Robin Kuster ist nur noch frustriert. Seine Warrants geben nichts mehr her. Die CS-Call-Option hat sich fast halbiert. Ebenso jene von Novartis und die von Bâloise. Und bei ABB läuft es auch nicht rund. Er hätte die grösste Lust, den Bettel hinzuschmeissen, denn die drei letzten Monate haben sein Nervenkostüm arg strapaziert. Doch irgendwie kann er sich nicht lösen und überlegt, ob er seine Engagements jetzt nicht zu tieferen Preisen aufstocken sollte.
Dabei hatte sich alles so gut angelassen. Der Grafiker investierte nämlich Anfang 1998 seinen dreizehnten Monatslohn und die Gratifikation in Warrants - nach eingehenden Diskussionen mit einem Kollegen, der schon im Jahr zuvor mit solchen Papieren gut gefahren war. Kuster arbeitete sich durch den Wirtschaftsteil der Tageszeitungen, abonnierte eine Finanzzeitung und buchte einen Internet-Anschluss.
Für Kuster lief es wie am Schnürchen. Warrants auf Rück-Aktien hatte er gekauft, und solche auf UBS, die er für das neue Powerhouse in der Bankenwelt hielt. Bei «Zürich» imponierte ihm die schiere Grösse nach der Fusionsankündigung mit dem Finanzteil der britischen BAT. Als Ende Februar bekanntgeworden war, dass Martin Ebner ein namhaftes Aktienpaket von Alusuisse gekauft hatte, sprang er gleich auf den fahrenden Zug. Auf Anraten seines Freundes, der bei einer Bank die Lehre gemacht hatte, kaufte er fast nur Warrants, deren Ausübungspreis, also der Kurs, zu dem er via Option die Titel kaufen könnte, leicht über dem damals geltenden Aktienkurs lag. Aus seinen 12 000 Franken waren bis zum Sommer dank der Börsenhausse 45 000 Franken geworden. Als im Spätsommer alle vom Crash redeten, verkaufte er bis auf die «Zürich»-Warrants alle Engagements - und bestellte einen neuen BMW. Das Massaker an den Börsen ging an ihm praktisch spurlos vorbei. Im Oktober wagte er sich an eine Swisscom-Option. Langfristig wollte er sich nicht engagieren, weil er dem ehemaligen Staatsbetrieb nicht so ganz über den Weg traute - aber kurzfristig wollte er von der Aufmerksamkeit, die der Börsenneuling genoss, profitieren.
Robin Kuster konnte die neue Gratifikation kaum erwarten. Noch vor Weihnachten kaufte er CS-Warrants, obwohl schon damals klar war, dass die Russlandkrise die Bank hart getroffen hatte. Doch ein Auftritt von CS-Chef Lukas Mühlemann beeindruckte ihn. Deshalb kaufte er eine CS-Call-Option, deren Ausübungspreis fast doppelt so hoch war wie der Kurs der CS-Aktie. Schliesslich laufe das Ding noch bis Februar 2000, beruhigte er sich selber, wenn er über seinen eigenen Mut erschrak.
Und in seinen Skiferien in Zermatt gab er schliesslich seinem Händler Mitte Januar 1999 den Auftrag, den Dreizehnten und die «Grati» in Warrants auf Novartis, ABB und Bâloise zu investieren. Selbstredend alles Warrants, die weit «aus dem Geld» lagen (siehe Kasten «Definitionen»). Schliesslich verlieh die erfolgreiche Geburt des Euro den europäischen Börsen Flügel - und zudem hatte er gelesen, dass die zyklischen Titel und die Aktien mit Fusionsphantasie im laufenden Jahr die Musik an der Börse machen.
