Als «Neuheit im Angebot» preist die Helvetia eine anteilsgebundene Lebensversicherung der dritten Säule namens Helvetia Trendmarket an. Basis des Produkts ist eine Kapitalschutzanleihe bei der britischen Barclays Bank. Bei Swiss Life heisst eine fast identische Versicherung Premium Select. Beide Angebote stehen für einen Trend, der sich in nächster Zeit noch verstärken wird: Die Versicherer kreieren Produkte, die das Risiko an die Kunden auslagern. Diese müssen nun etwa abschätzen, ob Barclays für die Investition solvent genug ist. Für Helvetia und Swiss Life liegen hingegen die Vorteile auf der Hand. Sie müssen das eingegangene Risiko nicht selber mit Eigenkapital abdecken, das neue Produkt kommt sie damit günstig. Zumindest die Helvetia honoriert dies, indem sie für die Versicherten die eidgenössische Stempelsteuer übernimmt.

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Antreiber hinter diesem Trend ist der Swiss Solvency Test (SST), der 2011 für die Schweizer Versicherungsbranche eingeführt wird (siehe «Kontinuierlicher Stresstest für Versicherungen»). Im Januar fällt zwar der Startschuss, doch niemand erwartet, dass es auf diesen Zeitpunkt hin in der Branche grosse Änderungen geben wird. «Es gibt voraussichtlich keinen Big Bang», sagt Hans-Jürgen Wolter, Versicherungsexperte bei Ernst & Young. Der Grund: Der Solvenztest habe eine lange Vorlaufphase hinter sich. 2005 wurde er beschlossen, seither fanden mehrere Testläufe statt. Die Versicherer haben sich teilweise bereits angepasst. Der Aktienanteil in den Kapitalanlagen der Versicherer habe sich reduziert, beobachtet Marc Chuard, Leiter des Ressorts Wirtschaft und Recht im Schweizerischen Versicherungsverband (SVV). Er ist auch überzeugt, dass die Versicherungsbranche die Finanzkrise wegen des SST viel besser gemeistert hat.

Als sicher gilt allerdings, dass der SST Einfluss auf die Produktpalette haben wird und dort bisherige Entwicklungen verstärken dürfte. Dies bestätigen befragte Versicherer: Swiss Life erklärt etwa, mit dem SST müsse jeder Versicherer die offerierten Garantien mit Risikokapital unterlegen. «Dies wird dazu führen, dass den Kunden eher reduzierte Garantien abgegeben werden oder dass die Garantien teurer werden.» Ähnlich tönt es von der Allianz. Der Margendruck bei den Lebenprodukten werde tendenziell steigen, was sich auch im Preis niederschlagen könnte. «Zudem werden die Versicherer in ihrer Anlagepolitik wohl noch konservativer werden, was die Produkte zwar sicherer, aber für die Kunden weniger ertragreich macht», heisst es in der Einschätzung.

Neue Marschrichtung. Helvetia erklärt, für konkrete Aussagen sei es noch zu früh. Zuerst müssten nun noch mögliche Auswirkungen des SST analysiert werden. Dies betreffe auch die Produktgestaltung, zu der man noch keine abschliessenden Aussagen machen könne. Zurich weist darauf hin, dass momentan ein Genehmigungsverfahren für das interne Risikomodell sowie die SST-Ratio von über 200 Prozent laufe. Man sehe deshalb «keine Notwendigkeit, weitere Anpassungen vorzunehmen». Keine Veränderungen erwartet auch Axa Winterthur. Man verfolge seit längerem «eine kapital- und risikoadjustierte Unternehmenssteuerung», welche die Auswirkungen des SST auf die konkrete Produktgestaltung weitgehend vorweggenommen habe.

Während die neue Marschrichtung bei den Angeboten für die meisten Versicherungsgesellschaften klar zu sein scheint, sind entscheidende Details des SST noch kaum abschätzbar. Das betrifft nicht zuletzt die Resultate. Der Grund sind die tiefen Zinsen. Versicherer, die sich bei den letzten Testläufen noch auf der sicheren Seite wähnten, sehen sich nun plötzlich doch noch unter Druck. Ein weiterer Grund liegt bei der Planung der Finanzaufsichtsbehörde, die nicht aufgeht. Den Versicherungsgesellschaften wurden zu grosszügige Fristen zugestanden, um eigene Modelle zur Berechnung des SST einzureichen. Nun fehlt der Finma die Zeit für deren Überprüfung. Der Einsatz interner Modelle ist für die Versicherer aber zentral. Sie können damit die für sie heiklen Geschäftsbereiche besser abbilden als mit dem Standardmodell. Das hat einen entscheidenden Effekt: Der Eigenkapitalbedarf liegt tiefer.

