BILANZ: Der Tweedy, Browne International Value Fund hat im vergangenen Jahr in Franken über 15 Prozent zugelegt. Mit welcher Methode konnten Sie diesen Erfolg erreichen?

William H. Browne: Wir nehmen eine einzelne Aktie unter die Lupe, anstatt uns den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sich wohl der Gesamtmarkt bewegen wird. Wir trauen uns nicht zu, die Entwicklung der Aktienmärkte vorauszusagen, und wir wollen es auch gar nicht. Wir glauben aber, dass wir den Wert eines Unternehmens bestimmen können. Daher dreht sich unser ganzer Prozess darum, herauszufinden, wie viel eine Aktie tatsächlich wert ist und ob wir sie günstig am Aktienmarkt kaufen können. Der Prozess unserer Aktienauswahl ist also ganz simpel.

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Wir schauen uns in der ganzen Welt nach günstigen Aktien um. In den vergangenen drei Jahren sind die Kurse gestiegen, da findet man heutzutage natürlich weniger interessante Titel als noch vor einigen Jahren. Damals haben wir eine gewisse Anzahl von kleineren Unternehmen aus der Schweiz wie Sika, SIG, PubliGroupe, Edipresse und Phoenix gekauft. Vor ein paar Jahren wollte niemand diese Aktien haben, die Anleger waren deprimiert und nicht an Aktien interessiert. Einige dieser Titel waren so niedrig bewertet, als ob die Unternehmen bald Pleite gehen würden. Wir schrieben uns von jeher auf die Fahnen, gegen den Strom zu schwimmen, und haben daher zugeschlagen. Seither haben die Aktien grosse Wertzuwächse verzeichnet.

Gibt es einen Sektor, den Sie in der Schweiz besonders attraktiv finden?

Wir wählen nicht nach Sektoren aus. Also suchen wir nicht nach Halbleiter-Aktien, wenn wir glauben, das wäre ein interessanter Markt. Viele Investoren halten es für sinnvoll, bei der Aktienauswahl so vorzugehen. Doch diese Methode hat einen Haken: Wenn man schliesslich die beste Firma gefunden hat, sind die ganzen positiven Effekte oftmals bereits im Preis enthalten. Wir gehen ganz anders vor und suchen nach Unternehmen, die günstig bewertet sind. Würden wir uns beispielsweise für die Jean Frey AG interessieren und es gäbe Aktien zu kaufen, dann wären wir mit grosser Wahrscheinlichkeit dazu in der Lage, herauszufinden, wie ihr Geschäft läuft. Wir könnten Umsätze, Gewinn, Schuldenstruktur, Zahl der Abonnenten und alle anderen wichtigen Daten bestimmen. Wenn dann der innere Wert signifikant höher ist als der aktuelle Börsenkurs, dann schlagen wir zu.

Bleibt bei so einem Ansatz nicht die Diversifikation auf der Strecke?

Wir investieren nicht mehr als drei Prozent unseres Geldes in eine Firma, in seltenen Fällen sind es vier Prozent. Zudem legen wir nicht mehr als 15 Prozent in einen Wirtschaftszweig an. Denn wir wollen bei Unternehmen, Branchen und Ländern diversifiziert sein.

Nach welchem Vorbild richtet sich der Investment-Ansatz bei Tweedy, Browne?

Unsere Investment-Idee basiert auf der Theorie von Benjamin Graham. Er gilt als Vater des Value-Investing. Auch Warren Buffett lernte von ihm das Handwerk und richtete seine Anlagestrategien nach Grahams Ideen aus. Genau wie Buffett glaube ich, dass die Theorie der Markteffizienz Blödsinn ist. Kennen Sie diesen Witz? Zwei Finanzprofessoren laufen über den Campus. Plötzlich sieht der eine einen Fünfzigfrankenschein auf dem Boden und bückt sich, um die Note aufzuheben. Da sagt der andere: «Bemüh dich nicht, wenn es tatsächlich ein Fünfziger wäre, hätte ihn bereits jemand aufgehoben.» So funktioniert der Markt nicht. Menschen agieren impulsiv, lassen sich von aktuellen Nachrichten zu stark beeinflussen und überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten. Das ist unser Glück, denn daher gibt es genug Aktien, die falsch bewertet sind.

Wie sollten Anleger denn bei der Aktienauswahl vorgehen?

