Nach Jahren in dunklen Bankeranzügen mottet er diese eines Tages ein und tritt anschliessend nur noch in Chinos und Freizeithemd auf. Als Nächstes löscht er seine E-Mail-Adresse, schenkt seinen Computer der Sekretärin und benutzt nur noch einen antiken Fernsprecher mit Wählscheibe.
Jan Schoch, Chef der Finanzfirma Leonteq, scheint Ende des Jahres 2013 aus der Zeit gefallen. Gleichzeitig ist er äusserst erfolgreich: Der Börsenwert seiner Firma verdreifacht sich 2013 auf rund 1,3 Milliarden Franken.
Alle Investoren wollen bei einem rasanten Kursanstieg dabei sein. Aber wie ist er frühzeitig zu erkennen, und wann gilt es auszusteigen?
Wenn ein Chef sich plötzlich auffällig benimmt, kann das ein Warnzeichen sein. Doch der kommende Absturz von Leonteq ist aus den Allüren von Schoch noch nicht abzuleiten. Sie machen ihn sogar sympathisch, denn viele wünschen sich mal Ruhe vor E-Mails, Computer und Mobiltelefon.
Überzeugend und immer gut gelaunt
Schoch ist nicht nur CEO, sondern auch der beste Verkäufer. Kunden berichten, dass sie nach Gesprächen mit ihm das Gefühl hätten, unbedingt ein strukturiertes Produkt kaufen zu müssen. Er ist sehr überzeugend und immer gut gelaunt. Sein hohes Arbeitsvolumen scheint ihm die Laune überhaupt nicht zu verderben.
Leonteq, so die Story von Schoch, sei nicht einfach eine Finanzfirma, sondern biete eine einzigartige Software für die Berechnung und das Design von massgeschneiderten Finanzprodukten. So könne seine Firma 70 Prozent günstiger sein als traditionelle Anbieter. Auf Knopfdruck könnten solche Produkte auch für Partnerbanken hergestellt werden. Bald werde er viele Partnerbanken präsentieren können, sagt Schoch immer wieder.
Neue Marotten
Die Geschichte ist glaubhaft, die Aktie steigt weiter, allerdings zeigen sich bei Schoch neue Marotten: Im Jahr 2014 ist Leonteq gemäss Schoch plötzlich kein Finanzunternehmen mehr, sondern eine Technologiefirma. Er insistiert diesbezüglich gegenüber Journalisten, die seine Firma dementsprechend benennen sollen. Er surft jetzt im Hype der Fintechwelle mit, und die Medien klatschen Beifall: Er ziert das Titelblatt des Heftes «CEO des Jahres», die Finanzplattform Finews nennt ihn «Shooting Star der Schweizer Bankenszene». Derweil verdoppelt sich der Börsenwert von Leonteq 2014 fast noch einmal, auf rund zwei Milliarden Franken.
Solcher Beifall und die Bezeichnung als Shooting Star sollte Anleger hellhörig machen. Sehr beunruhigend ist es, wenn eine Firma plötzlich die Branche gewechselt haben will.
Höchste Alarmstufe für Anleger
Allerdings ist die Story vorerst weiter glaubhaft: Als Technologieplattform will Jan Schoch den asiatischen Markt zusammen mit Partnerbanken erobern. Die Investoren trauen es dem begnadeten Verkäufer zu. Der Börsenwert von Leonteq schiesst bis August 2015 auf 3,6 Milliarden Franken. Anleger, die beim Börsengang von Leonteq im Jahr 2012 eine Aktie für 40 Franken gekauft hatten, sind nun – wegen eines Aktiensplits im März 2015 – im Besitz von zwei Papieren, die je 230 Franken wert sind.
Der August im Jahr 2015 wäre der richtige Zeitpunkt für den Verkauf der Aktien gewesen. Angekündigt hat sich das im Monat zuvor, als bekannt wird, dass Michael Hartwig, Gründungspartner von Leonteq, sein Aktienpaket verkaufen und aus der Firma austreten will. Höchste Alarmstufe für Anleger.
Wegen fehlbaren Verhaltens gebüsst
Trotz beruhigenden Worten von Schoch fällt die Aktie in den nachfolgenden Monaten. Die Talfahrt beschleunigt sich, als im Februar 2016 die viel gepriesene Zusammenarbeit mit der asiatischen DBS Bank beendet wird – wegen unterschiedlicher Interessen. Im April muss Schoch eingestehen, dass die Gewinne seiner Firma weniger hoch ausfallen werden als erwartet. Fast gleichzeitig wird – aufgrund eines Berichtes in «Bilanz» – öffentlich, dass die Finma Leonteq wegen fehlbaren Verhaltens gebüsst hat. Der Aktienkurs schlittert weiter in die Tiefe.
Fünf Tage vor Heiligabend 2016 muss Schoch dann vermelden, dass die Gewinne seiner Firma schon wieder deutlich unter den Erwartungen bleiben werden. Der Gewinn fällt im Jahr 2016 auf 17 Millionen Franken, nachdem es 2015 noch 69 Millionen Franken gewesen sind. Die Aktie verliert an dem Tag allein noch einmal rund ein Drittel an Wert.
