BILANZ: Herr Pell, Sie sind seit über 20 Jahren Fondsmanager. Haben Sie je so was erlebt?
Richard Pell:
Nein. Da müsste man schon in die späten Dreissigerjahre zurückgehen. Doch was sich derzeit am US-Obligationenmarkt abspielt, ist wirklich einmalig. Noch nie gab es so schnell so viele Konkurse. Der Markt ist total gelähmt. Stellen Sie sich mal vor: Heute haben Sie schon Mühe, ein Paket von fünf bis zehn Millionen Dollar zu handeln! Als der Automobilbauer Ford kürzlich eine Anleihe auflegte, gab es keine Käufer. Ford musste den Emissionspreis erst um acht Prozent senken, bevor Nachfrage aufkam.

Was waren denn die Gründe?
Ford hat hohe Kosten und noch höhere Schulden. Allein die Ausstände gegenüber der firmeneigenen Pensionskasse belaufen sich auf mehrere Milliarden Dollar. Ford muss dieses Geld bald liefern. Es könnte eng werden.

Sie glauben, dass es weitere Pleiten geben wird?
Schauen Sie sich mal unsere Airline-Industrie an. Der kleine Carrier JetBlue ist an der Börse so viel wert wie American, United und Delta zusammen. Das ist doch eine Katastrophe. Die allgemeine Lage ist wirklich alles andere als rosig: hohe Schulden, eine schwache Wirtschaft und wenig Bereitschaft, weitere Schulden zu finanzieren. Die steigenden Zinsen für Firmenbonds sind ein klares Indiz dafür, dass der Markt mit weiteren Insolvenzen rechnet.

Vermögensverwalter monieren, seit Enron könnten sie den Bilanzen nicht mehr trauen.
Enron und WorldCom, das war Betrug. Klar, wir bevorzugen jetzt auch Firmen, die nicht ständig akquirieren. Aber machen wir uns nichts vor: Versuchen Sie mal die Bilanz von JP Morgan mit ihren Derivaten im Nennwert von 24 Billionen Dollar zu verstehen. Das ist mehr als das Doppelte des amerikanischen Bruttoinlandprodukts!

Anleger klagen auf Schadenersatz, die Behörden wollen den Investment-Banken ans Leder. Wie ernst ist es denen?
Sehr ernst. Die Klagen sind ein echtes Problem für die Banken, und die Börsenaufsicht, die Staatsanwaltschaft und die Politiker machen alle sehr viel Druck, die Analyse vom übrigen Investment-Banking zu trennen. Die Folgen wären schlimm: Tausende von Analysten stünden mit einem Mal auf der Strasse.

Was würden Sie jemandem sagen, der jetzt ins Banking einsteigen möchte?
Der Job ist extrem hart geworden. Es gibt zu viele Fonds und zu viele Banker. Die Kunden motzen, weil sie uns nicht für Verluste bezahlen wollen. Der Druck, Mehrwert zu schaffen, steigt. Es ist ein merkwürdiger Job. Wir fabrizieren Performance-Zahlen ...

... und Sie machen Prognosen. Was passiert denn, wenn die USA den Irak angreifen?
Falls sich in der Irak-Frage etwas bewegt, was die Unsicherheit beseitigt, dann würde das von den Märkten positiv aufgenommen. Aber an den Börsen wäre ich für die nächsten zwei Jahre skeptisch. Die Analysten erwarten für 2003 eine Verdoppelung der Firmengewinne. Das ist ambitiös.

Wo sind Sie persönlich investiert?
24 Prozent in Aktien, der Rest in Immobilien, Staats- und inflationsgeschützten Bonds.
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