Der Swiss Performance Index (SPI) – der breiteste Massstab für schweizerische Aktien – fiel im letzten Quartal um 9 Prozent. Das ist nicht gut, aber immer noch besser als die globalen Aktien, die um 12,6 Prozent zurückgingen. Der Unterschied ist keine Überraschung.
Wie ich hier schon Anfang Dezember letzten Jahres geschrieben habe, profitieren die Schweizer Aktien in beängstigenden Zeiten von einer Art Sicherheitszuschlag. Wenn jedoch die Stimmung kippt, steigen die Kategorien und Regionen, die vorher am tiefsten gefallen sind, üblicherweise am kräftigsten.
Ein Beispiel: Zwischen dem globalen Aktientief am 24. Dezember 2018 und dem 19. Februar 2019 kletterte der MSCI World um 16,9 Prozent, stärker als der SPI mit 13 Prozent. Jetzt, inmitten der Rally, wirkt die schweizerische Sicherheit als Gegenwind. Sie sollten aber die schweizerischen Werte nicht fallenlassen. Seien Sie lediglich wählerisch – halten Sie Aktien, bei denen die Ängste am grössten waren.
Das sind üppige Jagdgründe: insbesondere bei Schweizer Exporteuren mit engen Verbindungen nach China. Im Bullenmarkt war China stets eine Hauptsorgenquelle. Seit 2010, als sich das Wachstum dort erstmals von zweistelligen Raten verabschiedete, sorgten Diskussionen um einen kräftigen Rückgang oder eine Rezession für Wirbel. Im Jahr 2011 fürchteten viele, das von Exporten getriebene Wachstumsmodell der Chinesen könnte unter einer schwachen Nachfrage aus Amerika leiden.
Ein lokaler, chinesischer Bärenmarkt half auch nichts. 2013 verbreiteten sich Sorgen über staatlich geförderte «Blasen» so, dass die amerikanischen Medien zur besten Sendezeit «investigative» Sendungen darüber ausstrahlten. So geht es endlos. Und die jüngste Wendung? Angst vor Zöllen.
Die Schweizer Exportstatistik untertreibt die Bedeutung Chinas für die Schweiz
Würde die Geschichte mit der harten Landung Realität, könnte die Schweiz einen Kollateralschaden erleiden. Daten der Weltbank zufolge machten 2017 die schweizerischen Exporte 65 Prozent des BIP aus. Der weltweite Durchschnitt beträgt 37 Prozent. China ist der fünftgrösste Handelspartner der Schweiz mit einem Anteil von 5,2 Prozent. Hongkong eingerechnet, wächst Chinas Anteil auf 7,6 Prozent.
Das reicht für den dritten Platz hinter Deutschland und Amerika – und stellt Italien und Frankreich in den Schatten.
Und diese Zahlen untertreiben die Bedeutung Chinas für die Schweiz noch. Sie nahm zuletzt enorm zu. Von 2008 – dem Höhepunkt der schweizerischen Exporte, bevor die weltweite Finanzkrise für einen Einbruch des Welthandels sorgte – bis 2017 stiegen die schweizerischen Exporte kumulativ um 6,9 Prozent.
Das ist schwach! Der Grund? Die schweizerischen Exporte in die 19 Länder der Euro-Zone gingen seit 2008 um 10,5 Prozent zurück. Die Exporte nach Deutschland blieben über diesen Zeitraum gleich. Italien und Frankreich waren mit jeweils über 20 Prozent rückläufig.
Schweizer Exportwachstum
Das Exportwachstum der Schweiz stützte sich auf die USA, Grossbritannien und China. Dessen Importe aus der Schweiz stiegen in dieser Zeit um sagenhafte 106,3 Prozent. Rechnet man Hongkong hinzu, beträgt der Anstieg – ausgehend von einem höheren Niveau – immer noch 70,8 Prozent. Liesse man China und Hongkong weg, wäre die Hälfte des Exportwachstum weg. Es überrascht also wenig, dass fast 5 Prozent des SPI-Umsatzes aus Festlandchina stammt.
