Die von vielen Marktteilnehmern als überraschend empfundene Abwertung der chinesischen Landeswährung schickt weltweit Schockwellen durch die Handelssäle. Während der deutsche Leitindex DAX deswegen gehörig unter die Räder gekommen ist, haben sich die Verluste im SMI noch einigermassen in Grenzen gehalten. Das überrascht auf den ersten Blick, ist die Schweiz doch stark vom Export abhängig. Aber vermutlich lässt sich die etwas gelassenere Reaktion ganz einfach mit dem zuletzt etwas schwächeren Franken erklären.
Dennoch werden die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen vorgenommenen Abwertungsschritte der Chinesen auch hierzulande intensiv diskutiert. Nervös macht die Anleger vor allem die unklare Antwort auf die Frage, ob es sich nur um eine vorbereitende Massnahme auf dem Weg hin zu einem freien, konvertierbaren Yuan handelt oder um den Auftakt zu einem Währungskrieg. Letztgenannte Variante wäre sehr negativ, dürfte am Ende doch die gesamte Weltwirtschaft als Verlierer aus einem Währungskrieg hervorgehen. Aber auch ohne Abwertung in China machen sich weltweit viele Anleger ohnehin zunehmend Sorgen über den Zustand der Konjunktur, nachdem zuletzt aufgrund einiger Wirtschaftsdaten neuerlich ein Schwächeanfall vorausgesehen werden kann.
Yuan-Abwertung – keine Panik bei Experten
Etliche professionelle Marktteilnehmer äusserten sich zuletzt aber eher beschwichtigend zu den Folgen der Yuan-Abwertung. So räumten die Analysten bei der österreichischen Raiffeisen Zentralbank zwar einerseits ein, dass China für viele europäische Unternehmen ein sehr wichtiger Absatzmarkt sei, andererseits weisen die Experten auch darauf hin, dass der Yuan zuvor etwa gegenüber dem Euro deutlich aufgewertet hat und dementsprechend die jüngste Gegenbewegung keine grosse Verschlechterung für die Exporteure sei.
So erwartet beispielsweise der Natixis-Chefvolkswirt Patrick Artus aus der Yuan-Abwertung auch keinen dauerhaft negativen Kurseinfluss auf die Börsen der OECD-Länder. Als Begründung sagt der Ökonom, dass sich die in den Währungen der Exporteure gerechneten Umsätze in China zwar verringern würden, dafür aber würde die dort von ihnen getätigte Produktion einen Schub erhalten. Zudem bestehe die Möglichkeit einer weltweit noch länger andauernden expansiven Geldpolitik, was für noch mehr Liquidität und fallende Langfristzinsen sorgen könnte. Und das sei wiederum positiv für Aktien.
Die lockere Geldpolitik könnte noch länger laufen
«Eine von China ausgehende Disinflation könnte den Markt dazu veranlassen, die bisherige Einschätzung beim Punkt zu überdenken, wie schnell die globalen Zentralbanken ihre lockere Geldpolitik ändern werden. Kommt es dazu, dürfte sich dies als Kursstütze für die Aktien in den entwickelten Ländern erweisen», sagen auch die Experten von UBS in einer Studie. Mit Blick auf den SMI liess zudem Credit Suisse wissen, dass sie aufgrund der kurzfristig erhöhten Risiken unverändert an einer positiven Einschätzung des defensiven Schweizer Marktes festhalte. Ein dauerhaft schwächerer Franken würde dabei eine weitere Outperformance des Schweizer Marktes zusätzlich unterstützen.
Bei Vontobel Asset Management sieht man die Sache etwas differenzierter. Die Auswirkungen auf die Aktienmärkte seien schwieriger zu beurteilen, heisst es dort. Zum einen würden die Märkte weiterhin grosszügig mit Liquidität versorgt, auch seien die Unternehmensgewinne insgesamt ordentlich, und der Anlagenotstand sollte den Aktienmärkten kräftig Rückenwind geben. Zum anderen würden Sektoren mit China- und Rohstoffbezug wie Energie, Bergbau, Automobile oder Luxusgüter voraussichtlich unter Druck bleiben, weil Anleger die Gewinnaussichten der Unternehmen infrage stellen würden.
Wer besonders betroffen ist
Morgan Stanley verweist auf Länderebene darauf, dass Taiwan, Südkorea und Singapur das grösste Exposure in China haben. Auf Branchenebene würden zudem neben dem Rohstoffsektor folgende Branchen den grössten Anteil ihrer Umsätze in China erzielen, und sie seien deshalb bei den Gewinnen am stärksten gefährdet: Technologie, Luxusgüter, Automobile, Kapital- und Basiskonsumgüter sowie Pharma.
Bei Ned Davis Research können sich die Verantwortlichen vorstellen, dass sich Europa nicht mehr so einfach wie bisher den Weg aus der eigenen Krise über den schwachen Euro wird ebnen können. Werte der Yuan weiter ab, spreche das gegen die europäischen Exporteure von Qualitätsprodukten. Trotz dieser Warnung sei aber daran erinnert, dass trotz abgeschwächtem Wachstum in China der Konsum dort weiterhin zweistellig wächst. Das eröffnet Exportunternehmen unverändert Potenzial, und auch viele Unternehmen wittern in China weiterhin mehr Chancen als Risiken.
Schroders-Manager Martin Skanberg weist ausserdem darauf hin, dass es auch eine ganze Reihe von Branchen mit definitionsgemäss begrenzten oder gar keinen direkten Engagements in China gibt. Dazu gehörten etwa Banken und Versicherer, die Reise- und Medienbranche, Versorgungsunternehmen und Telekommunikationsdienstleister.