Als Aktionär muss man sich als ein Firmeneigentümer verstehen, dann wird man ganz automatisch herausfinden wollen, was das Geschäft wert ist, anstatt zu prognostizieren, wie sich die Aktienmärkte entwickeln werden. Unser grosser Vorteil gegenüber anderen Fondsgesellschaften ist, dass wir wissen, was wir tun, wenn wir morgens zur Arbeit kommen. Wir wissen, wonach wir suchen und wie wir suchen. Wir haben eine Strategie, die auf einem Modell basiert, das nichts mit menschlicher Intuition zu tun hat. Denn auf die Intuition eines einzelnen Menschen kann man nicht bauen. Wohingegen es eine lange Historie gibt, die zeigt, dass der Ansatz, den wir wählen, funktioniert.

Wenn es so einfach wäre, würde doch jeder einen Value-Ansatz wählen.

Das kann ja auch jeder.

Und warum tut das nicht jeder?

Das liegt daran, dass Value-Investing ganz fundamental der menschlichen Natur widerspricht. Was immer man tut, ob man ein Haus kauft oder eine Schule für die Kinder sucht, Menschen wollen immer das Beste. Sie wollen keine Kratzer oder Flecken. Und sie wollen auch keine Aktien, die einen schlechten Ruf haben. In New York lautet ein altes Sprichwort: Das Verlangen, mit einer erfolgreichen Firma unterzugehen, ist grösser als der Wunsch, mit einem schlechten Unternehmen zu gewinnen. Daher scharen sich auch alle Investoren um die gleichen Aktien. Anleger wollen ein rosiges Szenario, und dafür bezahlen sie auch stattliche Preise. Was tun die Fondsmanager? Sie realisieren, wie das Spiel läuft, und wollen sich natürlich nicht das Geschäft durch die Lappen gehen lassen. Und so spielen sie alle mit und versuchen so genau wie möglich, den Wünschen der Investoren zu entsprechen. Daher ähneln die meisten Portfolios sehr dem Vergleichsindex.

Es gibt Zeiten, in denen Value-Ansätze weniger erfolgreich sind als Investitionen in Wachstumsaktien. Wie halten Sie Ihre Kunden während solcher Phasen bei der Stange?

Viele unserer Kunden sind schon sehr lange bei uns. Sie haben bereits gute Erfahrungen mit uns gemacht und verstehen unseren Investment-Prozess. Viele Menschen gehen die Aktienmärkte falsch an. Anleger müssen verstehen, dass eine Aktie kein Sparbuch ist. Die Märkte gehen hoch und runter. Etwa zwei Drittel der Zeit sind wir besser als der Markt, die restliche Zeit sind wir schlechter. Eine solche Phase kann ein Jahr oder auch länger andauern – auf lange Sicht sind wir allerdings überaus erfolgreich. Es gibt natürlich auch Kunden, die wir zu solchen Zeiten verlieren. Daher ist es wichtig, den Investoren immer wieder klar zu machen, was wir eigentlich tun. Wenn man bei jemandem investiert, dessen Strategie eine Blackbox ist, dann werden einem alle möglichen Schreckensszenarien durch den Kopf spuken, wenn es mal nicht gut läuft. Bei uns spielt Transparenz deshalb eine grosse Rolle. Wir publizieren unser Portfolio alle zwei Wochen. Wenn also etwas Unerwartetes passiert, werden wir genauso überrascht sein wie unsere Kunden.

Das klingt alles sehr überzeugend. Da bin ich ja jetzt gespannt auf Ihre aktuellen Aktientipps!

Wir sprechen nicht so gerne in der Öffentlichkeit über die Titel, in die wir investieren. Wenn wir das tun, könnte man uns unterstellen, wir wollten diese Titel empfehlen. Oft schneidet man sich mit Empfehlungen auch ins eigene Fleisch. Denn wenn sich eine Firma wie Tweedy, Browne über viel versprechende und günstig bewertete Aktien äussert, dann weckt dies mit grosser Wahrscheinlichkeit das Interesse vieler Anleger. Das treibt dann bloss den Kurs hoch, den wir bezahlen müssen. Zwar fühlt man sich geschmeichelt, wenn man in einem Magazin als Experte zitiert wird, im Grunde tun wir uns damit jedoch keinen Gefallen.

Es kommt auch noch ein zweiter Faktor dazu: In den Vereinigten Staaten muss man extrem vorsichtig sein, wenn man in der Öffentlichkeit über Aktien spricht, die man hält. Denn wenn dies als Empfehlung interpretiert wird, kann man dafür rechtlich belangt werden. Wir sind die ganze Zeit so ängstlich, etwas falsch zu machen. Denn man macht sich in den USA als Fondsgesellschaft bereits schuldig durch Dinge, die man nicht tut, und nicht nur durch diejenigen, die man tut.