Nach dem fürchterlichen Jahr 2022 treibt viele der Gedanke um, was alles schiefgehen könnte – mich eingeschlossen. Meine Sorgen sind jedoch nicht die, um die es gerade überall geht, wie die Ukraine oder die weltweite Inflation – sie werden von zu vielen beobachtet und sind daher eingepreist. Was meine positive Haltung für 2023 bedroht, sind verborgene, unliebsame Überraschungen. Davon wird vermutlich heute keine den Aktien schaden. Aber das kann sich schnell ändern.
Zunächst jedoch etwas anderes: Die meisten Pessimisten und Pessimistinnen setzen auf verbreitete Ängste – steigende Zinsen, Folgen der Credit-Suisse-Entwicklung, niedrige Unternehmensgewinne, Putins Krieg. Das sollten sie nicht. Effiziente Märkte preisen weithin bekannte Daten zügig ein. Für mehr als einfache Volatilität reicht das Überraschungsmoment dann nicht mehr. Märkte bewegen sich am stärksten bei Überraschungen.
Suchen Sie also nach unbemerkten, plötzlichen Ereignissen – wie ein unerklärliches Einfrieren von Krediten. Gerade ist der globale Kreditzuwachs hoch. In den USA war er im Januar gegenüber dem Vorjahr mit 11,7 Prozent fast dreimal so stark wie im letzten Januar mit 4,3 Prozent. Die inländischen Kredite in der Schweiz legten, ohne Hypotheken, langsamer zu – um nur 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das entspricht aber dem Wachstum von vor der Pandemie und liegt über jenem in der Mitte der 2010er Jahre. Neue Kredite treiben das Wirtschaftswachstum voran.
Doch diese Daten sind nicht inflationsbereinigt. Wenn die globale Kreditvergabe unter die Inflationsraten sinkt, könnte das eine stille Kontraktion signalisieren.
Erinnerungen an 1937
Die milde Inflation und schwache Kreditvergabe in der Schweiz bedeuten, dass die Bedrohung hier woanders herkommt. Warum? Wenn sich die reichliche und günstige Finanzierung für ausländische Banken verschlechtern würde – der im Dezember hier beschriebene Einlagenüberschuss –, müssten die Banken mit teuren Tagesgeldern um Finanzierungen konkurrieren, was die Rentabilität und Attraktivität der Kreditvergabe verringert.
Ken Fisher ist Gründer und Executive Chairman von Fisher Investments, einer Vermögensverwaltungsfirma mit Niederlassungen in sechs Ländern, die rund 188 Milliarden Dollar verwaltet. Fisher zählt zu den einflussreichsten (und auch reichsten) Investmentmanagern der USA.
Das trifft aktuell aber nicht zu. Schweizer Sparzinsen liegen bekanntlich im Schnitt bei 0,19 Prozent und hinken selbst den niedrigen 0,33 Prozent in den USA hinterher. Bei einigen Grossbanken gibt es jedoch Hinweise auf Erhöhungen. Die US-Banken nutzen die Märkte für Tagesgelder stärker – damit könnte die Einlagenbasis erodieren.
Noch beängstigender: Wenn grosse Zentralbanken wie die amerikanische Federal Reserve und andere, die – anders als die SNB – 2020 die Mindestreserveanforderungen gesenkt haben, verärgert darüber sind, dass die Zinserhöhungen die Kreditvergabe nicht verringern, können sie diese Anforderungen wieder verschärfen. Läuft das falsch, könnte es vernichtend sein. Die massive Rezession von 1937 in der westlichen Welt wurde davon angetrieben.
Vorsicht vor dem Tarnkappentorpedo
Auch die Geopolitik birgt heimliche Risiken. Nicht der viel beachtete, hoch eingepreiste Ukraine-Konflikt. Beobachten Sie stattdessen die alten Feinde Indien und Pakistan. Pakistan beginnt gerade mit dem Import russischen Öls und verärgert damit Indien, weil der günstige Ölpreis, in dessen Genuss Indien bisher kam, nun in die Höhe getrieben wird. Auch China hat Interessen in der Region. Ein Konflikt würde zwei grosse Volkswirtschaften und drei Nuklearmächte darin verwickeln. Jahrzehntelange Patzer in der Südasienpolitik geben dem Westen kaum beruhigenden Einfluss auf einem zweiten Schauplatz.
Meine grösste Sorge? Das, was niemand absehen kann – auch ich nicht. Ein echter Tarnkappentorpedo! Steigern Sie sich jedoch in nichts hinein. Aktien steigen sehr viel öfter, als sie fallen. Betrachtet man wegen seiner langen Geschichte den amerikanischen S&P 500, stiegen seit 1925 in 75 Prozent der gleitenden Zwölfmonatsperioden die Renditen. Bei den Schweizer Aktien waren es 72 Prozent dieser Perioden seit dem Jahr 1969.
Für mich sieht 2023 gut aus. Geniessen Sie es – aber halten Sie Ausschau nach unwahrscheinlichen, näherkommenden Schocks.