Diese Performance ist ein Horror! In den letzten drei Monaten ging es mit fast allen Aktienmärkten steil bergab. Der Dow Jones hat seit Anfang Februar 20 Prozent an Wert verloren, der Dax ebenfalls und der japanische Nikkei 225 schneidet kaum besser ab. Die grossen Blue Chips im Euro Stoxx 50 sind in den Zeitraum sogar um 25 Prozent weggebrochen. Bezogen auf den Start Anfang Februar lag das Minus der Standardwerte in der Euro-Zone sogar schon bei 35 Prozent.
Weit weniger tiefe Einschnitte gibt es dagegen im SMI. Die hiesigen Blue Chips notieren derzeit zehn Prozent tiefer als vor drei Monaten und selbst am tiefsten Punkt Mitte März lag das Minus bei relativ bescheidenen 20 Prozent.
The Trend is your Friend
Dieser relativ gute Lauf lässt sich messen. Anleger verwenden dafür die sogenannte relative Stärke nach Levi kurz RSL. Die Idee dahinter: Indizes, oder Einzelaktien, die in der Vergangenheit im Vergleich zu anderen Basiswerten relativ gut gelaufen sind, werden auch in der nahen Zukunft relativ gut und damit wohl besser laufen als die anderen.
Der US-Analyst Robert Levy untersuchte dazu in den 1960er-Jahren eine altbekannte Börsenweisheit: „the trend is your friend“ oder auf Deutsch: Wer auf einen bestehenden Trend setzt, der erzielt häufig überdurchschnittliche Resultate. Levy untersuchte damals die Kursentwicklung von 200 Aktien an der New York Stock Exchange über einen Zeitraum von 1960 bis 1965. Er entdeckte dabei einen Zusammenhang zwischen einer positiven Performance in der Vergangenheit und einer positiven Kursentwicklung in den folgenden Monaten und Quartalen.
Einstiegssignal RSL
Der Zusammenhang ist dabei umso deutlicher, umso weiter der RSL über 1 liegt. Levy entwickelte den RSL 1966, indem er den aktuellen Kurs des Basiswerts durch den Kursdurchschnitt der letzten 26 Wochen teilte. Werte über 1 beim RSL signalisieren Anlegern relative Stärke. Sie zeigen, dass sich eine Aktie überdurchschnittlich entwickelt. Levy folgerte, dass solche Aktien auch noch einige Zeit vergleichsweise gut laufen werden.
Ein RSL von über 1 ist nach Levy also ein Kaufsignal. Aktuell bringt es der SMI zwar nur auf einen RSL von 0,94 und ein Kaufsignal wird damit noch nicht generiert. Aber andere Indizes schneiden teils deutlich schlechter ab. Der SPI liegt mit 0,96 übrigens sogar noch leicht darüber.
Der Dax im Nachbarland Deutschland schneidet mit einem RSL von 0,84 ziemlich mies ab und die grossen Aktien im Euro-Raum im Euro Stoxx 50 kommen ebenfalls auf einen schwachen RSL von nur 0,85. Immerhin bringen es Dow Jones und Nikkei 225 schon auf etwas bessere RSL-Werte von jeweils 0,89.
Aber auch wenn die Standardwerte in den Leitindizes mehr oder weniger schwach abschneiden: Tech-Aktien geben sogar in den aktuellen Krisenzeiten reihenweise Kaufsignale ab. Die weltweit gewichtigste Technologiebörse, die Nasdaq 100 in New York, bringt es aktuell auf einen RSL von 1,02.
Tech-Aktien – Profiteure der Corona-Pandemie
Technologie könnte jetzt durch Corona auch zusätzlichen Rückenwind bekommen. Denn in vielen Ländern insbesondere in Europa treten jetzt in Zeiten von Home Office und Home Schooling teils signifikante Schwächen in der digitalen Infrastruktur hervor. Die Folge könnte sein, dass viele Länder künftig viel mehr Geld in den Sektor stecken als bisher mit entsprechend steigender Nachfrage im Tech-Bereich.
Zudem generiert beispielsweise Home Office nun eine enorm steigende Nachfrage nach Kapazitäten in den grossen Rechenzentren und die Aktien von Betreibern solcher Zentren – wie etwa einer Northern Data – gehen ab. Der RSL des Titels liegt bei weit überdurchschnittlichen 1,78 und generiert damit ein klares Kaufsignal.
Tesla ist der stärkste Titel an der Nasdaq
Für Anleger ist Corona also wirklich kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken, sondern gezieltes Stock-Picking zu betreiben. Im Tech-Segment ist Tesla im Nasdaq 100 derzeit der Top-RSL-Titel mit einem Wert von 1,34. Mit einem RSL von 1,29 und 1,26 folgen dicht dahinter die beiden Biotech- und Pharmawerte Regeneron und Seattle Genetics.
