Wer in den fünfziger und sechziger Jahren in eine Pensionskasse eintreten wollte, musste zuvor beim Amts- oder Fabrikarzt zum Gesundheits-Check antreten. In der Hochkonjunktur konnte sich dann kein Arbeitgeber solche Eintrittsschwellen leisten. Wegen zunehmender Invaliditätsfälle führen viele Pensionskassen die obligatorische Gesundheitsprüfung nun wieder ein. Nicht jeder, der heute die Stelle wechselt, wird vorbehaltlos in die Pensionskasse des neuen Arbeitgebers aufgenommen. Dies hängt vom Ergebnis der so genannten Risikoprüfung ab, die je nach Pensionskasse mehr oder weniger intensiv ausfällt. Viele verlangen sehr detaillierte Informationen, teilweise ist sogar ein Arztbesuch obligatorisch.
Durchgeführt wird die Risikoprüfung meist erst nach Stellenantritt. Gilt dann jemand als nicht völlig gesund, darf die Pensionskasse einen Vorbehalt anbringen. Dafür genügt schon ein leicht überhöhter Blutdruck. Auf die obligatorischen BVG-Leistungen darf sich der Vorbehalt freilich nicht auswirken. Bei vielen Versicherten indes, vor allem im mittleren und höheren Kader, ist der bedeutend höhere Anteil der beruflichen Vorsorge überobligatorisch. Auf ihre Leistungsansprüche hat ein Vorbehalt dann auch gravierende Auswirkungen. Ein Beispiel: Der versicherte Lohn eines Fünfzigjährigen beträgt 120 000 Franken. Gemäss Vorsorgeausweis würde er im Invaliditätsfall eine Rente von 60 Prozent des Lohnes erhalten, also 72 000 Franken pro Jahr. Davon sind 55 000 Franken überobligatorische und 17 000 Franken obligatorische Leistungen. Die Pensionskasse kann dann auf dem überobligatorischen Teil für maximal fünf Jahre einen Vorbehalt anbringen. Dieser muss klar spezifiziert werden, etwa eine chronische Herzerkrankung. Verstirbt der Versicherte dann innert fünf Jahren oder wird er invalid, erhalten der Versicherte oder seine Hinterbliebenen nur die BVG-Minimalleistungen. Jedoch nur dann, wenn ein eindeutiger Zusammenhang mit dem Vorbehaltsgrund besteht. Die Rente würde im Invaliditätsfall nur 17 000 Franken statt 72 000 Franken pro Jahr betragen.
Nach dem Stellenwechsel öffnet sich mit einem solchen Gesundheitsvorbehalt für mindestens fünf Jahre eine riesige Vorsorgelücke, die man nicht einmal über eine private Invalidenversicherung schliessen kann. Der Antragsbogen dafür enthält nämlich die Frage nach einem eventuellen Vorbehalt eines anderen Versicherers. Und so wird sich wohl kaum ein Anbieter finden, der die temporäre Vorsorgelücke überbrückt. Direkte Verhandlungen mit dem neuen Arbeitgeber sind nutzlos, weil dieser gar keinen Einfluss auf die Regelungen der Pensionskasse hat. Sehr oft handelt es sich bei der Risikoprüfung um Auflagen der Rückversicherungsgesellschaft. Ein kooperativer Arbeitgeber müsste die Differenz im Leistungsfall aus eigenen Mitteln einschiessen, und diese kann in die Hunderttausende von Franken gehen.
Bleibt den Versicherten bloss, sich vor einem Stellenwechsel zu erkundigen, ob die neue Pensionskasse Gesundheitsprüfungen durchführt. Wenn ja, gibt es nur einen Weg, seinen Vorsorgeschutz zu sichern: Man lässt den Gesundheits-Check vorgängig bei einem privaten Arztbesuch durchführen und überdenkt den Stellenwechsel allenfalls nochmals. Vor allem für ältere Arbeitnehmer ist diese Entwicklung natürlich ärgerlich. Viele haben sich jahrzehntelang engagiert und vielleicht sogar deshalb heute gesundheitliche Probleme. Nun müssen sie auch noch um einen Teil ihres Vorsorgeschutzes fürchten. Für die Versicherten entsteht so eine neue Art von goldenen Fesseln. Den Pensionskassen steht es aber frei, für das Überobligatorium eigene Regeln zu treffen, und die massiv steigenden Invaliditätszahlen zwingen sie zum Handeln.
Das wird gefragt
Bei der einfachen Gesundheitsprüfung beispielsweise:
– «Sind Sie derzeit in ärztlicher und/oder psychotherapeutischer Behandlung oder Kontrolle und/oder in Behandlung bei einem Chiropraktiker?»
– «Müssen Sie regelmässig Medikamente einnehmen und, wenn ja, welche?»
Bei einer erweiterten Gesundheitsprüfung, zum Beispiel wenn ein Versicherter gerade in ärztlicher Behandlung ist oder in den letzten fünf Jahren drei Wochen arbeitsunfähig war, beispielsweise:
– «Wurden Sie mit Röntgenstrahlen oder radioaktiven Substanzen behandelt?»
– «Mussten Sie sich jemals einer Operation unterziehen?»
– «Sind Sie HIV-positiv?»
Entbindung vom Amtsgeheimnis
Soweit es für die Durchführung der Personalvorsorge erforderlich ist, entbindet die zu versichernde Person die Eidgenössische Invalidenversicherung, die Unfallversicherer, die Militärversicherung, die frühere Vorsorgeeinrichtung, die Kranken- und Krankentaggeldversicherer und die behandelnden Ärzte von der Wahrung des Berufs- und Amtsgeheimnisses gegenüber dem Versicherer und ermächtigt die genannten Institutionen und Personen, der Versicherung bei Bedarf die nötigen Auskünfte zu erteilen und entsprechende Akteneinsicht zu gewähren.
Martin Wechsler, Mitglied Expertenteam BILANZ, Büro für umfassende Pensionskassenberatung, Aesch BL