V-Mann – das ist gewöhnlich die Bezeichnung für einen bedeckt gehaltenen Verbindungsmann bei Fahndungen. Und V-Zug? Dies ist die Bezeichnung des Apparateherstellers V-Zug AG, der seinen Produktionsort Zug zum Label gemacht hat. Waschmaschinen, Geschirrspüler, Kochherde und Abfallcontainer tragen landauf, landab die Bezeichnung V-Zug und helfen, den Alltag etwas einfacher zu gestalten. Damit sind die Geräte mit ihren Eigenschaften Solidität, Qualität und Handlichkeit zu Botschaftern des Standortes Zug geworden – dies in einem Bereich, den auch grosse Marketingbudgets nur schwer zu durchdringen vermögen.
Trotz diesem Marketing durch die Küchentür ist das Image von Zug denkbar schlecht, gerade und speziell in Zürich. Die Kleinstadt am Zugersee lockt mit ihren Vorzügen Firmen weg und damit Arbeitsplätze und vor allem Steuersubstrat: Im Bereich der Grosshandelsfirmen und Rohstoffhandelshäuser ist Zug schweizweit Spitze. Das ist besonders lukrativ, weil diese Firmen extrem hohe Umsätze machen, die sie vor Ort versteuern, aber keine speziellen Infrastrukturen benötigen oder Emissionen hinterlassen. Und diese Branche ist nur ein Beispiel von vielen, in denen der Wirtschaftsplatz Zug dem Standort Zürich den Rang abläuft.
Der Kleine übertrumpft den Grossen – als ob der kleine Knirps den grossen Bruder in Siebenmeilenstiefeln überholen würde. Das tut weh und hinterlässt mindestens schale Gefühle, im schlimmsten Fall Hass und Neid.
Eine Reihe von Beispielen aus Zürcher Medien gefällig? Zug, das «Mini-Manhattan» («Tages-Anzeiger»), gilt als «beliebter Tummelplatz für wirtschaftskriminelle Taschenspieler» («Handels-Zeitung»), «Schongebiet des Megareichtums» («Bilanz»), «in diesem Klima versickern Kontrolle und Aufsicht in einen nebulösen Bereich» («Weltwoche»).
Gewiss hat die Region Zug das ihre dazu beigetragen, wenig schmeichelhaft in den Medien zu erscheinen. Die meisten wirtschaftskriminellen Fälle und Skandale haben eine «Zuger Connection», also war eine Firma mit Sitz in Zug im Spiel, zuletzt die domizilierte Crown Ressources als Charterin des Öltankers «Prestige», der vor der galicischen Küste leckgeschlagen war. Solch undurchsichtige Geschäfte, vermischt mit bodenständiger Tradition, geben den Medienschaffenden den Stoff, aus dem ihre Geschichten sind. Die Region Zug steht zwischendrin: zwischen Zürich und Luzern, zwischen dem Wirtschaftszentrum und dem katholischen Vorort, zwischen Business und Barocktradition; mit dem Kopf zieht es die Zugerinnen und Zuger nach Zürich, mit dem Herzen nach Luzern und der Innerschweiz. Diese merkwürdige Ambivalenz Zugs nährt die Mischung aus Geranien und Geschäft, Kirsch und Kommerz, Putzigem und Profit, Trachten und Trading. Das regt die Fantasie an und füllt Zeitungsspalten, Heftseiten und TV-Magazine.
Die Repetition von Klischees gleicht jedoch zu sehr dem Gemäkel am Musterschüler, den keiner mag, den alle kritisieren und dem doch alle abschreiben. So ist es auch mit dem Verhältnis zwischen Zürich und Zug: Man mag ihn nicht, den kleinen Nachbarn, der tiefere Steuern, mehr Reiche, mehr Zuzüge, mehr Wirtschaftswachstum zu verzeichnen hat. Doch wenn die Zugerinnen und Zuger jährlich freiwillig eine Million für die Kulturinstitutionen in Zürich und bald unfreiwillig dreistellige Millionensummen in den Finanzausgleich abliefern, ist das wie beim Musterknaben nicht der Rede wert. Wenn aber eine Firma wie Shell, BP, Astra Zeneca oder Caves Mövenpick – wie geschehen – von Zürich nach Zug zügelt, geht das Gezeter los.
