Bilanz: Sie sind mit erst 43 Jahren Bankenchef und CEO der Credit Suisse und gelten als möglicher Nachfolger von Oswald Grübel als Konzernchef. Würden Sie es sich zutrauen, oberster Chef der CS Group zu werden?

Walter Berchtold (lacht): Darüber mache ich mir keine Gedanken. Natürlich muss man ehrgeizig sein, aber ich habe nie gesagt, ich will jetzt dies oder das werden. Neue Herausforderungen sind immer an mich herangetragen worden. Wenn mir diese Frage gestellt würde, überlegte ich mir, ob ich das könnte. Aber im Moment ist das nicht opportun. Meine Aufgabe besteht darin, das Private Banking sowie das Retail- und das Corporate Banking vorwärts zu bringen.

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Hätten Sie denn Lust auf den Job als Konzernchef? Man hat eine riesige Verantwortung, und wenn es einmal schlecht läuft, wird man in der Öffentlichkeit gebeutelt. Das ist nicht jedermanns Sache.

Auch in meiner jetzigen Position kann es vorkommen, dass nicht alles nach Wunsch läuft. Dann fragt man auch sehr schnell: Was macht eigentlich der Berchtold genau?

Herzstück der Credit Suisse ist das Private Banking. Was sind Ihre Ziele?

Wir wollen die beste Privatbank sein. Nicht auf die Grösse bezogen, sondern auf die Qualität und die Innovation der Produkte und Dienstleistungen, die wir für unsere Kunden erbringen. Ausserdem wollen wir stark wachsen. Bei den Neugeldern ist es unser Ziel, auf über fünf Prozent Wachstum zu kommen, und zwar über die Zyklen hinweg. Ein weiteres Ziel ist es, bis 2007 ein jährliches Nettoergebnis von mindestens 3 Milliarden Franken aus dem Private Banking zu erzielen – im Jahr 2004 waren es knapp 2,5 Milliarden.

Von Qualitätsverbesserungen für den Kunden sprechen alle Privatbanken. Wie will sich denn die CS konkret von diesen differenzieren?

Die Umsetzung unserer One-Bank-Strategie, also die Zusammenführung unserer Bankgeschäfte in einer globalen integrierten Organisation, wird uns stärker machen. Als integrierte Bank können wir die gesamte Expertise in der Kundenberatung anbieten. So können wir unseren Privatkunden Investment-Banking-Lösungen und Produkte aus der institutionellen Vermögensverwaltung anbieten. Wir können geschäftsübergreifend unser Know-how verfügbar machen.

Die CS hat mit 130 Basispunkten eine der höchsten Margen im Private Banking. Die Kunden werden sich denken: Wenn die so viel verdienen, zahle ich sicher zu hohe Gebühren. Sie werden doch stinksauer.

Wenn dieser Eindruck wirklich vorherrschen würde, hätten wir wohl bald keine Kunden mehr. Unsere Margen verdeutlichen, dass wir bei der Erbringung unserer Leistungen die gesamte Wertschöpfungskette so umfassend wie möglich nutzen. Ausserdem sind wir innovativer in unserem Produktangebot, was dem Bedürfnis unserer Kunden entspricht. Wichtig ist, dass die Balance zwischen Preis und Leistung stimmt. Die 130 Basispunkte können wir nur erzielen, wenn die Zufriedenheit der Kunden stimmt. Wir heben uns in der Qualität unseres Service offensichtlich von unserer Konkurrenz ab.

Als Retail-Bank ist die Credit Suisse auch eine der grössten Hypothekarbanken der Schweiz. Was sind dort Ihre Zielsetzungen?

Wir wollen im Hypothekarmarkt klar über dem Durchschnitt wachsen.

Viele glauben, der Hypothekarmarkt sei überhitzt. Ist es nicht ein Risiko, noch weiter auszubauen?

Ich sehe keine generelle Überhitzung. Wir konzentrieren uns auf selbst genutztes Wohneigentum und rechnen für die Tragbarkeit einer Hypothek mit einem Zinssatz von fünf Prozent. Wir sind also eher vorsichtig. Im Übrigen gab es bei den Einfamilienhäusern auch in der Immobilienkrise der neunziger Jahre keine Probleme. Das Hypothekargeschäft ist für uns ein Kernbusiness, das stabile Erträge bringt und, richtig betrieben, geringe Risiken birgt.

Ist das generelle Preisniveau im Haus- und Wohnungsmarkt heute zu hoch?

