das ist die interne Altersgrenze im BlackRock-VR.
Sesselkleber Fink
Ein anderer im Gremium hat gar über 20 Jahre im VR auf dem Buckel: Firmengründer Larry Fink selber, seit 1998 Verwaltungsratspräsident. Als angemessen gelten derart lange Amtszeiten höchstens bei Verwaltungsräten, die gleichzeitig Besitzer sind. Gründer Fink aber hält heute nur noch 0,64 Prozent an BlackRock (ein Paket, das angesichts des Börsenwertes von 66 Milliarden Dollar allerdings beachtliche 430 Millionen wert ist).
Auch in der Schweiz gibt es jedoch Manager mit sehr langer Amtszeit, die von BlackRock geschont werden. So stimmte der Vermögensverwalter an der letzten Generalversammlung der Swiss Re für die Wiederwahl von Walter Kielholz, der seit 1998 im VR Einsitz hat. Offenbar hat es der Swiss-Re-Präsident geschafft, BlackRock in persönlichen Gesprächen die Bedeutung seiner Person für die Firma klarzumachen, 20 Jahre Amtszeit hin oder her.
Schon 2017 berichtete die «Handelszeitung» von einem Treffen, an dem sich BlackRockVertreter mit Kielholz und dem damaligen Finanzchef David Cole ausgetauscht hätten. Investment-Stewardship-Chefin Balic hat kürzlich generell betont, bei BlackRock gelte «Comply or explain»: Wenn eine Firma ihren Standpunkt nachvollziehbar erklären könne, dann lasse man sich überzeugen.
Personelle Nähe zu BlackRock
Ein Vorteil für Kielholz ist womöglich, dass es eine grosse personelle Nähe zu Black-Rock gibt. So war Cabiallavetta nach 2009 Kielholz’ Vize im Swiss-Re-VR und damit dessen wichtigster Ansprechpartner. Auch geschäftlich ist man sich nahe.
In der Schweiz, wo BlackRock eine Ländergesellschaft mit über hundert Mitarbeitern betreibt, machte Swiss Re 2012 mit den Amerikanern einen wichtigen Deal, der ihnen hier den Quantensprung ermöglichte: der Verkauf des Privatmarktgeschäfts. Treibende Kraft hinter dem Verkauf war laut Insidern Cabiallavetta, dem seit der Finanzkrise von 2008 bei der Swiss Re die Aufgabe zukam, den Anlagebereich wieder in Ordnung zu bringen und jene Aktivitäten abzustossen, die nicht zum Kerngeschäft gehörten. Bei der Neupositionierung hatte ein anderer Schweizer, der heute bei BlackRock auf der Teppichetage wirkt, als Chief Investment Officer eine wichtige Rolle: David Blumer, seit 2013 bei BlackRock und heute Global Head of Black-Rock Alternative Investors.
BlackRock hat wiederholt betont, es gebe «Chinese Walls» zwischen der Corporate-Governance-Einheit und den anderen Bereichen der Firma. Dennoch dürfte die persönliche Nähe zu den BlackRock-Oberen es Kielholz erleichtert haben, zu erspüren, was aus Sicht von deren Unternehmen in derlei Fragen wichtig ist.
BlackRock agiere oftmals ohne tiefere Kenntnis
Weniger eng und freundschaftlich ist der Kontakt zu anderen grossen Schweizer Firmen. So lehnte BlackRock letztes Jahr bei der Swatch Group die Wiederwahl von Nayla Hayek als Präsidentin ab. Eine Begründung wurde nicht geliefert, ist bei der Swatch Group in Erfahrung zu bringen, ja mehr noch: Es habe keinerlei Kontakte im Vorfeld gegeben.
Auch zu diesem Fall will BlackRock keine Stellung nehmen. Es handelt sich aber kaum um einen Einzelfall. Auch wenn die Corporate-Governance-Gruppe von heute weltweit rund 40 auf 60 Personen aufgestockt werden soll, so bleibt für die fundierte Analyse wohl generell wenig Zeit: An 15 000 Generalversammlungen gibt sie weltweit ihre Stimme ab. Kein Wunder, wird ihr Vorgehen von vielen Firmen als schablonenhaft empfunden.
