Für ein Wochenende wurde Saas-Fee zu «Sass-Süss». Die Süssweinelite gab sich Ende August im Fünfsternhotel Ferienart Resort & Spa ein Stelldichein: Die besten Rieslingwinzer aus Deutschland, der Elsässer Topproduzent Olivier Humbrecht, der Portwein-Star Dirk van der Niepoort und die besten Namen aus dem Wallis. Nur Österreich war bloss in verflüssigter Form vorhanden. Der nationale Süssweinheilige, Alois Kracher, schickte seine kostbaren Fläschchen allein auf die Reise. Grund genug, sich auf den Erinnerungspfad zu begeben, Bilder und Eindrücke des letzten Besuchs auf dem Weinlaubenhof in Illmitz abzurufen.
Nebel und Sonne machen süss
Es ist Winter und bitterkalt im Seewinkel am Ostufer des Neusiedlersees. Bleich scheint die Sonne vom weiten Himmel. In der dunstigen Ferne blinkt das Wasser. Die letzten Rebstöcke sind gerade erst eine gute Woche abgeerntet – der schwierige Jahrgang 2002 forderte den Winzern das Letzte an Geduld und Arbeitseinsatz ab. Bar ihrer Früchte stehen die Pflanzen nun wie unnütz im Weinberg. Für das ungeschulte Auge präsentiert sich die Gegend zwischen Illmitz und dem Seeufer völlig flach, doch Alois Kracher weist mit raumgreifender Gestik auf die Hügel hin: Geländewellen von ein bis eineinhalb Meter Höhe, die wesentlichen Einfluss auf die Traubenreife und die Qualität der Botrytis haben. Ohne den Schimmelpilz Botrytis cinerea wären die Weine des Seewinkels wohl namenlos geblieben. Begünstigt vom feuchtwarmen Klima des tümpelreichen Landstrichs und dem daraus entstehenden Nebel, den die Herbstsonne zuverlässig wieder auflöst, befällt er im Oktober die Traubenbeeren und lässt sie zu zuckerreichen, aromatischen Rosinen schrumpfen. Daraus wird dann nur noch wenig, aber umso köstlicherer Wein gekeltert.
Sinnenfrohe Familie
Der schönste Nektar trägt regelmässig den Namen Kracher auf dem goldfarbenen Etikett. Das war schon so, als Alois sen. 1981 dem jungen Lois die Verantwortung für die Kelterung übergab. Der Vater zog sich auf die Rebenpflege zurück; der Sohn begann die ganze Produktion zu systematisieren und zu perfektionieren. Anfänglich noch im Nebenjob, die Beschäftigung in der Pharmaindustrie wollte der gelernte Drogist nicht ganz aufgeben. 1986 trat der Filius dann ganz in den Familienbetrieb ein – die Krachers sind starke, eigenständige Individuen, die sinnenfroh leben und einander leben lassen. Mit Respekt vor den Leistungen der älteren Generation, aber allergisch gegenüber Ignoranz jeder Couleur, trieb Lois die Vergrösserung, Vertiefung und Verbesserung tatkräftig voran. Investiert wurde primär in Rebland. Denn gerade in der Erzeugung von Süssweinen mit seinen mehrfachen Lesedurchgängen zahlt sich eigener Rebbesitz aus. Die Rebfläche stieg kontinuierlich von 5 auf 30 Hektar.
Investiert wurde aber auch in die Weinbereitung – in finanzieller wie vor allem auch in gedanklich-konzeptioneller Hinsicht. Massgeschneidert auf die Eigenschaften der unterschiedlichen Traubensorten, die in kleinsten Chargen im optimalen Reifepunkt geerntet werden, erfolgt die Kelterung, oftmals die reinste Mikrovinikation von manchmal nicht mehr als 300 Litern.
Kracher unterscheidet grob zwei Weinstile: Die Linie «Zwischen den Seen» und die «Nouvelle Vague». Bei der ersten wird der Most in traditionellen Akazienfässern vergoren, weist am Schluss mit bis zu 250 Gramm eine höhere Restsüsse und einen niederen Alkoholgehalt auf. Die Betonung liegt auf Frische und Frucht. Und im Gegensatz dazu die «Nouvelle Vague»: Eine Hommage an den Sauternes, Krachers Süssweinmassstab, mit Vergärung und Ausbau in neuen Barriques, geprägt von Röstaromen, mit zumeist höherem Alkoholvolumen und tieferem Gehalt an Restzucker.
Je nach Güte des Jahrgangs und je nach Ernteverlauf gibt es unterschiedlich viele Abfüllungen. Auf den einzelnen Etiketten stehen die Rebsorte und eine Nummer. Die Zahl bezeichnet in aufsteigender Folge ein Mehr an Konzentration. Kracher sieht darin keine Wertigkeit: «Innerhalb eines Jahrgangs ähnelt sich die Qualität. Je höher die Nummer, desto mehr Konzentration kauft man. Das notabene zu einem teureren Preis.»
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Ein Wein zum Entspanntsein
1995 etwa entstanden 15 verschiedene Trockenbeerenauslesen. Weinkritiker Robert Parker benotete sie allesamt rekordträchtig hoch und ebnete Lois Kracher damit den Weg in die USA und den Aufstieg in den Süssweinolymp. Im aktuell verfügbaren Jahrgang 2000 sind es zehn Weine in TBA-Format. Zu ihrer Verkostung disloziert man vom winterlichen Rebberg ins geheizte Bürogebäude, wo in einem bescheidenen Degustationsraum die Fläschchen Parade stehen.
Von der No. 1, einem wuchtig-aromatischen Traminer, schwelgt man sich bis zur No. 10, dem Welschriesling-Elixier mit seiner typischen Weissen-Pfeffer-Note. Von Glas zu Glas steigt die Begeisterung.
Lois Kracher steht ruhig daneben und weidet sich an der Euphorie und der Sprachlosigkeit. Schwer fällt es tatsächlich, passende Worte für die pure Sinnlichkeit zu finden. So fällt die profane Frage: «Wann soll man diese Weinessenzen trinken?» Kracher überlegt nicht lange: «Am Samstag, wenn die Zeitungen dick sind, der Stress nachlässt, mit Freunden, zum Meditieren, wenn man Gutes trinken will, aber doch keinen Wein. Zur Zigarre, zur Zigarette, zum Entspanntsein, zu Musik, vor und nach der Liebe ...»
Na dann, wohl bekomms!
Martin Kilchmann ist Weinspezialist und regelmässiger Mitarbeiter der BILANZ.
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