Noch vor kurzem der aufsteigende Stern am Finanzhimmel, ist Schoch mit Leonteq inzwischen in die Hölle der enttäuschten Erwartungen gefallen. Keine andere Schweizer Finanzfirma ist in den vergangenen fünf Jahren so rasant in die Höhe geschossen und anschliessend so tief gefallen.
Hype-Master
Solche Hypes wie um Leonteq gibt es immer mal wieder an der Börse. In der jüngeren Schweizer Unternehmensgeschichte war Thomas Limberger einer der Hype-Master. Aus der Industriefirma OC Oerlikon wollte er ab dem Jahr 2005 eine europäische General Electric (GE) machen. Ein äusserst hohes Ziel, denn GE ist das grösste Firmenkonglomerat der Welt. Aber immerhin schien Limberger zu wissen, wovon er sprach, denn er kam von GE, war dort erfolgreicher Länderchef von Deutschland, Österreich und der Schweiz gewesen.
Seine Arbeitstage dauerten 20 Stunden, erzählt Limberger damals. In Porträts über ihn ist zu lesen, dass er in wöchentlichen Telefonkonferenzen mit Abteilungsleitern neue Aufträge, Ergebnisse und Probleme abfrage. Er setze hohe Ziele und lasse Divisionen neu monatlich rapportieren. Wer nicht liefere, sei draussen.
Aggressive Akquisitionsstrategie
Mit diesem Image und seinen Think-Big-Geschichten jagt Limberger den Aktienkurs von OC Oerlikon zwischen August 2005 und Mai 2007 von 25 auf über 100 Franken hoch. Dazu fährt er eine aggressive Akquisitionsstrategie, übernimmt etwa Saurer, den Schweizer Hersteller von Textilmaschinen. Für die Übernahme muss sich OC Oerlikon stark verschulden. Gleichzeitig erkennt die Mehrheit der Kommentatoren kaum Synergien zwischen den beiden Firmen.
Diesen Drang zur Grösse mit Übernahmen, die wenig Sinn machen, sollten Anleger als Bedrohung sehen. Das gilt auch für die wenig sympathischen Allüren, die sich bei Limberger zeigen: Er fährt einen Ferrari 430 und verlegt den US-Sitz von OC Oerlikon an die feudale First Avenue in New York. Sein Lohnpaket in der Höhe von 26 Millionen Franken für 2007 ist unverhältnismässig, was auch sein Verwaltungsratspräsident so sieht.
Bald ist Limberger weg und OC Oerlikon ein Scherbenhaufen. Von einem Kurs von 100 Franken fällt die Aktie innerhalb von zwei Jahren auf unter drei Franken. Die Akquisition von Saurer wird 2012 rückgängig gemacht, die Aktie hat sich trotzdem nie mehr annähernd auf das Niveau des Jahres 2007 erholt.
«Doppelte Limberger» funktioniert nicht
Nach OC Oerlikon versucht es Mr. Hype noch einmal bei einer anderen Schweizer Industrieikone. Bei Von Roll hat er wieder grosse Ziele, aber der «doppelte Limberger» funktioniert nicht. In seiner Zeit als Chef von Von Roll verliert die Firma zwei Drittel ihres Börsenwertes.
Inzwischen ist Limberger als CEO seiner eigenen Investmentgesellschaft Silver Arrow tätig. Bescheiden ist er nicht geworden, verkündet er doch, sein Unternehmen habe mit «Performance Equity» eine neue Anlagekategorie für Investoren geschaffen. Seine vier Jahre bei Von Roll werden in seinem CV auf der Firmenwebsite als grossartiger Erfolg dargestellt: Er habe die 200-jährige Firma revitalisiert, indem er mehrere Akquisitionen getätigt habe, und ihren Fussabdruck in aufkommenden Technologien erweitert. In Wirklichkeit ist der einstige Grosskonzern Von Roll während Limbergers Zeit implodiert.
Trendsurfen
Auch bei der Solartechnologiefirma Meyer Burger war mit Peter Pauli, dem operativen Chef, jahrelang ein guter Verkäufer am Werk. Er surfte mit seiner Firma lange den Solarhype. Allein 2007 verzehnfachte sich der Börsenwert. Investoren schienen zu glauben, dass es immer so weitergehen würde. Das Wachstum des Unternehmens wurde einfach in die Zukunft extrapoliert.
Vor der Fortschreibung eines hohen Wachstumstempos sollten sich Anleger in Acht nehmen, denn dieses hält meist nur kurz an. Aber auch Pauli schien an weiterhin starkes Wachstum zu glauben, investierte weiter viel in Forschung und Entwicklung und dann auch in die Grossakquisition einer deutschen Solarfirma. Allerdings brachen anschliessend Überkapazitäten im Solarmarkt und das Fehlen eines Liquiditätspolsters Meyer Burger fast das Genick.
