BILANZ: Ist es Ihnen wichtig, stets gut angezogen zu sein?

Werner Baldessarini: Sicher. Kleidung ist Ausdruck der Persönlichkeit, im Guten wie im Schlechten.

So wie der Typ aus Ihrer Werbung?

Sie meinen Charles Schumann?

Ja, genau wie der.

Bei ihm ist es jedoch nicht nur das Outfit, das Wirkung zeigt, sondern die Mischung, die Gesamterscheinung: Charles hat 1000 Jahre Leben im Gesicht, wirkt aber trotzdem sehr jugendlich. Er hat junge, wache Augen und ist einfach ein souveräner, lässiger Typ.

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Warum passt ausgerechnet er zu Baldessarini?

Ganz einfach, Charles Schumann verkörpert absolut unseren Leitspruch «Baldessarini separates the men from the boys». Baldessarini, das ist unaufgeregter Luxus. Baldessarini verkörpert Lässigkeit auf hohem Niveau. Baldessarini ist eher ein leicht verschmutzter Jaguar als ein frisch gewienerter Rolls-Royce. Auch die Preislage liegt zwischen diesen Extremen. Ich habe lange Hugo Boss gemacht, und jetzt mache ich nur noch, was mir Spass macht.

Die meisten Leute können diesen unaufgeregten Luxus ja mögen, wissen aber nicht unbedingt, was zusammenpasst. Und die Modeindustrie macht ihnen das auch nicht einfacher. So wurde jahrelang erzählt, braune Schuhe zum schwarzen Anzug: undenkbar. Heute ist genau dies der letzte Schrei. Manager sind oft angepasste Leute. Ihr grösstes Problem ist, in dieser Hinsicht Fehler zu machen.

Ob braune Schuhe zum schwarzen Anzug passen, kommt sehr auf den Schuhtyp an. Sie selber tragen heute Wildlederschuhe. Die passen praktisch zu allem, ausser zu Seide. Zu Seide – egal, in welcher Farbe – passt das nie, weil Wildleder viel zu ausdrucksstark ist zum feinen Seidenstoff.

Sie haben irgendwann den schönen Satz gesagt, dass Sie Kleidung nur einen Tag lang anzögen, dann brauche die Kleidung eine Pause von Ihnen.

Wenn Sie ein Kleidungsstück einen ganzen Tag lang tragen, wird dieses durch die Bewegung strapaziert. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber auch beim Schuh ist das so. Ich habe keine Schweissfüsse, und trotzdem freut sich jeder Schuh, wenn er mal einen Tag seine Ruhe hat. Ich glaube, da ist etwas dran. Auch die Körperwärme muss dann und wann ausgelüftet werden.

Wenn Sie morgens aufstehen, nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Kleidung aus für den Tag? Sie haben ja sicherlich mehrere Varianten?

Viele Dinge, die ich toll finde und selber propagiere, ziehe ich auch selber an und merke dabei, wie sie sich getragen anfühlen. Aber jetzt bin ich ja so ein dunkler Latin-Lover-Typ, wie Sie sehen können … Also im Ernst: Ich trage oft dunkle Sachen. Wenn ich einen hellen Anzug trüge, wäre ich mit meinen weissen Haaren als Gespenst hier aufgetaucht.

Wie kam es, dass Sie sich für Mode zu interessieren begannen?

Ich glaube, das hängt mit meinem Elternhaus zusammen. Meine Eltern waren sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Mein Vater stammte aus Italien, meine Mutter aus Nürnberg. Mein Vater war sehr eitel und hatte viel Gespür für Mode. Wenn Baldessarinis ausgingen, wurde Anzug getragen.

Also hat Ihr Vater Ihren Blick für Mode geschärft?

Nicht wirklich. Sensibilisiert für dieses Thema hat mich vielleicht der Textilgrosshandel meiner Eltern. Sie betrieben ein Geschäft für Kurz- und Galanteriewaren: Knöpfe, Hemden, Socken. Nichts Aufregendes.

Sie haben ja Ihre Eltern relativ früh verloren. Hat Sie das geprägt?

Es war traurig. Es ist schwierig zu erklären. Ich sage immer zu meiner Frau: Sei wahnsinnig lieb zu deinen Eltern, egal, um was es bei irgendeinem Disput geht. Anderenfalls kannst du es vielleicht nie mehr gutmachen.

Haben Sie darunter gelitten?

