Die Schweiz sei das Eldorado der Handelshäuser, heisst es. Und das war sie wohl auch während vieler Jahrzehnte. Welthandelsfirmen wie André, Volkart, Siber-Hegner, UTC, Desco von Schulthess, Züllig, Diethelm Keller spielten in der Liga der ganz Grossen mit. Etliche der klingenden Namen haben erheblich an Glanz eingebüsst.
Denn der wichtigste Asset dieser ehemals reinen Handelsfirmen – die intime Kenntnis weit entfernter Märkte und der privilegierte Zugang zu ihnen – ist mit der Globalisierung weit gehend obsolet geworden, jedenfalls wenn es schlicht um die Beschaffung, den Transport und die Verteilung von Waren geht. «Das Trading in seiner traditionellen Art ist tot», sagt denn auch Andreas W. Keller (Bild), VR-Präsident der Diethelm-Keller-Gruppe. Wo man früher tage- oder gar wochenlang reisen musste, um Zugang zu einem Markt zu bekommen, genügt heute ein Mausklick. Information, einstmals ein kostbares Gut, ist heute jedermann jederzeit zugänglich.
Kurz: Die Handelshäuser müssen die Grundlage ihres Geschäfts überdenken, wenn sie in alter Stärke weiter bestehen wollen. Mit Handel allein lässt sich keine nennenswerte Wertschöpfung mehr erzielen – die Palette an zugewandten Dienstleistungen muss verbreitert werden. Und das wiederum verlangt nach Spezialisierung, was die Produkte und die bearbeiteten Märkte angeht.
Ein Musterbeispiel für den Strategiewandel ist die Diethelm-Keller-Gruppe. Im 19. Jahrhundert als reine Handelsfirma in Südostasien entstanden, hat sie sich über mehrere Jahrzehnte hinweg zum diversifizierten Mischkonzern entwickelt und wird heute von der vierten Generation zu neuen Ufern geführt.
Dabei war die Diethelm-Keller-Gruppe bis vor kurzem ein Unikum, bestand sie doch eigentlich aus zwei Firmen. Die beiden Gründer, Wilhelm Heinrich Diethelm in Singapur und Eduard Anton Keller in Manila, etablierten sich in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts in Südostasien. Beide Unternehmen wurden unabhängig voneinander aufgebaut, auch wenn die beiden Gründer einander kannten und ihre Geschäftstätigkeit koordinierten. Schon in der zweiten Generation ergab sich durch Heirat auch eine familiäre Verknüpfung. Und fortan – bis ins Jahr 2000 – wurden der Diethelm- und der Keller-Zweig als selbstständige juristische Einheiten mit personellen Verschränkungen weitergeführt.
Erst 1993, mit dem Tod von Mark Diethelm, dem Vertreter der dritten Diethelm-Generation in der Führungsriege, ergab sich eine neue Ausgangslage. In der Diethelm-Gruppe hatten damals vier Familienzweige das Sagen, aber keiner besass die Mehrheit. Mark Diethelms Tochter Evi Diethelm, die eigentlich in die Fussstapfen ihres Vaters treten wollte, wurde nicht akzeptiert und liess sich auszahlen. Ihr Aktienpaket ging an die Ed. Keller – damit wurde der juristische Zusammenschluss der Firmen möglich und im Jahre 2000 auch vollzogen. Geführt wird das fusionierte Unternehmen von Andreas W. Keller als VR-Präsident. Und auch die Nachkommen des anderen Firmengründers, Wilhelm Heinrich Diethelm, haben ihre Sitze im Verwaltungsrat der Gruppe. Zusammen kontrollieren sie 80 Prozent des Aktienkapitals der Diethelm-Keller-Gruppe. Die restlichen 20 Prozent verteilen sich auf Mitarbeiter beziehungsweise deren Erben und auf den Eigenbestand der Firma. Die Gruppe ist also nach wie vor ein reines Familienunternehmen.
