Angesichts der weiterhin unangenehm hohen Inflationszahlen haben die grossen Zentralbanken ihre restriktive Haltung in den vergangenen Wochen nochmals verschärft. Die Aussicht auf aggressivere Zinserhöhungen durch die US-Notenbank (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB) haben den Goldpreis seit dem ersten Quartal dieses Jahres im Schwebezustand gehalten. Staatlich ausgegebene Währungen tendieren gegenüber Gold langfristig nach unten. Wir erwarten, dass sich dieses Phänomen in absehbarer Zeit beschleunigen wird.
Ende März notierte der Goldpreis auf einem Hoch von 2050 Dollar je Unze – eine markttechnisch bedeutende Marke, die der inflationsbereinigte Goldpreis in den vergangenen vier Jahrzehnten nur viermal erreicht hat. Wenn diese Marke durchbrochen wird, würde das die Tragfähigkeit des 1971 eingeführten Petrodollarsystems unserer Ansicht nach ernsthaft infrage stellen.
Seinen risikofreien Status hat der US-Dollar in den Augen der Anleger, wenn nicht sogar der Zentralbanken, inne, seitdem Nixon 1971 das Goldfenster schloss. Ein Ausbruch des Goldpreises (oder Einbruch des Dollars gegenüber Gold) würde diese grundlegende Marktannahme infrage stellen.
Entscheidende Marke
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und mit dem Anstieg der Energiepreise rechneten die Märkte im ersten Quartal mit massvollen Zinserhöhungen durch die Fed. Daraufhin fielen die Realzinsen und der Dollar-Goldpreis stieg bis an die entscheidende Marke von 2050 Dollar.
Wie schon 1980, 2011 und 2020 reagierte die Fed mit der Ankündigung einer aggressiveren Straffung ihrer Geldpolitik, woraufhin sich der Dollar-Goldpreis wieder von dieser kritischen Marke entfernte. Jetzt stellt sich die Frage: Wie schnell wird der Goldpreis steigen und diese wichtige markttechnische Marke erneut testen, wenn sich die Fed zur Kehrtwende gezwungen sieht?
Ned Naylor-Leyland ist Head of Strategy, Gold & Silver, bei Jupiter Asser Management.
Während die Inflation Politik und Öffentlichkeit weiterhin umtreibt, könnten die jüngsten geldpolitischen Massnahmen das Wirtschaftswachstum noch weiter dämpfen. Tatsächlich wird das auch beabsichtigt. Die Zentralbanken sind in der Zwickmühle. Der Ölpreis hat sich wieder von seinem Höchststand entfernt und auch die Rohstoffpreise haben sich entspannt.
Die Lager sind jedoch gefährlich niedrig, sodass die Preise jederzeit wieder steigen könnten. Risikoanlagen und Nicht-Dollar-Währungen (einschliesslich Gold und Silber) sind die Hauptleidtragenden der Fed-Politik, mit der diese die Nachfrage in der Wirtschaft dämpfen will.
Höhere Hypothekenzinsen bremsen bereits den Wohnungsmarkt, der etwa 15 bis 20 Prozent zum US-BIP beiträgt. Effektiv versucht die Fed, die Zinsen in einen Abschwung hinein anzuheben, was eine harte Landung der Wirtschaft zur Folge haben dürfte. Das wiederum könnte die Fed im kommenden Jahr zu einer Kehrtwende veranlassen. Ein solches Szenario würde Gold attraktiver machen, da die Realzinsen am langen Ende der Kurve von ihrem aktuell hohen Niveau drastisch fallen würden.
Der beste Zeitpunkt
Die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, dass der beste Zeitpunkt für den Kauf von Gold dann ist, wenn die Zentralbanken nach einer aggressiven Straffungsphase an der Schwelle zu einer Lockerung ihrer Politik stehen. Die Abwärtsbewegungen von staatlich ausgegebenen Währungen werden durch einen Kurswechsel zu einer akkommodierenderen Politik ausgelöst. Die Ausschläge nach oben sind die allgemein kürzeren Phasen einer restriktiven Geldpolitik.
Die wichtigste Erkenntnis ist, dass der Goldpreis in allen Währungen in erster Linie von der Rhetorik und dem geldpolitischen Kurs der Zentralbanken abhängt, der den Anleihenmärkten signalisiert, dass mit einer akkommodierenden Haltung oder Straffung zu rechnen ist. Von 2002 bis 2011 war das geldpolitische Umfeld insgesamt akkommodierend, nicht nur in den USA. Ende 2011 begann jedoch eine rund fünf Jahre andauernde Phase einer moderat restriktiveren Haltung der meisten grossen Zentralbanken.
Bei vielen Anlegerinnen und Anlegern gilt Gold als Versicherung gegen die Inflation. Diese Vorstellung ist aber nicht immer gerechtfertigt. Weiterlesen. Abo.
Gold wird in verschiedenen Währungen notiert und der Goldpreis unterscheidet sich in Abhängigkeit davon, wie weit fortgeschritten die jeweilige Zentralbank im monetären Zyklus ist. Allerdings ist deutlich zu sehen, dass sich auch alle gleichzeitig gegen Gold bewegen können.
Momentan ist der Dollar-Goldpreis niedriger als der Goldpreis in anderen bedeutenden Währungen, weil die Fed ihre Geldpolitik erheblich aggressiver gestrafft hat als andere Zentralbanken. Dies zeigt, wie über den Goldpreis in jeder nationalen Währung nachgedacht werden muss.
Ein Kurswechsel der Fed hin zu einer akkommodierenderen Haltung würde den Aufwärtstrend der realen US-Dollar-Zinsen umkehren, woraufhin sich Gold wahrscheinlich wieder seinem im März erreichten Höchststand von 2050 Dollar nähern würde. Das gleiche inflationsbereinigte Preisniveau wurde 1980, 2011 und 2020 kurz erreicht.
Angesichts der Tatsache, dass die Zeit bis zum Erreichen dieses Höchststands im Laufe der Jahre immer kürzer geworden ist und wir uns relativ nahe an diesem Niveau befinden, könnte Gold den Markt überraschen und in den kommenden Monaten neue Höchststände erklimmen.