Die frühere Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) und Ex-Finanzministerin in Frankreich tritt am Freitag ihren Posten als Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) an. Die Erwartungen an Christine Lagarde sind hoch – allerdings auch sehr unterschiedlich.
Auf der einen Seite hoffen (vor allem nordeuropäische) Kritiker auf die Abschaffung der niedrigen Zinsen und ein Ende der Anleihekäufe. Auf der anderen sind jene Experten, dich sich wünschen, die EZB würde die Notwendigkeit der Niedrigzinsen überzeugender verkaufen. Ihrem Vorgänger Mario Draghi sei das nicht gelungen, ist häufig zu hören.
Seit Jahren steht die EZB vor allem in Deutschland in der Kritik. Manche verteufeln die niedrigen Zinsen regelrecht und lasten sie allein der EZB an, ohne weitere ökonomische Umstände zu berücksichtigen.
Gerade in Deutschland wird ungern zugegeben, dass neben der EZB auch die Finanzpolitik für die niedrigen Zinsen verantwortlich ist. Die deutsche Fiskalpolitik wurde von der Französin Lagarde bereits häufiger kritisiert. Wiederholt hat sie Deutschland zu mehr Investitionen aufgefordert. Denn Länder wie Deutschland und die Niederlande investieren trotz Haushaltsüberschüssen zu wenig in Infrastruktur oder Bildung, so Lagarde.
Kommunikation mit der Öffentlichkeit
Ein andere Herausforderung für die neue EZB-Chefin ist die Kommunikation. Ex-Banker Mario Draghi sprach vor allem im Jargon der Notenbank-Fachleute, der für die breite Masse kaum verständlich ist. Ex-Politikerin Lagarde dürfte die Ansprache der Öffentlichkeit leichter fallen, zumal sie sogar Deutsch lernen will.
Auch innerhalb der EZB gab es immer wieder Uneinigkeit über Draghis Kurs. Insbesondere die im September angekündigten erneuten Anleihenkäufe sind sehr umstritten. Ein Drittel des EZB-Rates, in dem neben dem EZB-Direktorium die Chefs der nationalen Zentralbanken der 19 Euro-Staaten sitzen, stimmte dagegen. So der Präsident der deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, der seit Jahren immer wieder mit der EZB-Politik aneckte, aber auch die Notenbankchefs Klaas Knot aus den Niederlanden und François Villeroy de Galhau aus Frankreich.
Christine Lagarde kündigte bereits an, den Zwist über die jüngsten Lockerungsschritte überwinden und in Zukunft eine gemeinsame Linie finden zu wollen. «Ich suche immer nach der gemeinsamen Basis, um die verschiedenen Meinungen zusammenzubringen», sagte sie dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel».
Kaum geldpolitischer Spielraum
Allerdings hat die neue EZB-Chefin geldpolitisch zunächst wenig Spielraum. Mit der Entscheidung von September legte ihr Vorgänger den Kurs der EZB über seine Amtszeit hinaus fest. Eine vorschnelle Abkehr davon würde die Märkte verunsichern.
Die Negativzinsen weiter zu senken, sei jedoch begrenzt möglich, sagte Lagarde kürzlich in einem Interview mit dem US-Sender «CBS». Es gebe eine Untergrenze. Diese sei allerdings noch nicht erreicht.
Einige Experten erwarten auch, dass Lagarde die EZB politischer machen wird. Die 63-Jährige ist keine Ökonomin und hat wenig Erfahrung in der Geldpolitik. Dafür wird sie sich auf die Expertise ihres Chefökonomen Philip Lane verlassen – der frühere irische Zentralbankchef ist einigen Monaten bei der EZB.
Politisches Geschick in der Euro-Krise
Die studierte Politologin und Juristin arbeitete über 20 Jahre für die US-Grosskanzlei Baker McKenzie – zuletzt als Chefin. 2005 wurde sie dann in das Kabinett des französischen Präsidenten Jacques Chirac berufen. Nicolas Sarkozy ernannte sie später zur Finanzministerin.
2011 wurde sie dann Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington. Verhandlungsgeschick und Fähigkeit der Konsensbildung zeigte sie dort 2012, als der IWF am zweiten Rettungspaket für Griechenland beteiligt war – als Teil der sogenannten Troika mit EZB und EU-Kommission.
Dieses politische Geschick könnte ihr bald zugute kommen, wenn es darum geht, die Regierungen der Eurozone zu überzeugen, mehr zu tun, um die Wirtschaft zu stützen – und die erhitzten Gemüter innerhalb der EZB zu versöhnen.