Wie Robin Kuster geht es derzeit den meisten Anlegern, die in den letzten zwei Jahren auf den Geschmack gekommen sind. Warrants wurden für viele, die sich vorher nie mit der Börse auseinandergesetzt hatten, die weniger kapitalintensive Alternative zu den Aktien. Derzeit sind allein an der Schweizer Börse über 1100 Warrants kotiert, fast 800 allein auf Schweizer Aktien. Doch die Liliput-Aktien bereiten Bauchweh. Manchen noch mehr als Robin Kuster, denn der bringt einige wichtige Grundvoraussetzungen für den Erfolg mit Warrant-Strategien mit:
Robin Kuster interessiert sich für das Geschehen an den Finanzmärkten und informiert sich täglich in den Zeitungen und im Internet. So macht er sich ein gutes Bild über die Mechanismen der Börse. Gleichzeitig hat er ein Gefühl für die Performance der zugrundeliegenden Aktien. «Die Einschätzung der weiteren Entwicklung des Basiswertes ist ein sehr entscheidendes Kriterium, denn Optionen sind keine abstrakte Grösse und bewegen sich in Abhängigkeit von den Aktien», sagt Ronald P. Angst, Leiter Gesamthandel bei der Bank Vontobel.
Mit dem dreizehnten Monatslohn und der Gratifikation investiert Kuster Spielgeld, das er für seinen Lebensunterhalt nicht zwingend braucht. Damit kann er einen allfälligen Totalverlust verschmerzen. Robin Kuster hat gelesen, dass rund 75 Prozent sämtlicher ausgegebenen Optionen am Schluss wertlos verfallen. Deshalb wäre er nie auf die Idee gekommen, Warrants auf Kredit zu kaufen. Wie hoch der Anteil Warrants in einem Depot sein darf, hängt vom Risikoprofil und von der Risikofähigkeit des Anlegers ab. «Spekulationen sollten mit maximal 15 Prozent des Vermögens gemacht werden», sagt Angst. Andere Banken setzen die Schwelle tiefer.
Kuster kauft nur Optionen auf Blue Chips. Die Zahl der ausgegebenen Scheine auf Titeln wie Novartis, Roche, Credit Suisse oder UBS erschlägt ihn jeweils zwar fast, aber er weiss, dass auch bei Optionen die Liquidität ein entscheidendes Kriterium ist. «Wichtig sind bei Warrants die Liquidität und die Preisspanne zwischen dem Geld- und Briefkurs», sagt Willi Bucher, Head Swiss Equity Sales Trading bei Warburg Dillon Read. «An der Schweizer Börse kotierte Warrants sollten aufgrund der besseren Liquidität den an der Eurex gehandelten standardisierten Optionen vorgezogen werden», doppelt Ronald Angst nach.
Kuster hatte den Mut, sich in einer euphorischen Börsenphase von seinen stark gestiegenen Papieren zu trennen. Damit brachte er seine Gewinne ins trockene und kaufte sich den schicken BMW. Indirekt hat sich der Grafiker also ein Ziel gesetzt, das er auch realisierte. Die meisten Anleger hingegen packt die Gier, wenn Warrants stark steigen. Statt sich ein Kursziel zu setzen, es einzuhalten und den Gewinn entweder in eine neue Option oder in einen realen Wert zu investieren, bleiben viele Anleger zu lange auf ihren Warrants sitzen. Die Treue, die sich bei Engagements in Aktien lohnt, zahlt sich bei den Liliput-Aktien mit näher kommendem Verfallsdatum (siehe Definition «Zeitwert» im Kasten) immer weniger aus.