Statt zu gratulieren, dass die Firma nicht nach Luxemburg oder Panama abgewandert ist, wird gemäkelt. Dabei können sich die Zürcherinnen und Zürcher an der eigenen Nase nehmen. Goldene Zeiten erlebt der Kanton Zug immer dann, wenn Zürich seine grössten Fehler macht: «Die beste Wirtschaftsförderin Zugs», weiss Zugs Wirtschaftsförderer Hans Marti, «stammte nicht aus Zug, sondern war Zürichs Stadträtin Ursula Koch.» Das wirtschaftsfeindliche Gebaren der Stadt Zürich mit langfädigen Bewilligungsverfahren und eingeschränkten Expansionsmöglichkeiten trieb viele Firmen 30 Kilometer südwärts, nach Zug, wo sie mit offenen Armen, zentral gelegenen Liegenschaften, einem funktionierenden Arbeitsmarkt und tieferen Steuern empfangen wurden.
Diese Beziehung zwischen Zürich und Zug ist eine alte. Der Erfolg von Zug ist ohne Zürich nicht denkbar, sozusagen eine verdeckte Aktion der Zürcher Wirtschaft, ein «V-Zug». Im 19. Jahrhundert waren es Zürcher Industrielle, die Fabriken im nahen Zug hochzogen, der Arbeits- und Antriebskräfte wegen. Im 20. Jahrhundert waren es Zürcher Anwälte, die im roten Zürich steuergünstige Gesetze nicht verwirklichen konnten, sondern dies in Zug bewerkstelligten und damit dem Kanton Zug optimale Bedingungen für die einst so lukrativen Holding- und Domizilgesellschaften verschafften. Zugs Wirtschaftswunder ist also zürcherischer Herkunft.
Zug wurde zum Komplementärbereich Zürichs: Geld aus dem Ausland – Bank in Zürich – Firma in Zug, so lautete der Dreiklang des Wirtschaftswunders, den so viele deutsche und amerikanische Investoren repetierten. Diese Musik wurde so schnell gespielt, dass der Investor bereits am gleichen Abend wieder heimwärts fliegen konnte – mit einer guten, solid wirkenden Schweizer Aktiengesellschaft im Sack und der sanften Melodie des Erfolgs im Ohr.
Die Töne sind härter geworden. Der Kanton Zug wurde jahrzehntelang mit Firmen dermassen überschwemmt, dass sich niemand mit Wirtschaftsförderung befassen musste. Heute arbeiten immerhin vier Personen bei der Kontaktstelle Wirtschaft Zug. Man pflegt die Beziehungen mit der Greater Zurich Aera ebenso wie mit der Standortpromotion Zentralschweiz, ohne aber der einen oder anderen Organisation Mitgliedergelder zu zahlen. Dieses Bedürfnis nach Autonomie ist die Konsequenz der Zuger Success-Story: Die Stadt Zug hat zwar weniger Einwohnerinnen und Einwohner als beispielsweise Uster – doch historisches Glück und einige Zufälle haben dazu geführt, dass zwischen Zürich und Zug eine Kantonsgrenze gezogen wurde – und zwischen Zürich und Uster nicht. So konnte der Kanton Zug seine Kantonshoheit für eine eigenständige Steuerpolitik nutzen, auch wenn diese von Zürcher Anwälten gesteuert worden ist.
Nun hat der daraus folgende Reichtum und der politische Erfolg zu Selbstbewusstsein geführt. Zug ist nicht mehr nur eine Stadt mit knapp 23000 Einwohnerinnen und Einwohnern, sondern auch das Zentrum einer 100000 Personen zählenden Region: mit 18000 Firmen, den tiefsten Steuersätzen für Firmen und Privatpersonen, mit dem höchsten Volkseinkommen pro Kopf, mit einem überdurchschnittlichen Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum – gleichzeitig aber mit einer Natur- und Kulturlandschaft von hohem Erholungswert. Das Millionengeschäft in der City tätigen und zehn Minuten später auf den grünen Matten des Zugerbergs picknicken ist in Zug ohne weiteres machbar. Zug ist so etwas wie eine Art Swiss en miniature: Wirtschaft und Natur, Big Business und Erholung sind hier auf wenigen Quadratkilometern zusammengepfercht, alle Wege sind kurz, auch die zur Verwaltung, zu den Banken oder zum Flughafen, aber auch zum Joggingpfad, zum Skilift oder zur internationalen Schule.
Deshalb versteht man sich in Zug weder als Anhängsel der Zürcher Wirtschaft noch als nördlichen Fortsatz der gemütlichen, aber trägen Innerschweiz, sondern als «Zug» – nackt, ohne Zusatz, wie es auf der neusten Wirtschaftsförderungsbroschüre des Kantons Zug steht. «Zug» ist eine Marke geworden, die keine grossen Erklärungen braucht.
V-Zug ist keine verdeckte Aktion Zürichs mehr, Zug hat sich emanzipiert.
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