Gelitten? Dies ist ja plötzlich ein ganz trauriges Interview. Ich habe mich schon bei der Frage ertappt, was ich in den letzten zehn Jahren eigentlich gemacht habe mit meinen Eltern. Meine Mutter war eine hoch interessierte Persönlichkeit und wie alle Frauen ziemlich neugierig. Ich bin nicht sehr geduldig und habe ihr deshalb oft zu schnelle Antworten gegeben. Ich hätte mir mehr Zeit lassen sollen.

Bei Hugo Boss sind Sie mit 57 als CEO relativ unvermittelt ausgestiegen. Hat das damit zu tun, dass Sie das Gefühl hatten, es müsse noch etwas anderes kommen? Ist Ihnen die Endlichkeit des eigenen Daseins bewusst geworden?

Die Endlichkeit des Daseins wird mir mit zunehmendem Alter natürlich bewusst. Das ist ja logisch. Hinzu kommt aber, dass ich bei Hugo Boss alles erreicht habe, was man erreichen konnte. Mir ging es bei Hugo Boss nie um einen Titel, sondern immer um den Erfolg der Mode im Unternehmen.

Aktionärsversammlungen sind nicht wirklich sexy.

Nein, nicht wirklich! Aber Sie wollten ja wissen, warum ich so früh aufgehört habe. Grund war, dass ich mir selber endlich den Luxus gönnen wollte, mehr Zeit zu haben. Natürlich hätte ich auch unverändert weitermachen können, aber dann habe ich mich gefragt: Warum eigentlich erfüllst du dir deinen Wunsch nicht sofort? Als ich dann anfing, mit meiner Frau darüber zu diskutieren, wollte sie meine ernsthafte Absicht diesbezüglich zunächst nicht glauben. Dies war ja schon ein bedeutender Schritt. Aber es ist sehr gut gegangen. Ich habe mir gedacht, Mensch, ich werde ja höchstens 104 Jahre alt und bis dahin möchte ich noch einige neue Dinge erleben.

Ihre Frau fand dies gut? Die meisten Frauen haben ja Angst, dass der pensionierte Mann immer zu Hause ist und im Weg herumsteht, wenn sie staubsaugen will, weil er das ja nicht selber kann.

Also, meine Frau staubsaugt nicht selber, somit stellt sich dieses Problem nicht. Zum Zweiten geniessen wir beide die neue Qualität unserer gemeinsamen Zeit. Aber pensioniert im eigentlichen Sinne bin ich ja nicht, vielmehr engagiere ich mich mehr denn je für meine eigene Marke.

Die meisten Manager können ja nicht loslassen.

Das ist wirklich ein Phänomen. Und je älter sie werden, desto schlimmer wird es. Wissen Sie, wenn die Potenz nachlässt und das Gockelgehabe nicht mehr so ankommt, dann definieren sich immer mehr Männer über die Wichtigkeit ihrer beruflichen Position.

Sie selbst sind immun dagegen?

Die Beispiele vor meinen Augen haben mich wohl eher davon abgehalten, so zu werden. Viele von denen, die ich meine, sind tolle Leute, und ich habe Respekt vor ihren Leistungen. Aber warum können so viele nicht loslassen? Das Einzige, was sie einbringen können gegenüber der Jugend, ist ihre Erfahrung.

Was geht diesen Leuten ab?

Erfahrung ist gut und wichtig, aber was fehlt, ist die Prise Unbekümmertheit. Und wenn die Leute diese nicht mehr haben, dann ist auch ihre Risikobereitschaft sehr gering. Wenn sie im Laufe ihrer Karrieren schon viele Schläge einstecken mussten, wagen sie nichts mehr. Diese Kastration der Innovation wird dann mit viel Erfahrung entschuldigt.

Wie war das denn für Sie? Es wird ja oft zum Problem, wenn man plötzlich nicht mehr im Mittelpunkt steht und auch die Visitenkarte nicht mehr so glamourös aussieht.

Selbstverständlich stehe ich nicht mehr als Topmanager der Modeindustrie im Rampenlicht, sondern ausschliesslich als Designer meiner eigenen Marke Baldessarini. Da ich aber meine Entscheidung, mich aus der Firmenleitung von Hugo Boss zurückzuziehen, wohlüberlegt getroffen habe, gestaltete sich dieser Übergang für mich verhältnismässig problemlos.

Auf die Banker können Sie verzichten?

