Die Nachfrage nach Wohneigentum in der Schweiz sinkt. Dass Wohneigentum schwieriger zu erwerben ist, trifft soziale Schichten unterschiedlich – und die Preisentwicklung dürfte nicht zur Entspannung beitragen.

Die Lage, so sagen Immobilienexperten im Gespräch mit «Cash.ch», hat sich zwischen Juni und August geändert. «Die Nachfrage nach Wohneigentum hat substanziell nachgelassen. Viele Interessenten für Wohneigentum überlegen sich den Kauf jetzt zweimal», sagt etwa Fredy Hasenmaile, Immobilienexperte bei der Credit Suisse.

«Dass die Nachfrage nach Wohneigentum zurückgeht, sieht man an der Anzahl von Such-Abos. Die Suche nach Eigentumswohnungen und Einfamilienhäusern ist spürbar rückläufig, nachdem sie in den letzten beiden Jahren besonders hoch war», so Robert Weinert, Ökonom beim Immobilienmarkt-Dienstleister Wüest Partner.

Ein fundamentaler Auslöser für die veränderte Lage war die Entwicklung bei den Hypothekarzinsen. Anfang Jahr hatte das durchschnittliche Zinsniveau von Festhypotheken aller Laufzeiten sowie Geldmarkthypotheken bei sehr tiefen 1 Prozent gelegen. Bis Mitte Oktober stiegen die Zinsen auf ein Niveau von rund 2,8 Prozent. Für eine Hypothek über 600'000 macht dieser Unterschied rund 900 Franken Zinskosten pro Monat aus. 

Zinsniveau auf dem Stand von 2011

Dass das Hypozinsniveau in den vergangenen knapp zwei Monaten wieder spürbar gefallen ist, entspannt die Situation in der subjektiven Wahrnehmung von Hypothekarnehmerinnen und -nehmern wohl nicht wesentlich. Das Zinsniveau ist so hoch wie zuletzt 2011. Die Finanzierung von Wohneigentum ist beträchtlich teurer geworden: An diesem Eindruck ändert sich wenig. Doch im Detail betrachtet ergeben sich interessante Unterschiede. Nicht jede Art von Wohneigentum erlebt schwindendes Interesse.

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Bei einem grossen Anwesen mit viel Umschwung oder einer geräumigen Wohnung mit sensationellem Ausblick mag es anders sein: «Häuser mit einem Wert von über 2,5 Millionen Franken waren früher deutlich weniger gefragt als günstige Eigenheime. Jetzt ist es umgekehrt», sagt Peter Ilg, Institutsleiter des Swiss Real Estate Institute an der Hochschule für Wirtschaft Zürich. 

Der Hintergrund dazu ist einfach erklärt: «Über zwei Drittel der Interessentinnen und Interessenten von Wohneigentum können ein Objekt nur mit Hilfe der Eltern kaufen. Dabei können vermögende Leute ihre Kinder besser unterstützen als weniger wohlhabende Eltern, und sie möchten, dass ihre Kinder auch wieder in einem ansehnlichen Eigenheim leben.»

Diese «Transferzahlungen» zur nächsten Generation seien wenig anfällig auf Zinserhöhungen und verschlechterte Konjunkturaussichten, so Ilg. «Deswegen verkaufen sich jetzt teure Häuser besser als günstige. Für den Erwerb von Wohneigentum zählt heute im Grunde genommen weniger das Einkommen der Interessenten, als mehr die Finanzkraft der ‹Mami-und-Papi Bank›.»

Rolle der Eltern bei der Finanzierung

Eine Festhypothek mit zehn Jahren Laufzeit erhält man immer noch für gut 2 Prozent – aber dann muss die Bonität top sein. Bei der Saron-Hypothek, nach der die Nachfrage 2022 angesichts teurer gewordenen Festhypotheken extrem angestiegen ist, zahlt man auf den momentanen Leitzins der Nationalbank von 0,5 Prozent mindestens noch einmal 0,5 Prozentpunkte drauf. 