Moniert wird, BlackRock agiere stur und oftmals ohne tiefere Kenntnis der Gegebenheiten einer Firma. Das musste etwa das Private-Equity-Unternehmen Partners Group aus Baar 2015 erleben, als zwei Anträge an der GV kein grünes Licht von BlackRock bekamen. Aufgestossen war BlackRock unter anderem, dass das Budget für die Vergütung der Geschäftsleitung und des VR viel zu hoch sei. Im Modell der Corporate-Governance-Wächter in London war allerdings nicht berücksichtigt, dass der Grossteil der Vergütung aus einem Anteil an erfolgsabhängigen Erträgen der von der Partners Group getätigten Anlagen besteht. Die Höhe der Vergütung hängt somit direkt vom Erfolg der getätigten Investitionen ab. Um gute Ergebnisse für Kunden im Budget zu berücksichtigen, wird es daher vorsorglich höher aufgestellt.
Partners Group gab Gegensteuer
In diesem Fall konnte das Investor-Relations-Team der Partners Group Gegensteuer geben: Es gelangte direkt an den zuständigen Fondsmanager von Black-Rock. Der kannte die Firma besser und redete nochmals mit seinen Corporate-Governance-Kollegen, die ihren Entscheid in der Tat rückgängig machten.
Inzwischen scheint sich in Baar generell eine Skepsis über die Vorgehensweise von gewissen Aktionärsvertretern etabliert zu haben. Letztes Jahr vertrat VRPräsident Steffen Meister in einem White Paper mit dem provokativen Titel «The rise of ‹Governance Correctness›» die Ansicht, dass ein «exzessiver Fokus auf Corporate-Governance-Praktiken den unternehmerischen Spielraum einengt».
Umstrittene Vorgaben von BlackRock
Peter Wuffli, Vorgänger von Meister als Präsident und letztes Jahr von BlackRock in seiner Funktion als Mitglied des Kompensations-Komitees nicht wiedergewählt, unterstützt die Thesen des White Paper. «Wir wehren uns gegen Formeln. Mechanistische Leitsätze werden unternehmerischem Handeln meist nicht gerecht», so Wuffli. Viele der Vorgaben von BlackRock etwa seien umstritten, und dies mit gutem Grund: Es gebe oft gute Argumente für die gegenteilige Position.
Als Beispiel nennt er die Vorgabe, dass insbesondere im Riskoder Audit-Komitee keine abhängigen Verwaltungsräte amten sollten. So wurde die Position von Partners-Group-Mitgründer Alfred Gantner als Mitglied dieses Ausschusses von Aktionärsvertretern kritisiert. «Was aber gibt es Besseres, als jenen Vertreter im Risk-Komitee zu haben, der als Grossaktionär mit seinem persönlichen Vermögen von falschen Risikoentscheiden direkt betroffen ist?», so Wuffli.
«Wir wehren uns gegen Formeln. Mechanistische Leitsätze werden unternehmerischem Handeln meist nicht gerecht.»
Peter Wuffli
Kritik an der Methode der Vergütung und damit verbunden oft auch an den Mitgliedern des Vergütungskomitees gehört zu den häufigsten Gründen für ein Nein seitens BlackRock. Auch hier fällt auf, wie stark dies oft von formalistischen Vorstellungen geprägt ist. Die schiere Höhe der Löhne indes ist kein Grund für eine Ablehnung. So fanden etwa die 14,2 Millionen Franken Salär von UBS-Chef Sergio Ermotti letztes Jahr problemlos die Zustimmung. Schweizer Aktionärsvertreter handhaben das anders. So ist die Haltung von Ethos-Geschäftsführer Vincent Kaufmann klar: Seine Organisation hätte noch nie Entschädigungen von über zehn Millionen Franken akzeptiert.