Es gibt ein weiteres Konfliktfeld: die Bewertung von Immobilien. Die Versicherungen klagen, die Finma stufe diese Anlagen als viel zu riskant ein – wie Aktien. Mehr oder weniger alle Exponenten der Branche äusserten sich in den letzten Monaten negativ über die Einschätzungen der Finma. Bâloise-Chef Martin Strobel prophezeite, dass die Vorschriften eine Absetzbewegung aus der doch so solide Erträge bringenden Anlageklasse zur Folge haben würden. Swiss-Life-Konzernchef Bruno Pfister warnte an der Bilanzpressekonferenz vor «schweren Verwerfungen am Schweizer Immobilienmarkt», falls kein vernünftiger Kompromiss erreicht werden könne.

Die Einstufung als riskante Anlagen bereitet vor allem den Lebensversicherern Sorgen. Sie legen Kundengelder in Immobilien an und decken mit den Mieteinnahmen die Renten ab. Die strenge Risikoeinstufung wird damit zu einem Problem, wie sich in den SST-Testläufen deutlich zeigte: 9 von 21 Versicherern im Bereich Leben blieben unter der SST-Grenze von 100 Prozent (siehe Tabelle im Anhang). Vorläufig ist der Streit um das Risiko im Schweizer Immobilienmarkt nicht geschlichtet. Es sei klar, dass Gesellschaften mit einem grossen Immobilienbesitz tendenziell mehr Probleme hätten, gut abzuschneiden, konstatiert Marc Chuard vom Versicherungsverband.

Rollender Prozess. Neben den Lebensversicherungen gibt es einen zweiten Bereich, in dem die Vorschriften der Finma für Veränderungen sorgen könnten. In der stark regulierten beruflichen Vorsorge könnten die Eigenkapitalvorgaben das Vollversicherungsmodell unter Druck setzen. Nur wenn die Parameter so bleiben, wie sie aktuell sind, sei das Geschäft für die Versicherer noch rentabel, heisst es aus der Branche. Hans-Jürgen Wolter erwartet, dass die Versicherer vermehrt das teilautonome Modell – bei dem Risiken ausgelagert werden – anbieten werden. Auch hier könnte für die Versicherer der entscheidende Punkt sein, dass sie für teilautonome Sammelstiftungen weniger Eigenkapital benötigen.

Neben der verspäteten Bewilligung der internen Modelle und dem Streit über die Einstufung von Immobilien gibt es einen weiteren Grund, dass die Einführung des SST wohl ein rollender Prozess sein wird. Gemeint ist die Annäherung an ein ähnliches Testsystem der EU. Es heisst Solvency II und soll 2012 starten. Im Idealfall haben die Schweizer Versicherer mit dem SST ein Jahr lang die Nase vorn. Ob dieser Plan aufgeht und sich die Kriterien wirklich vergleichen lassen, steht allerdings in den Sternen. Noch sind die Parameter von Solvency II nicht bekannt. Dies könnte einer der Gründe sein, wieso sich die Finma mit der Bewertung der Modelle schwer tut. «Sie möchte nichts bewilligen, was die Äquivalenz von SST und Solvency II, die derzeit geprüft werden, in Frage stellen würde», vermutet Hans- Jürgen Wolter von Ernst & Young.

Ob die Kunden die Produktoffensive vor allem bei den Lebensversicherungen mitmachen werden, ist noch offen. Klar ist, dass solche Anpassungsprozesse langsam vor sich gehen und dass alle Anstrengungen der Versicherungsagenten, die neuen Produkte rasch und in grosser Zahl abzusetzen, das Resultat des SST kaum von heute auf morgen beeinflussen werden.

Teuer bezahlte Sicherheit. Der Grund dafür sind die bestehenden Versicherungsverträge mit ihren langen Laufzeiten, die nicht einfach geändert werden können. Entscheidender dürften deshalb kurzfristig interne Umschichtungen bei den Anlagen sein, so die Meinung von Hans-Jürgen Wolter.

Die Veränderungen werden die Versicherungskunden vor allem im Bereich Leben und allenfalls in der beruflichen Vorsorge zu spüren bekommen. Sie werden die zusätzliche Sicherheit, die der SST bringt, wohl mitzahlen müssen. Keinen Einfluss dürfte der SST hingegen auf Sachversicherungen haben. Das Zückerchen von Preisreduktionen bei Massenprodukten wie der Motorfahrzeug- oder der Hausratsversicherung war ein Argument der EU-Kommission, die für die Einführung von Solvency II zuständig ist. Zumindest in der Schweiz werden die Kunden nicht profitieren können: Auf die Sachversicherungen wird sich der SST nicht auswirken, sagt Marc Chuard klipp und klar.