Bei Leuten mit tieferem Einkommen – oder eben solchen, die keine finanzstarke «Mami-Papi-Bank» hätten – hielten die Finanzierungskosten eher vom Kauf eines Einfamilienhauses oder einer Eigentumswohnung ab. «Für diese Teile der Bevölkerung rückt der Traum vom Eigenheim wieder mehr in die Ferne», sagt Ilg.

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Die «Schere» geht indessen nicht nur gesellschaftlich auseinander, sondern auch regional, wie Immobilienwissenschaftler Ilg sagt: «Der Effekt lässt sich auch zwischen reicheren und ärmeren Kantonen erkennen. Anhand der Inseratedauer von Einfamilienhäusern sehen wir, dass es für den Verkauf eines Objekts in der Grossregion Tessin viermal so lange dauert wie in der Region Zürich oder Zug.» Der Unterschied zwischen diesen Kantonen habe sich seit Beginn der Corona-Pandemie noch verstärkt.

Das teure Segment im Wohneigentum hält dem Nachfragerückgang zwar im Wesentlichen stand, doch auch dort gibt es Unterschiede. Denn höhere Hypothekarzinsen und trübere Wirtschaftsaussichten sind eine Sache.

Die finanzielle Situation selbst eines eher vermögenden Teils der Schweizer Bevölkerung leidet auch unter der schwierigen Lage an den Börsen. Nach Beobachtung von CS-Immobilienexperte Hasenmaile ist beim Wohneigentum im Moment auch das untere Luxussegment von einem Nachfragerückgang betroffen. «Dort spielen nicht nur die gestiegenen Zinsen eine Rolle, sondern auch die 2022 schlechter gewordene Lage an den Aktien- und Kapitalmärkten.»

Nullwachstum für 2023 erwartet

Doch aus Sicht jener, die Wohneigentum erwerben möchten, gibt es ein weiteres Thema neben dem Hypothekarzins: Wer ein Einfamilienhaus oder eine Eigentumswohnung kaufen will, muss einen kalkulatorischen Zins von 4 bis 5 Prozent erfüllen können. Günstigere Preise – eigentlich eine Konsequenz von tieferer Nachfrage – würden für eine Entspannung sorgen. Doch dem ist nicht so, wie die Experten prognostizieren. Das starke Preiswachstum der vergangenen Jahre wird sich zwar abschwächen und die verschlechterte Konjunkturlage wird Folgen auf den Markt haben. 

«Stark sinken werden die Preise bis auf weiteres nicht», sagt Wüest-Partner-Ökonom Weinert. «Wir erwarten, dass sich die Preise seitwärts entwickeln werden: Real wird das Preiswachstum 2023 gegen Null gehen.»

Weinert stellt diese Prognose vor dem Hintergrund einer schwächeren Konjunkturlage auf, aber auch unter der Voraussetzung, dass es nicht zu einer lang andauernden Rezession kommen wird. Denn die Knappheit besteht weiter. Wie die Raiffeisenbanken vor wenigen Wochen schrieben, droht der Schweiz eine Wohnungsnot. Nicht nur Mietwohnungen sind knapp, auch das Wohneigentum.

Was für Wohnungssuchende ein Problem ist, stellt sich für verkaufswillige Eigentümer anders dar. Bis vor wenigen Monaten hätten Verkäufer von Objekten bei den Käufern auswählen können, sagt CS-Experte Hasenmaile. «Jetzt ist es deutlich schwieriger geworden. Allerdings: Mindestens ein Interessent findet sich nach wie vor, denn es herrscht beim Wohnangebot unveränderte Knappheit. Und dies wird auch so bleiben.»

Deswegen dürften Verkäufer auch weiterhin ihre Preisvorstellungen beim Verkauf eines Objekts mehrheitlich erfüllen können – sie müssten aber wohl etwas länger warten, bis sie verkaufen könnten.

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