Für Peter Lehner gehört Yoga zum Alltag. In Los Angeles, wo er lange Jahre als Werbefilm- und TV-Produzent tätig war, konnte er praktisch zu jeder Tageszeit in eine Yoga-Klasse gehen. «Yoga macht man dort, wie man ins Kino geht», sagt er. Als er vor einigen Monaten in die Schweiz zurückkehrte und Yoga machen wollte, stiess er auf unflexible Einrichtungen alternativer oder esoterischer Art, die ihm gar nicht gefielen. Darum holt er sich Yoga nach amerikanischer Art jetzt selber ins Land – zum eigenen Wohlbefinden und gleichzeitig auch als Business: Mitte August eröffnet er in Zürich das Yoga-Studio Air Yoga, für das er zwei seiner Lehrerinnen aus Los Angeles engagiert hat. «Yoga ist Lifestyle, nicht Religion», sagt der Unternehmer.

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Ähnlich sieht das Hans Widmer, ehemaliger Oerlikon-Bührle-Konzernchef, der seit zehn Jahren regelmässig Yoga trainiert: Als «bewusstes Programm der Entkrampfung» charakterisiert er seine täglichen Übungen, Yoga sei «sehr
effizient», um den Körper deutlich von Verspannungen zu befreien. Mit Esoterik allerdings hat Yoga für Widmer nichts zu tun.

So steht denn auch kein Möchtegern-Guru an der Spitze des Yoga-Booms in den USA, sondern ein Supermodel: Wie einst in den Achtzigern Jane Fonda die Aerobic-Vorturnerin der Nation war, steht Christy Turlington (33) als Meisterin der anmutigen Verrenkungen im Rampenlicht. In ihrem Buch «Living Yoga» präsentiert sie sich in Engelspose, als schlanke Birke oder kniendes Kamel. Ihre Lieblingsstellung ist der Kopfstand: «Er bringt meine Energien am besten ins Fliessen.»

Wenn die ehemalige Calvin-Klein-Ikone ihre Yoga-Übungen präsentiert, wirkt sie so unangestrengt, als führte sie auf dem Laufsteg die neueste Frühjahrskollektion vor. Das amerikanische Nachrichtenmagazin «Time» bezeichnete Turlington denn auch als «human pretzel» und widmete ihrer Leidenschaft unter dem Titel «The Power of Yoga» sogar eine Titelgeschichte.

Christy Turlington ist nicht nur das attraktivste Aushängeschild des gegenwärtigen Yoga-Booms, sie ist auch eine Expertin dieser 5000-jährigen indischen Lehre, die das perfekte Gleichgewicht zwischen Körper, Geist und Atem, zwischen physischer Stärke und mentaler Fitness anstrebt. Seit 15 Jahren betreibt sie Yoga, lange bevor Stars wie Madonna Yoga als Alternative zum Bodybuilding entdeckten und Prominente wie Sting, Gwyneth Paltrow oder Julia Roberts der Spiritualität frönten.

Für Turlington ist Yoga allerdings keine Modeerscheinung, sondern eine Lebensphilosophie, die sie «gesünder, vitaler und glücklicher» mache, wie sie selber sagt. «Viele meiner Freunde beginnen mit Yoga, weil sie das typische durchtrainierte Yoga-Hinterteil wollen», sagte sie kürzlich in einem Interview, «dann sind sie erstaunt, wie sich neben der Figur auch ihr Wohlbefinden positiv entwickelt.»

Yoga hat Turlington nach jahrelangem Kettenrauchen und einer Lungenkrankheit geholfen, den Körper und die Organe zu entgiften. Nicht nur körperliche Fitness und vermehrte Energien habe Yoga ihr gebracht, es habe sie auch ruhiger gemacht und helfe ihr, mehr im Jetzt zu leben. In ihrem Buch, das autobiografische Komponenten hat, aber auch ein Lehrbuch ist, will sie einen umfassenden Yoga-Führer für westliche Menschen anbieten.