Vor einigen Jahren habe ich vor Mitarbeitern einer grossen Bank einen Vortrag über Mode gehalten. Dort waren neunzig Prozent in Dunkelgrau gewandet, der Rest in Dunkelblau. Damals hat vor mir der Finanzvorstand von Daimler-Benz einen sehr dominanten und aufregenden Vortrag über Space-Dream, Space-Shuttles und den Daimler-Benz-Konzern gehalten. Dies hat mich sehr beeindruckt – ich, der Modeguru aus Metzingen, kam mir im Vergleich zu dieser riesigen Firma wie ein Moskito vor.

Und was haben Sie gemacht?

Lauter gescheite Sachen gesagt.

Wirklich?

Natürlich. Nein, im Ernst, aber im Nachhinein kann man das so sehen. Mein Vortrag begann mit den Worten: «Er kann, sie kann, Nissan.»

Wie bitte?

Na ja, damit wollte ich sagen: Alle kaufen alle und meinen, sie werden dadurch immer noch globaler und potenter. Vergessen aber, dass sie Gefahr laufen, ihren eigenen Charakter zu verlieren. Am Ende weiss man nicht mehr, in was für einem Auto man sitzt. Klassisches Beispiel: Mutterfirma Fiat mit den Töchtern Lancia und Alfa Romeo. Alles untereinander austauschbar.

Das klingt ja direkt kapitalismuskritisch.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen die Globalisierung an sich, allerdings finde ich es sehr schade, wenn die Werte der einzelnen Kulturen oder die Philosophien der Firmen sich nicht mehr entfalten können. Nehmen Sie beispielsweise die Deutschen, die nun mal keine Italiener sind, oder die Italiener, die nie Deutsche werden können. Wenn aber alle das Gleiche machen, endet am Schluss alles in einer Minestrone.

Wie bitte?

Das ist sehr schade, weil man dann das einzelne – nun verkochte – Gemüse gar nicht mehr geniessen kann. Sie haben somit eine fade, weil uniforme Suppe vor sich! Aber, um noch mal auf meinen Vortrag zurückzukommen: Stellen Sie sich vor, was am folgenden Tag in der Zeitung stand.

Nämlich?

Dass Daimler-Benz Chrysler kauft. Und ich dachte mir, um Gottes willen. Genau meine Worte vom Vortag: Alle kaufen alle! Und das ist in der Textilbranche nicht anders. Schauen Sie sich mal um: Alle Läden neigen dazu, gleich auszusehen. Es gibt zu viel Mainstream und zu wenig Mut zu Charakter und Individualität.

Was ist zu tun?

Das Elixier der Mode sind kreative Fashion-Läden, die mit viel Engagement ihre eigene, durchdachte Modewelt aufbauen. Dadurch wird es auch wieder gelingen, eine Differenzierung vom langweiligen Mainstream zu erreichen. Diese individuellen Einheiten sind die Saat für die Mode. Speziell hier kann man durch Experimentierfreude, Ausdruck und Charakter modische Kreativität darstellen.

Es hat aber schon auch mit Globalisierung zu tun, dass die modischen Stile sich immer ähnlicher werden?

Ja, natürlich. Ich hätte nichts gegen die Globalisierung, wenn sie da aufhören würde, wo der einzelne Charakter noch Bestand haben kann. Genau hier liegt das Problem: Alle hecheln dem kurzfristigen Erfolg hinterher, dabei wird allen Ländern das gleiche Angebot übergestülpt. Ohne Rücksicht auf die einzelnen Kulturen.

Männer lassen sich ja gern in mediokre Uniformen zwängen. Irgendwie ist ihre Bereitschaft dazu grösser als bei den Frauen – deshalb tragen wohl so viele Männer Krawatte. Sie sind offensichtlich ganz froh, wenn sie sich diesem Diktat beugen können und sich nichts überlegen müssen.

Vom Diktat halte ich sowieso nichts. Den Frauen ist das Aussehen einfach wichtiger als dem Mann. Der Mann kann eine krumme Nase haben, und dann heisst es: Das ist ein interessanter Typ. Bei der Frau wird es im gleichen Falle sehr schwierig. Das heisst, sie muss sowieso mehr auf ihr Aussehen achten, daher beschäftigt sie sich auch stärker mit Mode.

Aber muss sie, oder macht sie es einfach?

Bei den Tieren ist es ja genau umgekehrt. Da sind ja wir die Gockel. In der Natur sind die Frauen die grauen Mäuse. Ich weiss nicht, warum das so ist. Und Frauen haben mehr zu bieten.

Ja gut, aber das sagen Sie jetzt als Mann, oder?

Das sag ich als Mann, ja.