BILANZ: Herr Homoki, kürzlich sagten Sie auf die Frage, was Sie an Berlin vermissen werden: Döner Kebab für 2.50 Euro. In Zürich kostet der zehn Franken.

Andreas Homoki: Ist das wahr?

Haben Sie das nicht erwartet?

Doch. Mich wundert da nichts mehr (lacht).

Sie ziehen mit Ihrer Familie nach Zürich. Haben Sie schon eine Wohnung?

Wir schauen uns um. Die Kreise 7 oder 8 wären schön. Wir haben auch schon eine Schule für meinen Sohn ausgesucht.

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Der Unterschied zwischen Berlin und Zürich ist sehr gross.

Finden Sie? Ich bin da gar nicht so sicher. Klar: andere Mentalitäten, andere Wirtschaftskraft. Berlin hat drei Opernhäuser, Zürich eines. Zürich ist ausgesprochen international ausgerichtet, während Berlin sehr mit sich selbst beschäftigt ist.

Zürich ist offener?

Tatsächlich, ja. Ich atme da künstlerisch einen frischeren Wind. So paradox das klingen mag.

Vor mehr als drei Jahren wurde bekannt, dass Sie nach Zürich kommen. In einem halben Jahr fangen Sie an. Solche Übergangsfristen schaffen doch jede Menge Probleme.

Gar nicht! Das hat auch viele Vorteile, da es im internationalen Opernbetrieb ungeheure Planungsvorläufe gibt. Für die Mitarbeiter der Oper ist so eine lange Übergangszeit sicher nicht immer einfach. Die leben jetzt, gerade nach der langen Amtszeit von Alexander Pereira, natürlich ein wenig im Ungewissen.

Zumal erwartet wird, dass Sie vieles anders machen.

Stimmt, das war der Auftrag an mich. Die lange Vorbereitungszeit war sehr hilfreich. Etwa bei der Besetzung des General-musikdirektors. Die wenigen weltweit renommierten Dirigenten sind auf vier, fünf Jahre im Voraus nachgefragt. Dazu waren der Ballettchef und weitere wichtige Mitarbeiter zu ersetzen.

Sie bringen kein Team mit.

Ich wollte mit einer gewissen Sensibilität für das Haus vorgehen. Mich nicht in einem mitgebrachten Hofstaat einigeln. Sondern mich ganz bewusst als einzelne Person auf den Betrieb einlassen. Es war schön, zu spüren, dass ich nach zehn Jahren als Intendant inzwischen die nötige Gelassenheit und Souveränität dafür habe.

Braucht man keine Hausmacht?

Doch, aber die muss man sich erarbeiten, die Leute überzeugen. Auch dafür ist dieser lange Vorlauf gut. Ich habe ein kleines Büro hier und bin mit allen Abteilungsleitern laufend im Gespräch.

2009 wurde Daniele Gatti zum Generalmusikdirektor ernannt. Nun verabschiedet er sich schon wieder. Sie holen Fabio Luisi.

Ich wollte diese zentrale Position früh geklärt haben. Als ich kurz nach meiner Ernennung eine Shortlist erstellt hatte, versuchte ich, auch mit Gatti ins Gespräch zu kommen. Aber er ging nicht darauf ein. Als ich ihn nicht sprechen konnte, blieb mir nichts übrig, als ihn von der Liste zu nehmen.

Als Luisi in Dresden nicht verlängerte, griffen Sie zu. Was heisst das für das Opernorchester?

Die Musiker freuen sich auf Fabio. Er hat viele Ideen, möchte das Orchester auch im sinfonischen Bereich weiterentwickeln und verstärkt mit ihm auf Tournee gehen.

In Zürich erwirtschaftet die Oper 40 Prozent ihres Budgets selbst, an der Komischen Oper Berlin sind es 15 Prozent, der Rest sind öffentliche Zuschüsse. Für Sie wird sich das Arbeiten verändern.

