BILANZ: 2001 war für über 90 Prozent der Aktienfonds verlustreich. Der Classic Global Equity gehörte mit einer positiven Performance von 7,4 Prozent zu den grossen Ausnahmen. Wo liegt das Geheimnis Ihres Erfolgs?
Georg von Wyss (G.v.W.):
Im Value-Stil. Wir investieren konsequent nur in unterbewertete Aktien. Und wie akademische Studien belegt haben, ist das langfristig der erfolgreichste Anlagestil.

Sie investieren die Mittel Ihres Fonds in «klar unterbewertete» Aktien. Was muss sich der Anleger darunter vorstellen?
Thomas Braun (T.B.): Wenn der faire Wert eines Titels 100 ist, interessiert er uns ab 65 und tiefer.

Wie ist es Ihnen gelungen, trotz einer Minusperformance von knapp 16 Prozent per Ende drittes Quartal das Jahr 2001 dennoch positiv zu beenden?
T.B.:
Als Value-Investoren handeln wir strikt antizyklisch. Ein Crash ist immer eine einmalige Gelegenheit, extrem tief bewertete Unternehmen zu kaufen, was wir dann mit den wenigen Cash-Beständen auch gemacht haben. Wir haben aber auch etwas Glück gehabt, dass sich die fünf, sechs Positionen, die wir dazu gekauft haben, fast alle sehr gut entwickelt haben.

Je turbulenter es also an den Börsen zu- und hergeht, desto spannender für Sie.
G.v.W.:
In einem solchen Moment schauen wir ausschliesslich auf den inneren Wert einer Aktie und den entsprechenden Abschlag. Uns kümmert also nicht, woher der Kurs kommt und welche Einbusse wir erlitten haben. Die Freude darüber, günstig in gewisse Aktien einsteigen zu können, überwiegt allfällige Buchverluste. Wir ärgern uns erst, wenn uns das Geld ausgeht, um günstig zuzukaufen.

T.B.: Leider fliessen im Falle eines Crashs keine oder kaum neue Gelder in den Fonds. Wir können die Mittel aber, wie im Herbst 2001, auch durch Umschichtungen beschaffen. Es lohnt sich, unterbewertete Aktien abzustossen und dafür extrem unterbewertete Titel zu kaufen.

Aber einen Abfluss hatten Sie nicht zu verzeichnen?
T.B.:
Grundsätzlich haben wir eine sehr treue Kundschaft, vor allem unter den privaten Anlegern und den Vermögensverwaltern. Selbst in diesem Stresstest war der Mittelabfluss gering …

G.v.W.: … und für den Abfluss war hauptsächlich ein institutioneller Investor verantwortlich.

Welche Kennziffern der Fundamentalanalyse sind für Sie besonders wichtig?
G.v.W.:
Wir bevorzugen Industrien mit einer guten bis sehr guten Kapitalrendite. Gewisse Industrien wie Autohersteller sind für uns also eher uninteressant. Darüber hinaus wenden wir die klassischen Regeln der Finanzanalyse an. Wir brauchen die üblichen Kennziffern wie das Price-Earnings-Ratio, den Unternehmenswert im Verhältnis zum Ebitda (Anm. d. Red.: englische Abkürzung für das Betriebsergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) und je nachdem das Kurs-Buchwert-Verhältnis.

Wie setzen Sie diese Kennziffern ein?
G.v.W.:
Die verschiedenen Kennziffern respektive Werkzeuge müssen uns dasselbe Signal geben. Ist das nicht der Fall, haben wir einen Fehler in der Analyse gemacht. Um all die Zahlen sinnvoll anwenden zu können, ist es entscheidend, das jeweilige Geschäftsfeld zu verstehen, in dem ein Unternehmen tätig ist.

Das deutet auf eine langfristige Orientierung hin.
T.B.:
Wir versuchen, die nachhaltige Ertragskraft in den einzelnen Geschäftsfeldern über einen Zyklus hinweg zu eruieren. Und die Durchschnittsmarge, die sich in einem Geschäftsfeld erzielen lässt, ist die Basis für unsere Bewertung. Darum fallen unsere Unternehmensbewertungen auch in einem Crash respektive auf kurze Frist nicht komplett anders aus, da sie auf der mittelfristigen Ertragskraft basieren.