Mit einem RSL von 1,21 und 1,19 – das ist immer noch ein glasklares Kaufsignal – folgen dann die beiden Tech-Companies Netflix und Citrix Systems. Netflix profitiert von Corona durch stark gestiegene Neukundenzahlen. Denn wer zuhause in Quarantäne sitzt, sucht eine Beschäftigung und da stehen Filme von Netflix weit oben auf der Wunschliste.
Corona-Profiteur Netflix
So kam es im ersten Quartal zu einem regelrechten Run auf die Abodienste des Anbieters von Video-Streaming und zum besten Dreimonatszeitraum in der Firmengeschichte. 15,8 Millionen Menschen buchten neu die Dienste des Film-Konzerns aus Los Gatos in Kalifornien. Das lag über den Prognosen des Netflix-Managements und auch weit über den Prognosen der Analysten.
Mit einem RSL von 1,19 liegt Amazon an der Nasdaq ebenfalls ganz weit oben unter den Top-Performern in der letzten Zeit. Auch das ist Folge von Corona. Da weltweit viele Detailhändler vom Staat zwangsweise geschlossen wurden, kaufen die Konsumenten online ein.
Der Umsatz des Online-Giganten aus Seattle im US-Bundesstaat Washington sprang im ersten Quartal um 26 Prozent nach oben. Zwar fiel der Gewinn wegen höherer Kosten infolge von Corona wie etwa wegen verstärktem Schutz der Mitarbeiter vor dem Virus oder des Ausbaus der Lieferlogistik in den drei Monaten um 30 Prozent. Doch Anlegern ist das offensichtlich egal. Seit Mitte März ist der Kurs von Amazon um 30 Prozent gestiegen und die Analysten von Goldman Sachs haben das Kursziel für die Aktie auf 3000 Dollar angehoben.
Lonza und Roche sind zwei RSL-starke Schweizer
Mit einem RSL von 1,15 ist Lonza im SMI der Wert mit der grössten relativen Stärke. Roche bringt es auf einen RSL von 1,11. Beide Titel mischen im Kampf um Corona mit. Während Roche nun von der US-Gesundheitsbehörde FDA die Genehmigung für einen Antikörper-Schnelltest bekommen und mit dem Krebsmedikament Actemar einen Anwärter eines Präparats bei der Behandlung von Covid-19-Patienten hat, arbeitet Lonza zusammen mit dem US-Biotechunternehmen Moderna an der Einführung eines Impfstoffs gegen den Virus.
Die Aktie von Lonza ist inzwischen über den Widerstand beim bisherigen Allzeithoch vom Februar um 420 Franken nach oben ausgebrochen, Roche steht kurz davor. Angesichts des hohen RSL sind bei beiden Titeln weitere Kursgewinne zu erwarten.
Ein kleines Genfer Biotech hängt alle ab
Der absolute Überflieger in Hinblick auf relative Stärke und den RSL ist übrigens Relief Therapeutics. Ein Wirkstoff des Biotechunternehmens aus Genf wird derzeit im Rahmen einer FDA-Studie in den USA im Kampf gegen die von Covid-19 verursachte Atemnot getestet. Das brachte dem Kurs des Unternehmens seit Anfang März eine Verzehnfachung und der Aktie einen RSL von rekordverdächtig hohen 3,92.
Zwar liegt dazu die Online-Apotheke Zur Rose mit einem RSL von 1,47 deutlich zurück. Doch auch der Pharmahändlers profitiert von einer Orderflut in Zusammenhang mit Corona. Im ersten Quartal gab es ein Umsatzplus von 15,9 Prozent. Das Virus bringt dem Medikamentenhändler aus Frauenfeld im Kanton Thurgau aber nicht nur aktuell steigende Umsätze.
Die Folgen könnten langfristig sein. Es ist nämlich damit zu rechnen, dass die Berührungsängste der Konsumenten einer E-Commerce-Apotheke gegenüber künftig geringer sind und dass das Geschäft dadurch einen grundsätzlichen Schub bekommen wird. Trotz einer Kursverdoppelung in den letzten sechs Monaten ist die Aktie noch nicht ausgereizt.
Georg Pröbstl ist Chefredaktor des Börsenbriefs Value-Depesche. Der Börsendienst ist auf substanzstarke unterbewertete Aktien mit guten Perspektiven aus Deutschland, Österreich und der Schweiz spezialisiert. Die jährliche Performance des Musterdepots seit Start im April 2010 beträgt +14,6 Prozent (DAX: +7,8 Prozent).
Transparenzhinweis: Der Autor berät Anlageprodukte. In diesem Beitrag besprochene Aktien können zum Anlageuniversum zählen.