Noch heute steht die Firma nahe am Abgrund. Ein Neustart wird nun ohne Peter Pauli versucht. Von ihm sagen Investoren im Nachhinein, er sei immer mehr zu einem Solarmessias geworden und habe dabei vergessen, dass seine Firma eigentlich nur Maschinen verkaufe.
Überhöhte Erwartungen in die Blockchain-Technologie
Bei allen drei Beispielen wäre es für Anleger lukrativ gewesen, die Hype-Welle geschickt zu reiten. Dazu ist das Schema des Hype-Zyklus hilfreich, das Technologien einordnet. Insbesondere ist dort zu sehen, dass etwa die Erwartungen in die Blockchain-Technologie, zu der die Kryptowährung Bitcoin gehört, inzwischen überhöht sein dürften. Der Wert von Bitcoin, womit seit kurzem auch bei den SBB bezahlt werden kann, ist seit dem erst vor kurzem erreichten Höchst schon wieder deutlich gefallen.
Aber nicht nur Technologien lassen sich anhand des Hype-Zyklus einordnen, sondern auch börsenkotierte Firmen. Noch ganz am Anfang eines Hypes könnte die Firma Evolva stehen. Sie entwickelt natürlichen Zuckerersatz aus der Stevia-Pflanze. Allerdings hat sich die Markteinführung immer wieder hinausgezögert, und die Aktie ist bisher mehr gefallen als gestiegen.
Auf Alarmsignale reagieren
Wichtig ist für Anleger vor allem, das Ende eines Hypes erkennen zu können. «Vorsicht ist geboten, wenn Wechsel im obersten Management stattfinden, die Strategie eines Unternehmens plötzlich auf den Kopf gestellt wird, Insider Aktien verkaufen, ein grandioses neues Hauptquartier bezogen werden soll oder wenn eine Aktie nicht mehr auf gute Neuigkeiten zur Firma reagiert», fasst Torsten Sauter zusammen, Leiter der Analyse für Schweizer Aktien bei Kepler Cheuvreux.
Kurz vor dem Ende könnte der Hype-Zyklus bei der Schweizer Firma Comet sein. Ihr Börsenwert hat sich in den vergangenen fünf Jahren ungefähr verzehnfacht. Treiber dieser Entwicklung ist ein Verfahren zur chemiefreien Sterilisierung von Verpackungen, die Ebeam genannt wird. «Das ist seit Jahren eine vielversprechende Technologie. Es gibt allerdings immer noch kaum Anwender», sagt Urs Beck, Leiter des Bereichs Schweizer Aktien bei EFG Asset Management. Ausserdem blinke ein Warnlicht, weil der Konzernchef das Unternehmen auf Ende April verlasse.
Auch schon vorbei scheint der Hype um die von Martin Ebners BZ Bank gesteuerte Myriad. Sie hat einen WhatsApp-ähnlichen Messenger entwickelt, der sich dank Schützenhilfe von Carlos Slim vor allem in Südamerika grosser Beliebtheit erfreut. Als Facebook die 500 Millionen Abonnenten von WhatsApp für 19 Milliarden Dollar übernommen hat, ist Myriad erfolgreich auf den Hype aufgesprungen. Mit einem simplen Dreisatz liess sich daraus ein «sehr» theoretischer Wert von rund zwei Milliarden Dollar für Myriad berechnen. Allerdings hat es dafür (bisher) nicht gereicht. «Es gibt eben wohl doch nur eine WhatsApp», sagt der Schweizer Hedge-Fund-Manager Rudolf Bohli dazu.
Konkurrenzvergleich
Sehr «hypig» erscheinen auch die Aktien der Partners Group. Die Firma gilt inzwischen als das Erfolgsmodell am Schweizer Finanzfirmament. Tatsächlich wächst die Partners Group sehr schnell und kann sich neuer Kundengelder kaum erwehren. Investoren berichten aber, dass die Performance ihrer Anlagen nicht wirklich höher sei als jene der Konkurrenz. Gleichzeitig sei die Aktie der Partners Group aber deutlich höher bewertet als jene von Konkurrenten. Deswegen neigen inzwischen einige Profianleger dazu, lieber in die Aktien der Konkurrenten der Partners Group, etwa jene von Kohlberg Kravis Roberts (KKR), zu investieren.
Den ultimativen Hype an den Aktienmärkten erkennt Urs Beck aber nicht in einer einzelnen Aktie, sondern in der ganzen Gruppe von Dividendentiteln. «Ich will nicht hohe Dividenden, sondern Wertsteigerung», erklärt er. «Was nützen mir 17 Franken Dividenden der Zurich Insurance, wenn die Titel am Tag nach der Ausschüttung exakt 17 Franken weniger wert sind?», fragt er rhetorisch. Für besonders gefährlich hält er es, dass viele Firmen ihre Ausschüttungen an Aktionäre in Form von Dividenden derart erhöht hätten, dass immer weniger Gewinn für die Unternehmen selber und ihre Zukunftsprojekte übrig bleibe. So schütteten heute beispielsweise Swisscom oder Nestlé einen doppelt so hohen Anteil ihres Gewinns an Aktionäre aus als noch vor einigen Jahren.