Wie stellen Sie fest, ob ein Unternehmen unter seinem effektiven Wert gehandelt wird?
G.v.W.:
Ist die Unterbewertung nicht offensichtlich, interessiert uns der Titel nicht. Bei vielen Unternehmen haben wir keine Meinung oder eine Meinung, die nicht klar genug ist, dass wir investieren würden. Als kleines Team können wir uns den Luxus leisten, uns auf die Unternehmen zu konzentrieren, von deren Geschäft wir etwas verstehen.

Unter den unterbewerteten Unternehmen befinden sich in letzter Zeit wieder vermehrt solche, die mit internen Problemen zu kämpfen haben.
G.v.W.:
Das hängt wohl eher mit der schlechteren Wirtschaftslage zusammen. In Stresssituationen treten unternehmensspezifische Mängel, die sich in guten Zeiten weniger entdecken lassen, stärker zu Tage.

T.B.: In der Schweiz haben wir eine gewisse zufällige Häufung von Blue Chips, bei denen der Lack etwas ab ist. Das hat es aber schon früher gegeben. Ich denke da etwa an die Alusuisse-Geschichte.

Wie entwickeln Sie ein Gespür für die Aufrichtigkeit des Managements?
G.v.W.:
Für uns gilt, dass die Aussagen des Managements im absoluten Einklang mit dem stehen müssen, was Cashflow, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung sagen. Wir stellen der Geschäftsleitung zudem an Präsentationen und in Interviews kritische Fragen, um Probleme zu erkennen. Uns reicht bereits der Verdacht, dass etwas nicht stimmt, um uns vom Titel abzuwenden. So hat die Zürich Versicherung bereits im Abschluss 1998 auf eine plumpe Art versucht, ihre Gewinnsteigerung zu beschönigen. Damit stiessen sie uns derart vor den Kopf, dass wir seither ein Misstrauen gegen den Titel hegen.

Sie lesen also zwischen den Zeilen.
T.B.:
Es ist in der Tat wichtig, die Fussnoten im Geschäftsbericht zu lesen. Wir sind weit weg von Tradingaktivitäten und können in Ruhe günstige Aktien finden. Für unser kleines Team ist es wesentlich einfacher, antizyklisch zu handeln. Wären wir Teil einer grösseren Institution, hätten wir deutlich weniger Zeit für die Analyse und mehr Mühe, unpopuläre Aktien zu empfehlen. Auch wir messen unsere Performance monatlich und quartalsweise am Benchmark. Wenn wir ihn aber gerade mal nicht schlagen, unterliegen wir nicht dem massiven Druck wie Fondsmanager in grossen Unternehmen.

Sie konzentrieren sich auf Titel aus Westeuropa und Amerika. Wie eruieren Sie aus diesem Universum Ihre Favoriten?
T.B.:
Dadurch, dass wir schon lange im Geschäft sind, kennen wir natürlich viele Gesellschaften. Zudem sehen wir uns immer auch die Konkurrenten dieser Unternehmen an. Ausreisser in Branchenübersichten und -bewertungen nehmen wir genauer unter die Lupe, um zu sehen, ob sie etwas für uns sind.

Sind also ständig auf Empfang?
T.B.:
Bei einem richtigen Value-Investor läuft im Hintergrund immer ein Film ab. Bei allem, was wir tun, ist eine Aufmerksamkeit für Besonderes und Auffälliges da. Ob wir nun Zeitung lesen oder ein Firmenchef sagt, sein Unternehmen sei von der Börse völlig falsch bewertet. Diesen Merkmalen gehen wir nach. Stellt sich heraus, dass ein Titel doch nicht so günstig bewertet ist, lassen wir die Idee schnell wieder fallen.