Zum Jahresbeginn 2001 legt die Führungscrew nun die neue Firmenstruktur vor, deren Umsetzung dem CEO Erich Hunziker obliegt. Eine wahrhaft titanische Aufgabe, denn die beiden Unternehmen der Gruppe sind im Lauf ihrer Geschichte zu einem schwer durchschaubaren Konglomerat aus Handelsbetrieben, Dienstleistungsunternehmen und Produktionsstätten gewachsen, mit mehr als 15 000 Beschäftigten, die meisten davon in verschiedenen asiatischen Ländern, aber auch in Europa und den USA.
Die neue Struktur sieht die Gliederung der Gruppe in vier Divisionen vor. Unter dem Dach der Diethelm Keller Holding Ltd. werden die vier Bereiche als quasiselbstständige Unternehmen geführt. Der Geschäftsbereich Diethelm Keller Services Asia ist aus dem Handelsgeschäft herausgewachsen und umfasst eine riesige Palette von Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Produkten in Asien – von der Produktentwicklung über die technische Ausbildung des Personals, den Import, die Lagerhaltung, das Marketing, den Vertrieb, die Montage bis zum After-Sales-Service. Die Breite dieses Angebots verlangt nach Spezialisierung. Deshalb macht Diethelm Keller auch nicht alles und jedes, sondern beschränkt sich auf fünf Kernbereiche: chemische Spezialitäten, Technologie, Healthcare, Konsumprodukte und Logistik sowie Nahrungsmittelbestandteile. Dieser Unternehmensteil beschäftigt vor allem in Asien rund 11 000 Personen.
Zu den guten Kunden gehört seit 50 Jahren der Basler Pharmakonzern Hoffmann-La Roche, und an ihm lässt sich zeigen, wie sich die Rolle der Handelsfirmen verändert hat. «Damals (also vor 50 Jahren) wäre die ganze Wertschöpfungskette eines neuen Produkts wie Zenical von Roche-eigenen Funktionen betreut worden», sagt Erich Hunziker, «heute behält der Kunde die Kontrolle über Forschung und Entwicklung sowie über die Arztkontakte. Alles andere wird outgesourced. Und da wollen wir der beste Partner sein.»
Im Bereich Diethelm Keller Management & Investment sind ein gutes Dutzend Produktionsunternehmen zusammengefasst, darunter etliche mit klingenden Markennamen: Turmix und Zyliss, zwei Unternehmen für Haushaltgeräte, vonHoff, Spezialist für Brillen und Optikerausrüstung, Koenig Haushaltgeräte (darunter der Weber-Kugelgrill), Ketol-Desinfektionsmittel, Delta-Acrylfarben in den USA, Diethelm Singapore mit Zubehör für die Airline-Industrie und Gartenmöbeln aus Plantagen-Teak. In diesem Bereich strebt die Gruppe «starke Brands in kleinen Segmenten» an. Denn, so meint Andreas Keller: «Lieber zehn Millionen Umsatz mit einem schönen Gewinn als ein Riesenumsatz, der nichts bringt.»
Die Diversität besonders dieses Bereichs setzt voraus, dass an der Spitze jedes Bauteils unternehmerische Qualitäten zu finden sind. «Wir sind eine People-Company» sagt Andreas Keller, «wir brauchten schon immer die richtigen Leute am richtigen Ort.» In der Tat: In der Zeit der langsamen Kommunikation wäre es verheerend gewesen, wenn die Chefs der einzelnen Firmenteile jeweils die Direktiven aus Zürich hätten abwarten müssen. Und so ist vor allem in diesem Bereich der Diethelm-Keller-Gruppe ein unternehmerisches Know-how versammelt, das ihn dazu prädestiniert, sich weiter zu ergänzen. Erich Hunziker meint gar: «Management & Investment würde sich auch als Holdingdach eignen, zum Beispiel für kleine und mittlere Familienunternehmen mit Nachfolgeproblemen, bei denen der Patron das familiäre Klima erhalten will.» Und schliesslich wäre gerade dieser Unternehmensteil dazu geeignet, gelegentlich den Börsengang zu wagen.
