Wie dürften sich die Preise für Gold und Silber im zweiten Halbjahr entwickeln?
Wir sehen für die Edelmetalle nur ein geringes Preisanstiegspotenzial. Der US-Arbeitsmarkt wird sich weiter erholen, sodass die US-Notenbank die Finanzmärkte auf eine Reduktion der Anleihenkäufe vorbereiten wird. Damit erhöht sich auch das Risiko für einen erneuten Renditeanstieg.
Ein höheres Renditeniveau steht unmittelbar in Konkurrenz zu Gold und Silber. Sollte die Delta-Mutation des Coronavirus für mehr Volatilität an den Finanzmärkten sorgen, werden die Edelmetalle jedoch wieder eine grössere Aufmerksamkeit der Investoren erhalten.
Die europäischen und US-Börsen sind ziemlich hoch bewertet. Welche Alternativen haben Anlegerinnen derzeit zu Aktien, um ihr Portfolio zu bestücken?
Mit der ultra-expansiven Geldpolitik und der Liquiditätsschwemme der Notenbanken sind die Bewertungen von sämtlichen Anlageklassen angestiegen. Aus diesem Grund ist auch der Vergleich mit historischen Bewertungsniveaus nur beschränkt aussagekräftig.
Rohstoffe waren in den vergangenen Monaten eine Alternative zu den Aktienmärkten. Die Angebotsengpässe werden sich dort jedoch wieder entspannen. Für uns sind Aktien für Anleger mit einem langfristigen Anlagehorizont immer noch eine attraktive Wahl. Trotz gestiegener Kosten für Rohstoffe und Logistik können Unternehmen ihre Margen dank höherer Gewinnaussichten noch steigern.
Die kanadische Börse findet hierzulande wenig Beachtung. Können Sie den Handelsplatz empfehlen?
Obwohl sich der Gewinnausblick für Kanada jüngst deutlich verbessert hat, ist der Markt, anders als die USA, noch immer vergleichsweise günstig bewertet, was auf eine gewisse Skepsis der Investoren schliessen lässt. Angesichts unserer Konjunkturprognosen für Kanada erachten wir diese Skepsis als übertrieben.
Wer auf Finanzwerte und Energieunternehmen setzen möchte, ist an der kanadischen Börse gut positioniert. Die zwei Sektoren umfassen beinahe 50% der Marktkapitalisierung.
«Die Ampel für die Schweizer Börse steht nach wie vor auf grün.»
Nachhaltiges Investieren anhand der ESG-Kriterien ist gross im Trend. Zahlt es sich auch aus finanziellen Gründen aus, in Unternehmen zu investieren, die sich um soziale und ökologische Ziele bemühen – lassen sich so höhere Renditen erreichen?
Nachhaltiges Investieren verfolgt nicht zwingend das Ziel der Renditemaximierung. Ich betrachte den Einbezug von ESG-Kriterien neben der Rendite- und Risikoüberlegung als eine dritte Dimension in der Portfoliokonstruktion.
Tatsächlich gibt es jedoch Studien, die einen positiven Effekt einer Verbesserung des ESG-Ratings auf das Wirtschaftswachstum feststellen. Verbessert ein Unternehmen beispielsweise die Governance oder die Ausbildung ihrer Mitarbeitenden, kann das durchaus eine Steigerung des Unternehmenswerts zur Folge haben und somit auch zu höheren Renditen führen.
Blicken wir auf das allgemeine Börsengeschehen: Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?
Die Erholung der globalen Wirtschaft aus der Corona-Rezession hat weiter an Stärke gewonnen, ist aber nach wie vor von beträchtlichen regionalen Unterschieden geprägt. So hat sich die Schere zwischen den Industrie- und Schwellenländern zuletzt nochmals ausgeweitet.
Mit einer höheren Impfdurchdringung in den Industrienationen sinken die Risiken für erneute Einschränkungsmassnahmen aufgrund von Coronavirus-Mutationen. Davon profitieren auch die Aktienmärkte in Nordamerika und Europa. Die relative Stärke der Industrieländer gegenüber den Schwellenländern dürfte sich daher fortsetzen.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Die Ampel für die Schweizer Börse steht nach wie vor auf grün. Mit dem Abflauen der Corona-Pandemie werden weitere Einschränkungsmassnahmen aufgehoben. Wir rechnen daher nochmals mit einer leichten Beschleunigung der globalen Konjunktur im 3. Quartal. Allerdings sollte damit das Maximum erreicht sein und die Wachstums-dynamik danach abnehmen.
Die globale Konjunktur bewegt sich somit in Richtung Spätzyklus. In reiferen Phasen des Konjunkturzyklus stossen defensive Sektoren und qualitativ hochstehende Unternehmen wieder auf eine grössere Nachfrage bei Investoren. In einem derartigen Umfeld gewinnt der Schweizer Markt typischerweise an Attraktivität.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Das Konjunkturumfeld wird sich auch über die nächsten Monate positiv präsentieren. Davon profitiert auch der Schweizer Aktienmarkt. Spekulationen um die Richtung der US-Geldpolitik, wie der Zeitpunkt einer Reduktion der Wertpapierkäufe, werden auch zu mehr Volatilität am Schweizer Aktienmarkt führen.
Insgesamt bleibt aber die Zuversicht hoch, dass die US-Notenbank die Inflationsrate im Zaum halten kann, ohne den konjunkturellen Aufschwung abzuwürgen. Die Risiken für die Aktienmärkte nehmen erst dann zu, wenn sich der Inflationsanstieg als hartnäckiger erweist und die Geldpolitik darauf reagieren müsste. Dafür gibt es zurzeit aber wenig Anhaltspunkte. Es bestehen gute Chancen, dass der SMI in zwölf Monaten höher notieren wird.
Christoph Schenk beantwortete die Fragen schriftlich.