Wie entscheidend ist der Zeitfaktor?
G.v.W.:
Sind wir zu schnell in der Analyse, kaufen wir den Titel zu früh. Hätten wir für den Entscheid länger gebraucht und fällt der Kurs weiter, hätten wir die Aktie noch günstiger erwerben können. Im umgekehrten Fall beginnen wir zu investieren, und der Kurs steigt, dann wird die Aktie schnell einmal zu teuer. Wie erwähnt, legen wir auf Grund unserer Analyse einen inneren Wert für einen Titel fest und kaufen die Aktie mit einem fixen Abschlag dazu. Ist der Titel zu diesem Zeitpunkt zehn Rappen teurer, müssen wir konsequent sein und sagen: Nein, jetzt wollen wir nicht mehr. So können wir uns immer ärgern … Aber natürlich zwischendurch auch mal freuen.

In Ihrem Jahresbericht stehen Sie sehr offen zu Ihren Fehlentscheiden. Welche Erfahrungen machen Sie damit?
G.v.W.:
Für uns sind rege telefonische wie persönliche Kontakte zu privaten und institutionellen Kunden sehr wichtig. Denn der Preis, der für die Outperformance des Value-Stils zu zahlen ist, kann kurzfristig, das heisst während ein bis zwei Jahren, ein markant schlechteres Abschneiden sein. Es ist uns ein grosses Anliegen, dass unsere Kunden verstehen, was wir machen und wie. Dazu gehört, dass wir zu unseren Fehlern stehen und erklären, wie es dazu kam.

Was Ihre Kunden bestimmt schätzen.
G.v.W.:
Im letzten Jahr haben wir unter anderem ausgerechnet mit einigen Schweizer Namen Schiffbruch erlitten, mit denen das Gros unserer Kunden bestens vertraut ist und auf die sie uns ansprechen. Als beispielsweise der Kurs der US-Bestattungsfirma Stewart Enterprises einbrach, hatten wir keine Anrufe. Aber wenn Sulzer Medica ins Bodenlose fallen, hat jeder eine Meinung.

Und wie sorgen Sie dafür, dass Ihre Kunden in turbulenten Börsenphasen kühlen Kopf bewahren?
T.B.:
In Extremsituationen, wie im Herbst 2001, schreiben wir sie an. Wir weisen sie darauf hin, dass der Kardinalfehler ist, die Nerven zu verlieren, wenn der grosse Schaden schon angerichtet ist. Wenn Schweizer Blue Chips durchwegs 25 bis 35 Prozent verloren haben, ist es zu spät, sich von seinen Titeln zu trennen. Im Gegenteil, dann sollte der Anleger nach dem Motto «Augen zu und durch» Aktien kaufen und weder Zeitung lesen noch Radio hören oder Fernsehen schauen. Der zweite Fehler ist, sich von Modeerscheinungen wie dem Internetboom anstecken zu lassen. In derart hoch bewerte Titel noch Geld zu investieren, endet früher oder später im Desaster.

Sie weisen explizit darauf hin, in Ihren Fonds solle nur anlegen, wer die investierten Mittel mindestens drei bis fünf Jahre nicht brauche.
T.B.:
Auch wenn unsere Zahlen 2001 nicht allzu schlecht waren, ist das kurzfristige Rückschlagspotenzial dennoch enorm – wie immer bei Aktienanlagen. Das hat die Kursentwicklung unseres Fonds seit seiner Auflegung gezeigt.

G.v.W.: Wer sein Geld kurzfristig anlegen will, sollte dies nicht bei uns tun. Sonst sorgt er lediglich für Instabilität in seinem Depot.

Fonds sind ja nicht das Mittel, das schnelle Geld zu machen. Doch hat da wohl der Internetboom Begehrlichkeiten geschaffen.
G.v.W.:
Dieses Problem wird zusätzlich gefördert, wenn die Fonds über professionelle Vertreiber angeboten werden. Darum haben wir keine Hausierer, die den Classic Global Equity Fund verkaufen. Bei den professionellen Investoren halten wir uns an Vermögensverwalter, die langfristig und im Kundeninteresse handeln. Und die privaten Kunden haben in der Regel selbst entschieden, unseren Fonds zu kaufen. Ein professioneller Fondsverkäufer dagegen hat wegen der Verkaufsprovision einen finanziellen Anreiz, seinen Kunden ständig etwas Neues zu empfehlen und den Kunden zum Kauf und zu Umschichtungen zu bewegen.