28 Millionen für Larry
Allgemeine Lohnobergrenzen sind bei BlackRock kein Thema. Kein Wunder: Der eigene Chef ist ja auch kein Kind von Traurigkeit – Larry Fink kassierte letztes Jahr 28 Millionen Dollar.
Viele der Vorgaben von BlackRock sind letztlich Ausdruck einer Weltanschauung, die im Falle dieses Unternehmens erstens sehr amerikanisch und zweitens stark von den persönlichen Ansichten des Gründers Fink geprägt ist. Doch was ist eine angemessene Kompensation? Wie wird Unabhängigkeit treffend definiert?
Moniert werden auch die je nach Region unterschiedlichen Vorgaben. In Grossbritannien gelten zehn Jahre Amtszeitbeschränkung als angebracht, in Kontinentaleuropa zwölf Jahre. Verwaltungsräte, die Mandate sowohl auf der Insel wie auch auf dem Festland haben, witzeln, es genüge mitunter, eine Zugfahrt durch den Ärmelkanaltunnel zu machen, um aus Corporate-Governance-Sicht wieder ein unabhängiger Verwaltungsrat zu sein.
Derzeit sieht es nicht danach aus, als ob BlackRock die Firmen stärker von der Leine lassen wollte. Im Gegenteil: In seinem jährlichen Brief an die CEOs der Welt betonte Larry Fink zuletzt, der Einfluss der Aktionäre solle in Zukunft noch weiter steigen. So will er die Firmen künftig vermehrt zu Nachhaltigkeit zwingen und Umweltschutz- oder Genderfragen stärker beachten. Dass aber auch solche Themen letztlich Zeichen einer persönlichen Wertehaltung sind, zeigt die Diskussion bei einem anderen grossen amerikanischen Anleger: CalPERS, der Pensionskasse von Kalifornien. Dort wurde jüngst die Vertreterin für Nachhaltigkeit abgewählt und durch einen Polizisten als Vertreter der Pensionierten ersetzt (siehe «Nicht Welt verbessern – Geld verdienen!» unten).
Der Cop steht für die Meinung vieler Kollegen, die bei der Pension auf jeden Cent angewiesen sind: Die Aufgabe einer Firma ist es nicht, die Welt zu verbessern, sondern möglichst viel Geld zu verdienen.
Sie war eine der Galionsfiguren beim derzeit angesagten Thema Nachhaltigkeit, reiste in der Welt herum, um an Konferenzen ihre Botschaft in Sachen Umweltschutz oder Genderfragen zu propagieren – und verlor nun in einer Kampfwahl ihren Job an einen simplen Polizeibeamten. Priya Mathur, Präsidentin von CalPERS, der Pensionskasse der Staatsangestellten von Kalifornien, erhielt an der letzten Verwaltungsratswahl nur 43 Prozent der Stimmen, 57 Prozent gingen an Jason Perez, Sergeant im Corona Police Department. Der steht für eine ganz andere Haltung: Die Aufgabe einer Pensionskasse sei nicht, die Welt zu verbessern, sondern eine möglichst hohe Rendite für die Gelder der Pensionäre zu erwirtschaften.
CalPERS hatte mit ihren 1,9 Millionen Versicherten und Anlagegeldern von 350 Milliarden Dollar viel Geld auf dem Tisch gelassen: Gemäss Studien gingen allein mit dem Ausstieg aus den Tabak-Aktien nach 2000 rund drei Milliarden Dollar Rendite verloren. Viele Pensionäre sind der Ansicht, CalPERS könne sich nicht leisten, ethisch eine Vorreiterrolle zu spielen: Mit 71 Prozent weist die Pensionskasse eine deutliche Unterdeckung auf. Als Mitte 2018 ein Zehnjahresrapport veröffentlicht wurde, der zeigte, dass in einem der am längsten anhaltenden Bullenmärkte der Börsengeschichte nur rund die Hälfte des in diesen Jahren gemessenen S&P-500-Zuwachses realisiert wurde, war endgültig genug – und die Tage der Nachhaltigkeits-Chefin gezählt.
Dieser Artikel erschien in der April-Ausgabe 04/2019 der BILANZ.