Robin Kuster hat also einiges richtig gemacht. Doch damit er wirklich zum erfolgreichen Warrant-Anleger wird, muss er seine Technik dringend verfeinern:
Die Ursache für Kusters Bauchweh liegt weniger in der Auswahl der Aktien, die seinen Warrants zugrunde liegen, sondern in der generellen Marktentwicklung. In einer Seitwärtsbörse ist es enorm schwierig, mit Warrants Geld zu verdienen. Die Swisscom- und CS-Warrants und seine Engagements, die er dem Händler aus den Skiferien ins Natel diktierte, ging er bei rekordhohen Volatilitäten ein. Schwanken die Aktienkurse stark, steigt die sogenannte Volatilität (siehe «Seitwärtsbörse bringt sinkende Volatilitäten» auf dieser Seite). Bei hohen Schwankungen nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass der Warrant-Anleger sein Ziel erreicht. Deshalb werden diese Scheine allein aufgrund dieser Entwicklung teurer. Wenn die Volatilitäten wie in den letzten Monaten auf ein normales Mass zurückkommen, sinken auch die Optionspreise, und zwar ohne dass die Aktienkurse gesunken sind. Das hat Kuster mit der CS-Option schmerzlich erlebt. Sie ist heute nur noch halb soviel wert, obwohl der Kurs der zugrundeliegenden CS-Aktie um rund 30 Prozent gestiegen ist.
Dass Robin Kuster mit seiner CS-Option auf die Nase gefallen ist, hat gute Gründe. Übermütig war er nämlich aufgrund seines Erfolgs geworden, und er hat einen Warrant gewählt, dessen Ausübungspreis weit über dem damals aktuellen Börsenkurs lag. Das rächt sich in Zeiten sinkender Volatilitäten bitter, denn Optionen, die weit aus dem Geld liegen, sind diesen Schwankungen viel stärker ausgesetzt als Optionen, die den Ausübungspreis schon erreicht haben. Dieser Lapsus schmerzt, denn in der ersten Runde hatte er richtigerweise Warrants gekauft, die am Geld lagen. Weil er mit der Erwartung steigender Aktienkurse richtig lag, schenkte das ein. «Da die Volatilitäten zurückgekommen sind, empfehlen wir am Geld liegende Optionen», sagt Ronald Angst. Auch Willi Bucher rät zu Warrants, die leicht am oder im Geld liegen. «Damit hat der Anleger eine gute Chance, dass Optionen im Geld enden», meint er.
Kuster hat sich bei seiner CS-Option von der vergleichsweise langen Laufzeit blenden lassen. «Ich habe noch lange Zeit, damit sich die Aktie verdoppeln kann und meine Option damit ins Geld kommt», hatte er sich gesagt. Diese Überlegung stimmt grundsätzlich, denn lange Laufzeiten lassen dem Anleger eher Zeit, eine schlechte Phase auszusitzen. Das gilt allerdings nur dann, wenn der Ausübungspreis nicht meilenweit vom gegenwärtigen Kurs entfernt liegt. Lange Laufzeiten bedeuten auch verhaltende Reaktionen auf Bewegungen im Basistitel und geringere Volatilitäten. Und gleichzeitig sind Warrants mit langer Laufzeit teurer als solche mit kurzer. Willi Bucher empfiehlt grundsätzlich Optionen mit einer Laufzeit von 9 bis 18 Monaten. «Wer in kurzer Zeit eine starke Bewegung im Basistitel erwartet, kann auch kürzere Laufzeiten kaufen», ergänzt Ronald Angst.
Jetzt überlegt sich Kuster, seine Positionen zu tieferen Preisen aufzustocken, um einen besseren Durchschnittskurs zu erzielen. Das ist in den allermeisten Fällen keine gute Strategie, denn die Chancen, dass der Anleger sein Ziel erreicht, nehmen aufgrund des abnehmenden Zeitwerts jeden Tag ab.
Fazit: Warrants können eine gute Alternative zu Aktien sein. Warrant-Anleger können sich aber nicht wie Aktionäre ausruhen, sondern müssen das Geschehen an den Märkten gut beobachten und gegebenenfalls sofort handeln. Ein intensives Studium der Grundbegriffe und der Zusammenhänge von Optionspreisbewegungen ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg. «Ohne Kenntnis der Risiken und der Zahlungsstruktur sollten Anleger von Optionen die Hände lassen», sagen denn auch Bucher und Angst unisono. Bei richtiger Wahl des Basistitels und klaren Kurszielen, die strikte eingehalten werden, gehen Anleger mit Warrants am respektive im Geld ein vertretbares Risiko ein.