Wer erinnert sich nicht gerne an die Neunzigerjahre! Die Börsenhausse bescherte den Pensionskassen reichliche Gewinne, und die Versicherten konnten davon profitieren. Beitragspausen oder zusätzliche Verzinsungen waren an der Tagesordnung.

Durch die Einbrüche an den Finanzmärkten sind die Reserven der Pensionskassen drastisch gesunken. Die aktuelle Umfrage über die Anlagen schweizerischer Pensionskassen (siehe Beitrag auf Seite 230) zeigt dies deutlich: Ende 2001 betrugen die Wertschwankungsreserven der befragten Institutionellen durchschnittlich 16 Prozent des Vermögens, Ende 2002 waren es nur noch magere 3 Prozent. Die Auswertung zeigt, dass 40 Prozent aller Pensionskassen über keine Wertschwankungsreserven mehr verfügen und in die roten Zahlen gerutscht sind.

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Was bedeutet dies nun, wenn die Pensionskassen zu wenig Reserven haben? In Zukunft werden alle Kapitalgewinne dazu verwandt, diese leeren Töpfe wieder zu füllen. Vermögenserträge, die über dem erforderlichen Mindestzinssatz liegen, kommen dann nicht direkt den Versicherten zugute.

Schlechte Aussichten also für Leistungsverbesserungen oder Beitragssenkungen. Gemäss Umfrage streben die Pensionskassen durchschnittlich 14,2 Prozent Kursschwankungsreserve an, verfügen aber gegenwärtig nur über 3 Prozent. Folglich müssen künftige Gewinne so lange auf die Seite gelegt werden, bis zusätzlich elf Prozent des gesamten Vorsorgekapitals zur Finanzierung dieser Reserven erreicht sind. Bei einem jährlichen Gewinn von einem Prozent des Vermögens dauert es rund zehn Jahre, bis der Grossteil der Pensionskassen wieder ausreichend Wertschwankungsreserven gebildet hat. Erst dann können die Versicherten wieder direkt von den Gewinnen profitieren.

Niedrigere Wertschwankungsreserven bedeuten aber auch geringere Risikofähigkeit und somit weniger Aktienengagement. Die Sammelstiftungen der Lebensversicherer halten deshalb nur noch bescheidene Aktienanteile. Damit werden sie nicht von einer Erholung der Aktienkurse profitieren oder bei einer allfälligen Kursrallye dabei sein. Weil die Lebensversicherer den Versicherten eine Kapitalgarantie gewähren müssen, ist ihre Anlagepolitik extrem konservativ und konzentriert sich auf Obligationen.

Beim nächsten Zinsanstieg, den Experten demnächst erwarten, werden entsprechende Kursverluste bei diesen Obligationen entstehen. Dabei würden sich gerade die Vorsorgegelder wegen ihrer Langfristigkeit für Anlagen in Aktien eignen. Zumindest ein Anteil von 20 bis 25 Prozent ist absolut zielführend und empfehlenswert.

Kommt hinzu, dass die Kapitalgarantie, die den Lebensversicherern abverlangt wird, volkswirtschaftlich betrachtet eine Scheinsicherheit ist. Am Ende leiden unter einem Einbruch der Finanzmärkte immer die Besitzer des Vermögens. Das beste Beispiel dafür liefern uns die jüngsten Ereignisse in der Schweiz: Die Verluste der Versicherer auf der Anlagenseite der vergangenen Jahre tragen die Versicherten mit Renteneinbussen von bis zu 20 Prozent und saftigen Prämienerhöhungen («Winterthur»-Modell).

Volkswirtschaftlich betrachtet kann es gar keine finanzielle Kapitalgarantie für so grosse Vorsorgevermögen beziehungsweise zukünftige Leistungsversprechen der Pensionskassen geben. Sicherheit geben uns nur die prosperierende Wirtschaft respektive die prosperierenden Finanzmärkte. Seien wir doch lieber gleich ehrlich zu uns, und verzichten wir auf solche Scheinsicherheiten!

Dies hat auch gewisse Vorteile. Die Pensionskassen müssen keine Reserven mehr bilden und können die gesamte Performance den Versicherten eins zu eins gutschreiben. Damit entfallen die akademischen Diskussionen über die erforderliche Höhe dieser Reserven ebenso wie die Diskussionen über die Art der Verteilung dieser Gewinne. Jeder erhält das, was für seinen Kapitalanteil erwirtschaftet wurde. Und dies ist gerecht.

Martin Wechsler, Pensionskassenexperte, Dr. Wechsler & Meier, Büro für umfassende Pensionskassenberatung, Aesch BL, www.alters-vorsorge.ch