Nein, mit Ausnahme einzelner Städte und Regionen wie Zürich, Genf und des Oberengadins, wo ein eigentlicher Angebotsengpass besteht.

Ein anderes wichtiges Segment Ihres Bereichs sind die grossen Firmenkunden. Welches sind dort Ihre Ziele?

Im gesamten Retail- und Corporate Banking wollen wir bis 2007 eine Milliarde Franken jährlich verdienen. Bei den grossen Firmenkunden haben wir bereits einen hohen Marktanteil. Weitere Anteile zu gewinnen, ist deshalb schwierig.

Viele Banken ködern deshalb die Kunden mit Krediten. Auch die Credit Suisse?

Nein, das können wir gar nicht. Zahlreiche Schweizer Firmen brauchen weniger Kredit. Das hat zum einen mit dem immer noch eher schwachen Wirtschaftswachstum in der Schweiz zu tun. Zum andern wachsen viele Schweizer Unternehmen im Ausland und investieren auch dort. Und schliesslich haben viele Firmen restrukturiert, ihre Bilanzen verbessert und erzielen einen starken Cashflow.

In der Schweizer Volkswirtschaft herrscht Wachstumsschwäche vor. Wie beurteilen Sie die Aussichten für unser Land?

Die neusten Zahlen stimmen eher zuversichtlich. Das positive Momentum in den globalen Finanzmärkten zeigt, dass die Erwartungen in Richtung einer Konjunkturbelebung gehen. Dies gilt auch für die Schweiz, aber es wird sicher keine Euphorie ausbrechen. Es ist davon auszugehen, dass wir weiterhin eher langsam und unter dem europäischen Durchschnitt wachsen.

Peter Wuffli, CEO der Konkurrenzbank UBS, hat sich kürzlich damit gebrüstet, seine Bank schaffe in der Schweiz Arbeitsplätze. Wie steht es in dieser Hinsicht mit der Credit Suisse?

Auch wir wachsen. Ende 2003 beschäftigten wir zirka 19 300 Mitarbeiter in der Schweiz. Heute sind es rund 19 770, also fast 500 Stellen mehr. Hinzu kommen ungefähr 600 offene Stellen in der Schweiz. Die Anzahl der Arbeitsplätze in der Schweiz wird aber eher stagnieren.

Noch vor einigen Jahren hat die Beratungsfirma McKinsey den Abbau Tausender von Arbeitsplätzen im Schweizer Banking vorausgesagt. Ist der Konsolidierungsprozess in der Branche nun vorbei?

Nein. Der Konsolidierungsprozess wird vor allem bei den kleinen und mittleren Banken weiter fortschreiten. Es wird Chancen für neue Geschäftsmodelle geben. Diese reichen von Kooperationen im Backoffice- oder Produktbereich bis hin zu Zusammenschlüssen.

Jüngst machte die UBS mit dem Verkauf ihrer kleineren Privatbanken an Julius Bär Schlagzeilen. Auch die Credit Suisse hat einige Privatbanken mit klingenden Namen wie Bank Leu, Bank Hofmann oder Claridenbank unter ihrem Dach. Wann verkaufen Sie Ihre Privatbanken?

Die Positionierung bleibt unverändert. Wir werden unsere Privatbanken weiterhin als unabhängige Banken mit klar positionierten Marken führen. Sie unterscheiden sich in ihrem je eigenständigen Marktauftritt und Angebot bewusst von der Credit Suisse. Damit wenden sie sich gezielt an eine Kundschaft, welche die Betreuung durch ein kleineres Institut bevorzugt.

Seit rund einem Jahr sind Sie CEO der Sparte Credit Suisse. Was für Erfahrungen haben Sie in Ihrer neuen Rolle gemacht?

Sehr positive. Erstens ist es eine tolle Herausforderung. Zweitens motiviert es mich, ein spannendes und dynamisches Geschäft zu leiten und mit herausragenden Leuten zusammenzuarbeiten. Woran ich mich erst noch gewöhnen muss: Ich bin viel weiter weg vom Tagesgeschehen als damals, als ich noch im Trading war. Da sah ich die meisten Leute, mit denen ich zu tun hatte, mindestens einmal pro Tag, wenn ich den Tradingraum durchquerte. Die Umsetzung von Entscheidungen ging so schneller vonstatten. Wenn man sagte, wir gehen in eine bestimmte Richtung, haben in kürzester Zeit alle diesen Entscheid umgesetzt. In meiner heutigen Funktion sind die Zeitachsen anders. Alles dauert etwas länger.