Viele europäische Länder, einschliesslich Deutschland und Italien, machen teilweise die schwächere Nachfrage aus China für das langsamere Wachstum verantwortlich. Vermutlich trug China auch zum Rückgang im dritten Quartal in der Schweiz bei. Das ist im Wesentlichen der Grund für die Befürchtung, China könnte die schweizerischen Aktien belasten.
Wie gross ist jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass bei der ganzen Medienaufmerksamkeit für das schwächelnde China der Aktienverfall im vierten Quartal 2018 das nicht bereits eingepreist hat? Märkte berechnen gemeinhin bekannte Nachrichten, Sorgen und Meinungen vorab ein. Nach zehn Jahre der Hyperventilation über unsanfte Landungen, die im letzten Quartal 2018 ihren Höhepunkt erreichte, scheint mir klar, dass diese Sorge in den Aktien bereits eingepreist ist. Die bessere Frage ist: Was ist nicht eingepreist?
Die positiven Entwicklungen in China werden noch nicht wahrgenommen
Alle reiten darauf herum, dass sich das chinesische BIP-Wachstum 2018 auf 6,6 Prozent abschwächte. Viele haben Sorge, dass diese staatlichen Angaben die Realität zu positiv bewerten. Sie machen die Zölle für die Verlangsamung in China verantwortlich, die von der Regierung beschönigt wird. Sie fürchten, dass es nur noch schlimmer wird. Ihnen entgeht die Rolle, die das Durchgreifen der chinesischen Regierung bei den Schattenkrediten spielt.
China versuchte im letzten Jahr, die Kreditvergabe ausserhalb des traditionellen, streng beobachteten Banksystems einzuschränken. Dabei nahmen die politischen Entscheidungsträger bewusst Schäden für kleine Unternehmen in Kauf, die auf diese unkonventionellen Kredite angewiesen sind. Kleine Unternehmen in privater Hand treiben einen Grossteil der wirtschaftlichen Aktivitäten in China an. Mangels Kredite konnten sie nicht investieren oder exportierte Güter verbrauchen.
Vielen Anlegern entgeht das. Nicht aber der chinesischen Regierung. Sie hat die Reserveanforderungen an die Banken gekürzt und damit Milliarden Yuan für Kredite freigegeben. Den Kleinunternehmen wurden Steuersenkungen angeboten und die Regelungen für die Ausgabe von Anleihen wurden gelockert. Dieser Stimulus dürfte eine weitere Abschwächung verhindern, sie sogar umkehren. Die Märkte haben die Angst vor einer unsanften Landung eingepreist. Die positiven Entwicklungen sind noch nicht angekommen.
Nicht blind zugreifen
Greifen Sie jedoch nicht blind zu. China wandelt sich von einer infrastruktur- und industrielastigen zu einer dienstleistungs- und konsumorientierten Wirtschaft. Die Folgen? Viele Schweizer Industrieunternehmen mit China-Engagement fielen im vierten Quartal 2018 deutlich stärker als der SPI und bringen sich für eine Erholung in Position. Sie erfahren aber noch immer einen fundamentalen Gegenwind.
Die den Konsumenten zugewandten schweizerischen Unternehmen scheinen besser aufgestellt. Sie profitieren bereits von einer höheren Nachfrage aus China, wie Kommentare von schweizerischen und französischen Luxusgüterherstellern in Telefonkonferenzen zeigten. Auch ihnen verpasste die Stimmung im letzten Quartal einen Dämpfer, was bedeutet, dass bessere Fundamentaldaten mit grosser Angst kombiniert sind – ein Grundrezept für solide Gewinne.
Lassen Sie also nicht alle schweizerischen Aktien fallen. Fragen Sie sich stattdessen, wovor sich die Menschen allgemein fürchten und welche Gelegenheiten ihnen deshalb entgehen. Und kaufen Sie in anderen europäischen Ländern, die noch stärker abrutschten, beispielsweise Österreich, Deutschland, Irland und Italien.