2002 möchten Sie eine «vernünftige Rendite» erwirtschaften. Was heisst das?
T.B.:
Wir orientieren uns an der langfristigen Aktienrendite. Mit langfristig meine ich ein paar Jahrzehnte. Die liegt auf Frankenbasis zwischen acht und zehn Prozent. Ausserdem ist durch wissenschaftliche Studien, die den Value- versus den Growth-Ansatz untersuchen, unterlegt, dass die Value-Prämie konstant grösser als fünf Prozentpunkte war. Da wir den Value-Stil konsequent anwenden, sollten wir längerfristig ebenfalls in der Lage sein, diese Prämie zu erwirtschaften. Aber selbstverständlich geben auch wir keine Renditegarantie ab. Wir müssen den Tatbeweis erbringen.

Sind Börsenzyklen wichtig für Sie?
G.v.W.:
Nein, da wir kein Style-Rotating betreiben. Wir treffen unsere Investitionsentscheide unabhängig von der jeweiligen Phase, in der sich die Börsen befinden. Wenn Sie es zu Ende denken, ist die Schwierigkeit mit dem Style-Rotating in etwa dieselbe wie mit dem Timing. Denn wer sagt Ihnen denn, ob morgen Growth oder Value besser ist? Oder ob die Börse morgen rauf- oder runtergeht? Das sind Fragen, mit denen wir uns schlicht nicht beschäftigen.

Sie beurteilen den Stilmix also kritisch?
G.v.W.:
Das Style-Rotating bringt eine Kurzfristigkeit in den Fonds, die wir für falsch erachten. Unsere Wirtschaft ist ein derart komplexes System, das schwerer vorauszusagen ist als das Wetter. Ich weiss nicht, wie jemand in den Millionen von Querverbindungen und gegenseitigen Beeinflussungen, die drei, vier erfolgsrelevanten Variabeln herauspicken kann. Darum fokussieren wir uns konsequent auf Probleme von einzelnen Unternehmen. Die alleine sind schon so komplex, dass wir in einzelnen Fällen auch mal falsch liegen. Wir schliessen aber doch ein paar Fehlerquellen aus.

Ein Vorgehen, dass auch aus Anlegersicht nachvollziehbar erscheint.
T.B.:
Die Börse schwankt kurzfristig nach dem Zufallsprinzip um den inneren Wert. Wir gehen davon aus, dass sie in der Bewertung von Unternehmen mittelfristig gar nicht so schlecht ist. Und damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein innerer Wert in den kommenden zwei bis drei Jahren wieder erreicht wird, relativ gut. Bei allem, was dazwischen ist, passen wir.

In welche Titel setzen Sie 2002 die grössten Hoffnungen und warum?
G.v.W.:
Wir haben verschiedene Titel in unserem Portefeuille, die noch Potenzial haben. Mittelfristig interessant sind SIG, wenn es dem Unternehmen gelingt, die Rentabilität zu steigern, insbesondere die akquirierten Aktivitäten rentabel zu machen und im Verpackungsbereich endlich auf einen grünen Zweig zu kommen. Bei weitem noch nicht ausgereizt sind Sulzer Medica. Die Aktien haben einen inneren Wert von 250 Franken, wenn der Vergleich in den USA durchkommt. Der Erfolg hängt auch davon ab, was das neue Management aus dem bestehenden Geschäft herausholen kann. Bislang liegen erst Pläne und Absichten vor, konkrete Beweise stehen noch aus. In Grossbritannien setzen wir auf Invensys, die ebenfalls unter neuem Management den Turnaround schaffen könnten. Jetzt, wo ich davon gesprochen habe, sind die drei genannten Titel sicher jene, die in den nächsten Monaten am schlechtesten laufen werden.

Das haben Sulzer Medica ja 2001 bereits unter Beweis gestellt.
G.v.W.:
Das spricht aus unserer Sicht eher für den Titel. Zu beurteilen, warum eine Aktie läuft und ein andere nicht, ist fast unmöglich. Um solche unberechenbaren respektive unvorhersehbaren Fälle aufzufangen, haben wir ja auch ein Portefeuille von 30 bis 40 Titeln.
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