Was sind Ihre Führungsgrundsätze?

Ich bin stark teamorientiert. Ein weiterer Grundsatz: Ich habe eine offene Türe. Wenn jemand mit einem Anliegen kommen will, kann er jederzeit bei mir anklopfen, unabhängig von der hierarchischen Stellung. Ich war ja selber auch mal weiter unten in der Hierarchie. Der direkte Umgang und der freie Austausch von Ideen sind mir wichtig.

Da wird Ihr Büro sicher überrannt. Viele Mitarbeiter sind verunsichert. Nach dem x-ten strategischen Umbau gilt die Credit Suisse Group als konstante Baustelle. Wie gehen Sie mit diesem Eindruck um?

Es ist ja nicht nur ein Eindruck, sondern es ist tatsächlich so, dass unser Unternehmen permanent in Bewegung ist. Wir müssen mit den Veränderungen in unserer Branche und in den Märkten Schritt halten. Deshalb integrieren wir nun sämtliche Bankaktivitäten unter einem Dach. Ich stehe zu hundert Prozent hinter diesem Wandel. Jetzt ist es meine Aufgabe, den Mitarbeitenden zu erklären, warum wir dies machen, und Vertrauen zu schaffen.

Und das gelingt?

Wenn mir das nicht jeder sofort und voll abnimmt, so verstehe ich das. Wir müssen mit der Zeit und über die Erfolge, die wir schaffen, die Mitarbeiter überzeugen, dass es das Richtige ist. Vertrauen muss man sich verdienen, wir müssen Beweise liefern. Aber ich bin absolut überzeugt davon, dass wir dies tun werden.

Als langjähriger Wertpapierchef der Bank haben Sie viel Erfahrung in der Beurteilung der Börsen. Ihre Prognosen?

In den Aktienmärkten haben wir ein recht hohes Niveau erreicht. Im Moment wird die Entwicklung eher stehen bleiben. Aber es gibt Chancen. Ich glaube insbesondere, dass Japan in Zukunft besser performen wird.

Das hoffen viele schon lange.

Ja, aber jetzt gibt es fundamentale Gründe dafür: Die Hälfte der japanischen Grossunternehmen, die im Nikkei Index abgebildet werden, ist schuldenfrei und hat einen starken Cashflow. Die Chancen Japans sind heute gut. Das Land profitiert vom Aufschwung in der gesamten asiatischen Region, besonders vom Austausch mit China. Ausserdem erholt sich nach zwölf mageren Jahren die Binnenwirtschaft, und der private Konsum zieht an.

Der Hurrikan «Katrina» hat ganze Teile der USA verwüstet. Welche Folgen wird dies für die Weltwirtschaft haben?

«Katrina» hat eine grosse Verheerung und riesiges Leid verursacht. Der Hurrikan hat neben menschlichen Tragödien auch Spuren an den Finanz- und Energiemärkten hinterlassen. Es ist damit zu rechnen, dass die hohen Benzinpreise das Konsumentenvertrauen dämpfen und die hohen Ölpreise das Unternehmensvertrauen negativ beeinflussen. Längerfristig dürften jedoch der Wiederaufbauprozess und die Infrastrukturinvestitionen einen positiven Effekt auf das Wachstum haben.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Zinsen?

Die Zinsen werden tendenziell eher wieder leicht ansteigen, wobei dies ein sehr langsamer Prozess wird. Ich glaube nicht, dass es irgendwelche Zinsexplosionen geben wird, sondern eher, dass die Zinsen sich auf tiefem Niveau leicht höher bewegen werden.

Wo liegt in den Märkten die gefährliche Unbekannte? Welche Entwicklung macht Ihnen Angst?

Angst habe ich nicht. Aber es gibt gewisse Entwicklungen, die man im Auge behalten muss: zum Beispiel die Positionierung grosser institutioneller Anleger, insbesondere der Versicherungen. Bis ins Jahr 2000 haben diese ihre Aktieninvestments stark übergewichtet. Nach der Krise der Jahre 2001 und 2002 indes haben Versicherungen ihren Aktienanteil nicht zuletzt auf Grund von Anlagevorschriften stark reduziert auf heute oft nur noch drei oder vier Prozent. Dafür sind sie überinvestiert in Obligationen und anderen zinsgesteuerten Anlagen. So ist teilweise ein neues Ungleichgewicht entstanden.

Was sollte man heute mit seinem Geld machen?