Absolut, der finanzielle Druck ist massiv höher. Dafür ist die Zürcher Oper in der Stadt ganz anders aufgehoben. An der Komischen Oper haben wir etwa 180 Opernvorstellungen im Jahr, was mit Zürich vergleichbar ist, wobei hier natürlich noch das sehr wichtige Ballett dazukommt. Aber in Berlin gibt es keine Abonnements, also keine Grundauslastung. Jede Karte ist frei verkauft. Und trotz dem prozentual hohen öffentlichen Beitrag ist die Summe an Zuschüssen viel niedriger als in Zürich.

Zürich steht als Synonym für Besetzungen mit Stars à la Bartoli oder Netrebko. Sie fokussieren eher aufs Künstlerische.

Ich bin ein grosser Fan des Ensemblegedankens. Wir bemühen uns, interessante neue Sänger zu engagieren. Wobei das Ensemble bereits jetzt sehr gut ist, weshalb wir auch sehr viele Künstler des Hauses übernehmen werden.

Auf Stars können Sie nicht verzichten. Das Zürcher Publikum verlangt Glamour.

Klar, viele Opernfans gehen wegen prominenter Besetzungen in die Oper. Das werden wir bedienen, nicht nur mit bisherigen Publikumslieblingen, sondern auch mit interessanten Débuts hochkarätiger Sänger, die noch nicht hier gesungen haben.

Aber?

Mir ist wichtig, dass das künstlerische Produkt nicht leidet. Von einem Superstar, der nur fünf Tage zum Proben kommt, habe ich nichts. Da wird das Eigentliche ausgehöhlt: spannendes Musiktheater zu machen.

Lässt sich eine Anna Netrebko nicht mit dem Hubschrauber absetzen, singt ihren Part und fliegt zum nächsten Engagement?

Anna Netrebko ist nicht nur eine fantastische Sängerin, sondern auch eine charismatische Darstellerin, die wie jeder grosse Künstler um die Bedeutung einer guten Probenarbeit weiss. Man muss das rechtzeitig und genau planen, dann kann man auch mit diesen Stars tolles inhaltliches Theater machen.

Mit wochenlanger Probenarbeit, um den schauspielerischen Ausdruck einzuüben? Dafür müssten die Stars andere lukrative Auftritte auslassen.

Unterschätzen Sie nicht die Bedeutung einer wichtigen Zürcher Premiere für das Renommée eines Opernstars. Darüber hinaus müssen sich auch Stars weiterentwickeln und wollen neue Rollen ausprobieren. Und ein Künstler braucht Zeit, eine Partie zu entwickeln. Die wirklich tollen Künstler, die guten, sind auch am theatralischen Ergebnis interessiert. Wer nur singen will und sich ansonsten ignorant verhält, hat bei mir keine Chance.

Wen meinen Sie?

Ich nenne keine Namen.

Die vergangenen beiden Spielzeiten sahen schlecht aus. Zuletzt wurden bei einem Budget von 135 Millionen Franken fünf Millionen Verlust verbucht.

Da kamen wie immer in solchen Situationen verschiedene Ereignisse zusammen, auch die Finanzkrise hat geschadet.

Sie sind nicht als Kostensenker angetreten?

Nein, das war keine Vorgabe. Das Opernhaus Zürich soll weiterhin in der internationalen Topliga spielen, aber inhaltlich profilierter werden. So in etwa war die Vorgabe.

Die Ticketpreise sind stramm. In der aktuellen Spielzeit kostet ein Platz in «Parsifal» bis zu 270 Franken.

Es ist nicht gut, wenn ein so hoch bezuschusster Betrieb nicht für alle Bevölkerungsgruppen zugänglich ist. Wir wollen Vorstellungen vermehrt in tieferen Preiskategorien spielen, vor allem bei Wiederaufnahmen. Dann gibt es die schöne Tradition der Volksvorstellungen, die von Sponsoren getragen werden; die wollen wir beibehalten. Wir arbeiten auch an Modellen, Jugendlichen Karten zukommen zu lassen – etwa von Abonnenten zurückgegebene Tickets, die man günstiger weitergibt.

Sie sind ein expliziter Verfechter der öffentlichen Förderung der Oper. Worin liegt die Rechtfertigung?