Vergleichbare Erfahrungen mit Yoga hat Ex-Oerlikon-Bührle-Chef Widmer gemacht: Einmal pro Jahr zieht er sich für eine Woche zurück, um nur Yoga zu betreiben. Am Ende der Woche hat er regelmässig das Gefühl, besser zu riechen, tiefer zu schlafen und mit grösserer Zuversicht an die Dinge heranzugehen. Mit 53 Jahren hat er das Yoga-Training aufgenommen, nachdem ihn ein befreundeter Arzt darauf hingewiesen hatte, wie verspannt er sei. Heute, zehn Jahre später, glaubt Widmer durch sein Yoga-Training gefeit zu sein vor typischen Zivilisationskrankheiten wie Krebs oder Bluthochdruck.

Ob nun für die straffere Kehrseite, für die innere Harmonie oder für die Gesundheit geturnt wird – Tatsache ist, dass Yoga immer mehr zum Breitensport wird und Aerobic als Sport endgültig abgelöst hat. Laut Schätzungen praktizieren zurzeit rund 15 Millionen Amerikaner Yoga, doppelt so viele wie noch vor fünf Jahren. Rund 75 Prozent aller US-Fitnesszentren bieten Yoga an, und auch in der Schweiz wächst das Angebot.

Trieb Jane Fonda Anfang der Achtzigerjahre ihre Jünger zu schweisstreibenden Höchstleistungen, geht es nun um das Erlangen von innerem Frieden und einem Leben in Balance. Yoga gilt als wahres Zaubermittel, das stressbremsend, schlaffördernd, glücksbringend und bewusstseinserweiternd sein soll.Hollywoodstars, die fast allesamt im Yoga-Fieber sind, verleihen ihm den zusätzlichen Glamourfaktor und machen es so auch für die MTV-Generation trendy. Der Musiksender hat jetzt ein Video produziert («MTV-Yoga mit Kristin McGee»), das reissenden Absatz findet.

In der westlichen Welt war Yoga lange Zeit unbekannt und rückte erst durch die amerikanischen Beat-Gene-ration-Schriftsteller Alan Ginsberg und Jack Kerouac sowie die Beatles, die 1968 nach Indien reisten, ins Bewusstsein der Menschen. Damals wurde Yoga vor allem mit spiritueller Erleuchtung und Wiedergeburt in Zusammenhang gebracht. Seit den Achzigerjahren bekämpfen auch Manager mit Yoga ihren Stress.

Da es den Körper stärkt und den Kopf befreit, bietet Yoga einen guten Ausgleich zu den Belastungen der Arbeit. In Schweden wird schon seit Jahren in über hundert grossen Unternehmen, darunter etwa Volvo und Ericsson, «Business-Yoga» praktiziert, das inzwischen als anerkanntes Mittel gegen Rückenschmerzen, Stress und Schlaflosigkeit gilt.

Für den willensgeprägten, westlichen Menschen ist die Auseinandersetzung mit der östlichen Philosophie nicht immer einfach. Hier prallen zwei Kulturen mit unterschiedlicher Ausrichtung aufeinander. Und dann müssen Anfänger aus über einem Dutzend Yoga-Arten die richtige für sich herausfinden. Denn nicht jede Yoga-Form ist für jeden Menschen gleich gut geeignet. So ist Hatha-Yoga mit seinen Basisübungen für Anfänger empfehlenwert, Bikram-Yoga ist gut für die Steigerung der Beweglichkeit. Neuere Formen wie Power-Yoga, Yoga-Boxing oder Yoglates, eine Mischung zwischen Yoga und Pilates, finden ebenfalls immer mehr Anhänger. Und der neueste Trend aus den USA, Lach-Yoga, soll der ultimativen Erheiterung dienen.

Um beim Yoga eine gute Figur zu machen, muss natürlich auch das Tenü stimmen. Locker soll es sitzen, aber trotzdem sexy sein. Christy Turlington hat unter dem Label Nuala für Puma eine Modelinie entwickelt. Sie besteht aus schlichten und praktischen Basismodellen – Hosen, Shorts und Tops – aus weichem und hautfreundlichem Gewebe. Kein Vergleich zu den knallbunten und knallengen Turnklamotten, die nun entsorgt werden können. Jedenfalls bis zum nächsten Aerobic-Revival.

Antonia Blum
Freie Mitarbeiterin der BILANZ