Die dritte Säule der Gruppe ist Diethelm Travel, ein Reiseveranstalter vor allem im innerasiatischen Geschäft. Dieser Bereich betreut zum Beispiel mit anderen Veranstaltern aus Europa ankommende Touristen, bietet Ausflugs- und andere Dienstleistungen an. Künftig sollen vor allem neue asiatische Märkte erschlossen werden, allen voran die Philippinen, Indonesien, Hongkong und China. Und überdies will Diethelm Travel zum führenden Anbieter im MICE-Geschäft werden, wobei MICE für «Meetings, Incentives, Conferences und Exhibitions» steht.
Als vierten Bereich betreibt die Diethelm-Keller-Gruppe den STA-Travel-Service, eine Reisebürokette vornehmlich für junge Leute, die aus der australischen Studentenreise-Organisation hervorgegangen ist und zu der mittlerweile auch der Schweizer Studenten-Reisedienst (SSR) gehört. Die Organisation verfügt weltweit über 280 Büros und eröffnet derzeit in den USA eine neue Niederlassung pro Woche. Im vergangenen Geschäftsjahr wurden 4,4 Millionen Beförderungen durchgeführt. Dieser Teil der Gruppe ist auch der einzige, der ganz offiziell Zahlen publiziert: rund 1500 Beschäftigte erwirtschaften einen Umsatz von 700 Millionen Dollar.
Insgesamt aber ist die Diethelm-Keller-Gruppe, was Zahlen angeht, so verschwiegen wir eh und je. Andreas Keller und die Familienaktionäre wollen die Firma auch weiterhin als Privatunternehmen führen. Zwar bilanziert die Gruppe mittlerweile nach IAS-Standard, aber ausser dem Gesamtumsatz (über vier Milliarden Franken) werden keine Zahlen publiziert. «We simulate the behaviour of a public company», sagt Erich Hunziker dazu, «aber wir sind keine.»
Mit derlei Unternehmen hat der CEO Erfahrung. Bevor er zu Diethelm Keller stiess, war der 47-Jährige 14 Jahre lang bei der ebenfalls privaten Boehringer-Mannheim-Gruppe tätig, zuletzt als Chief Financial Officer von deren Holding Corange. In der neuen Struktur kehrt er sozusagen zu seinen Wurzeln zurück: Als er einst an der ETH doktorierte, war er Präsident der SSR-Verwaltung, die heute zum STA-Zweig von Diethelm Keller gehört.
Die Verschwiegenheit des Unternehmens bedeutet nicht, dass die Exponenten der Familie das Licht der Öffentlichkeit scheuen. Im Gegenteil: Andreas Kellers Vater, E. Luk Keller, war während vieler Jahre vielfacher Verwaltungsrat, darunter auch Präsident bei der NZZ; und als Not am Mann war, sprang er auch mal als Präsident des Grasshopper- Club ein. Sein Sohn Andreas Keller hält unter anderem den «Familiensitz» im internationalen Beirat der CS, amtiert als Verwaltungsrat bei Barry Callebaut und Fogal und engagiert sich seit kurzem als Präsident der Zürcher Handelskammer, was ihn dazu zwingt, sich der öffentlichen Debatte zu stellen.
Am privaten, familiären Charakter der Firma wird die neue Unternehmensstruktur nichts ändern. Zwar werden durch die klare Gliederung die Entscheidungswege kürzer, die Kontrolle durch die Zürcher Zentrale einfacher. Aber Andreas Keller beabsichtigt nicht, in Zürich eine veritable Konzernzentrale aufzubauen. Das Head-Office soll so schlank bleiben wie bisher, mit knapp über 20 Mitarbeitern. Der Konzern beschäftigt keinen Firmenanwalt. Die Anstellung als CEO erfolgte, wie Erich Hunziker erklärt, per Handschlag; sein Vertrag hat auf zwei A4-Seiten Platz. Andreas Keller versteht die Gruppe als «Portfolio-Holding im Familienbesitz». Will heissen: Die einzelnen Teile des Konzerns werden an einer langen Leine geführt und müssen so organisiert werden, dass sie getrennt an die Börse könnten. «Nicht dass wir das planten», sagt Keller, «aber es muss denkbar sein.» Entsprechend ist auch der Umgang mit den Statthaltern in fernen Ländern. «Wir zitieren nie einen Manager nach Zürich», sagt Erich Hunziker, «wenn es nötig ist, dann reise ich.»
Partner-Inhalte