AMS, Swatch und Richemont haben ein starkes China-Geschäft
Auch auf Ebene der Einzelwerte muss der Einfluss von Fall zu Fall bewertet werden, gefährdet sind natürlich am meisten Unternehmen mit nennenswerten China-Aktivitäten. Beim Blick in die USA kommen laut Julius Bär drei Unternehmen auf einen China-Umsatzanteil von mindestens 50 Prozent. Konkret handelt es sich dabei um den Hersteller von Speicher-, Telekommunikations- und Halbleiter-Produkten Marvell Technologies (55 Prozent Umsatzanteil in China), um die KFC, um Pizza Hut und um Taco-Bell-Mutter Yum! Brands (52 Prozent) sowie um den Halbleiter-Hersteller Qualcomm (50 Prozent). Unter den einbezogenen europäischen Unternehmen bringt es demnach nur der niederländische Logistiker TNT Express (57 Prozent) auf einen China-Umsatzanteil von mindestens der Hälfte.
Auf Rang drei folgt nach dem Rohstoffkonzern Rio Tinto (38 Prozent) mit dem Uhrenhersteller Swatch Group (37 Prozent) das erste Unternehmen aus der Schweiz. Ebenfalls in dieser Liste enthalten ist aus der Schweiz auch das Luxusgüter-Unternehmen Richemont mit einem auf 23 Prozent bezifferten China-Umsatzanteil.
In einer vergleichbaren Auflistung von Morgan Stanley werden auch der Transport- und Logistikdienstleister Panalpina (20 Prozent), der Computerzubehör-Hersteller Logitech (20 Prozent) und der Metallverarbeiter SFS Group (14 Prozent) als besonders betroffen ausgewiesen. Die Citigroup nennt zudem den Aufzughersteller Schindler (20 Prozent), den Aromen- und Geschmackstoffhersteller Givaudan (fast 10 Prozent), den Chemiekonzern Clariant (9,0 Prozent) und den Nahrungsmittelkonzern Nestlé (7,0 Prozent).
Im Bereich der Nebenwerte zählt Kepler Chevreux ausserdem den Halbleiter- und Sensorhersteller AMS (45 Prozent), den Halbleiterhersteller U-Blox (32 Prozent), den Hersteller von Elektronik-Komponenten LEM (26 Prozent) und den Industriekonzern Oerlikon (25 Prozent) auf.
China wird im Fokus bleiben
«Vor allem die Automobil- und Investitionsgüterhersteller gehen zwar von einem Ende der jahrzehntelangen Sonderkonjunktur aus, allerdings bleibt das Reich der Mitte für die meisten Konzerne weiterhin ein zentraler Wachstumsmarkt», vermutet LBBW-Investmentanalyst Wolfgang Albrecht.
Mit Blick auf die in China besonders exponierten beiden Schweizer Gesellschaften Swatch und Richemont kommt die Citigroup zu einem zwiespältigen Urteil. Die Analysten dort rechnen zwar insbesondere im Hochpreissegment mit einer jeweils anhaltenden Nachfrageschwäche in Hongkong und in Festland-China, das werde aber zumindest teilweise kompensiert durch höhere Luxuskäufe von chinesischen Touristen in Europa. BNP Paribas lässt sich bei Swatch sowie bei Richemont und beim Zementhersteller LafargeHolcim nicht aufgrund der Höhe der China-Umsätze davon abbringen, den Aktien dieser Gesellschaften auf Sicht von zwölf Monaten nennenswert höhere Kurse zuzubilligen.
China Exposure Basket läuft besonders schwach
Die Yuan-Abwertung könnte weniger bedrohlich sein, als im Moment an vielen Aktienmärkten eingepreist. Solange China nicht allzu sehr vom vorgegebenen Wachstumsziel von 7 Prozent nach unten hin abweicht und auch die Weltwirtschaft zumindest moderat wächst, wäre das wohl verkraftbar. Sollte sich die Konjunktur in China aber weiter abschwächen, könnte es wegen der damit verbundenen negativen Folgewirkungen kritischer werden. Wie schon jetzt, dürften Unternehmen mit einem nennenswerten China-Umsatzanteil von Anlegern dann tendenziell eher gemieden werden.
Ablesen lässt sich das unter anderem auch an der Wertentwicklung des China Exposure Basket von Morgan Stanley. Seit Mai fällt hier die relative Performance besonders schwach aus, wobei sich wegen der gedrückten Gewinnbasis immer noch ein Bewertungsaufschlag gegenüber dem MSCI Europe Index ergibt. Die Zeit für Neupositionierungen im grösseren Stil bei Unternehmen mit hohem China-Anteil könnte also erst dann gekommen sein, wenn sich die Gewinnaussichten wieder aufhellen.
«Wegen der vorherrschenden Unsicherheit verzichten wir derzeit lieber auf den Kauf der betroffenen Unternehmen», sagt Julius-Bär-Analyst Christoph Riniker. BNP-Paribas-Analyst Ankit Gheedia geht sogar noch einen Schritt weiter. Auch, weil er bis zum Jahresende eine weitere Yuan-Abwertung nicht ausschliessen will, rät er Anlegern, die das ähnlich sehen, dazu, einen hauseigenen Korb von 30 europäischen Aktien mit dem höchsten China-Exposure zu verkaufen, jedoch den Euro Stoxx Index zu kaufen.
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