Kurzfristig muss man in den Aktienmärkten bleiben und Obligationen eher abbauen, ferner in alternative Anlagen wie Hedge-Funds gehen. Dies ist der richtige Weg. Und Bargeld halten, etwas «Pulver im Trockenen». Denn wenn die Aktienmärkte korrigieren sollten, wäre das dann die Chance, um einzusteigen.

In der Bankenwelt hat es einige grosse, grenzüberschreitende Fusionen gegeben. Oswald Grübel hat vor längerer Zeit Spekulationen mit angeheizt, als er sagte, die CS wolle in Deutschland expandieren. Kommt nun die grosse Fusionswelle im europäischen Banking?

Bei den grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen in der jüngeren Vergangenheit waren Retail-Banken im Spiel. Der Anfang ist da, das Eis ist gebrochen. Wir beobachten die weitere Entwicklung. Der Trend zur Konsolidierung in den europäischen Retail-Märkten wird sicher anhalten.

Welche Rolle spielt die CS konkret in diesem Konsolidierungsprozess?

Wir verfolgen ausserhalb der Schweiz keine Retail-Strategie. Unsere oberste Priorität ist es, unsere One-Bank-Strategie zu implementieren. Dabei fokussieren wir uns auf organisches Wachstum in den Kernmärkten und investieren in Wachstumsmärkte. Kleinere Akquisitionen sind nicht ausgeschlossen.

Können Sie sich vorstellen, in der Schweiz Akquisitionen zu tätigen? Die Welt der Privatbanken ist im Umbruch, es gibt viele Institute mittlerer Grösse, die sich Gedanken über mögliche Partner machen …

Das steht nicht zuoberst auf der Prioritätenliste.

Welche Rolle spielt das Bankgeheimnis für die Zukunft des Schweizer Private Banking?

Die Diskretion und der Schutz der Privatsphäre sind weiterhin ein wichtiger Erfolgsfaktor. Finanzen sind etwas Intimes. In meinem Businessmodell konzentriere ich mich darauf, dass meine Dienstleistungen auch unabhängig vom Bankkundengeheimnis die besten sind. Dabei sind die Qualität der Beratung, der Kundenfokus und die Produktinnovation entscheidende Faktoren.

Man hat den Eindruck, der Druck auf das Bankgeheimnis aus dem Ausland habe nachgelassen.

Durch den Abschluss des Zinsbesteuerungsabkommens mit der EU ist die Schweiz etwas aus der Schusslinie gerückt. Immerhin wurde seitens der EU die Zahlstellensteuer offiziell als ein dem automatischen Informationsaustausch gleichwertiges Instrument anerkannt, was die Position der Schweiz stärkt. Es dürfte sich aber bloss um eine vorübergehende Ruhe handeln. Der Druck auf unseren Finanzplatz wird anhalten.

Es ist bekannt, dass Sie ein sehr gutes Verhältnis zu Ihrem Konzernchef Oswald Grübel haben. Doch wie ist Ihr Verhältnis zu Walter Kielholz? Wie oft sehen Sie den Verwaltungsratspräsidenten?

Ich habe ein gutes und professionelles Verhältnis zu ihm. Ich treffe ihn regelmässig und informiere ihn über die Entwicklungen in meiner Geschäftseinheit. Seine Türen sind immer offen, wenn man ihn braucht. Aber es ist klar: Im täglichen Geschäft und in der operativen Führung ist Herr Grübel mein Vorgesetzter.

Herr Kielholz soll sich sehr gut mit dem Chef der Konzernzentrale, Urs Rohner, verstehen. Rohner gilt als Ihr härtester Konkurrent im künftigen Rennen um den Job des Konzernchefs. Gibt es in der CS solche Seilschaften?

(Lacht.) Darüber mache ich mir keine Gedanken.

Sie gelten als Fan des FC Zürich. Gehen Sie noch an einen Match?

O ja. Und sie werden doch hoffentlich bald Schweizer Meister! Meist gehe ich mit meiner Familie.

Das klingt bodenständig.

Ja. Sie würden mich vielleicht nicht unbedingt erkennen, wenn Sie mich an einem Samstag oder Sonntag sähen. Ich habe einen starken privaten Freundeskreis ausserhalb der Bank. Unsere Kids gehen normal in die Schule, wir gehen in unserem Wohnort einkaufen wie alle anderen auch. Da ist wenig Spektakuläres.

Keine Gefahr, dass auch Sie bald abheben, wie so viele andere Topmanager?

Ich habe meinen Freunden gesagt: Wenn ich abhebe, müsst ihr es mir sagen (lacht).