Weil diese spezifische Kunstform nie entstanden wäre, wenn sie nicht gefördert worden wäre. Es waren immer Fürsten, die sich das geleistet haben. In den seltensten Fällen hat es wie ein kommerzielles Theater funktioniert. Praktisch alles ist Handarbeit, mit hohen Personalkosten. Oper wird von Menschen für Menschen gemacht, da gibt es kein Rationalisierungspotenzial.

Müssen sich Kunstangebote nicht am Markt rechtfertigen?

Wie müsste denn ein Musiktheater beschaffen sein, das ohne Zuschüsse auskommt? Man müsste Säle schaffen, die wie in den USA 3000 oder 4000 Menschen fassen. Nicht schön! Man müsste wie ein Musical-Unternehmer arbeiten: kleine Combo, kleines Ensemble, keine Neuproduktionen, Woche für Woche das gleiche Erfolgsstück, Spielplanvielfalt null.

Wie in London oder New York.

Ja, die Leute schwärmen: Toll, wie viele Theater die haben! Dabei spielen diese Häuser immer jeweils nur ein einziges Stück. Jahrelang. Theater für Touristen. Das ist doch todtraurig.

Was werden Sie selber in Zürich im ersten Jahr inszenieren?

Den «Fliegenden Holländer». Weiteres verrate ich noch nicht.

Zürich ist bisher die Kathedrale für das 19. Jahrhundert, Verdi und Rossini. Gehen Sie mehr ins Zeitgenössische?

Ja, wir wollen den Spielplan breit fächern. Das 20. Jahrhundert werden wir stärker berücksichtigen, aber unser Repertoire auch in der Alten Musik erweitern. Es gibt am Opernhaus Zürich dieses aussergewöhnliche Barockorchester La Scintilla, das international Massstäbe gesetzt hat. Wir planen, Mozart-Neu-produktionen ausschliesslich mit der Scintilla zu spielen.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem Vorgänger Pereira?

Sehr freundschaftlich und gut – auch wenn wir in vielem gegensätzlich gestrickt sind: Uns verbindet die Leidenschaft zur Musik und zum Theater.

Er wird oft als Sonnenkönig bezeichnet. Mit all den positiven und negativen Begleiterscheinungen.

Er ist halt ein richtiger Impresario alter Schule, der alles im Griff hat, ein Theater-Vater im besten Sinne. Ich bin ein Team Player. Das muss ich auch sein, sonst könnte ich meinen Kopf nicht freibekommen fürs Inszenieren. In der Funktion des Intendanten verstehe ich mich als Produzent und künstlerischer Impulsgeber, der seinen Mitarbeitern viel Freiraum lässt.

In Zürich müssen Sie wie Pereira Sponsoren einwerben.

Selbstverständlich, aber auch das mache ich im Team. Kontakte mit den Sponsoren gibt es bereits zahlreiche. Wir sind auf gutem Weg, längerfristige Verträge abzuschliessen, damit wir für beide Seiten Planbarkeit und eine transparente Struktur schaffen. Fundraising ist eine permanente Herausforderung. Aber es gibt da keinen Grund, sich Sorgen zu machen.

Haben Sie vor, wie Pereira einen satten Anteil der Sponsorengelder einzubehalten?

(lacht) Nein. Man muss aber fair sein: Als Alexander Pereira mit dem Akquirieren von Sponsoren anfing, ahnte niemand, wie erfolgreich er darin ist. Also hat man einen Anreiz für ihn geschaffen. Das wird mit meinem Amtsantritt nicht fortgeführt.

Ihnen wird immer wieder fürsorglich nahegelegt, für den Job in Zürich einen Smoking zu kaufen.

Natürlich habe ich längst einen. Auch schon getragen (lacht).Ich habe sogar einen Frack!

 

Andreas Homoki (51) leitet ab 2012 das Opernhaus Zürich; er wird auch als Regisseur tätig sein. Er wurde im deutschen Marl geboren, seine Eltern stammen aus Ungarn. Homoki studierte in Berlin Schulmusik und Germanistik. Seine Opernlaufbahn startete er als Assistent von Harry Kupfer, bald feierte er als Regisseur Erfolge. 2002 folgte er Kupfer als Chefregisseur der Komischen Oper Berlin, 2003 als Intendant. Homoki ist verheiratet und hat einen Sohn.