Am meisten freue er sich auf den 29. August, sagt Peter Hürzeler. Es ist das Datum der Schlusszeremonie der kommenden Olympischen Spiele in Athen. «Wenn alles gut über die Bühne ging, ist das immer das Schönste», meint Hürzeler in seinem kargen Büro in Corgémont BE und strahlt. Noch ist der Weg dorthin steinig, einige Unsicherheiten sind nicht ausgeräumt. Doch der Mann hat auf dem Gebiet Erfahrung und Know-how wie kaum jemand sonst auf der Welt. Seit bald vierzig Jahren ist Peter Hürzeler bei der Swatch Group Spezialist für die Sportzeitmessung. Elf Olympische Spiele hat er vor Ort miterlebt. Einst als Techniker und Tüftler, heute als Vizepräsident und Marketing-Direktor von Swiss Timing. In Athen sind die Schweizer erstmals an Olympischen Spielen für das so genannte Venue Results System verantwortlich, also für die Zeitmessung, das Scoring (Benotung und Anzeige) sowie das gesamte Datenhandling. Das bedeutet, dass Swatch auch für die Weiterleitung der gesamten Resultate an den so genannten Integrator zuständig ist, der die Daten an die Agenturen und TV-Stationen weiterleitet. Für die Spezialisten der Swatch Group bedeutet dies einen gigantischen Aufwand. Hürzeler spricht von «zwanzig Mannjahren für die vier Spiele bis 2010 – allein für die Mitarbeiter vor Ort». Über 300 Mitarbeiter werden in Griechenland mit insgesamt 350 Tonnen Material im Einsatz stehen. Allein im Olympia-Stadion müssen sechs Kilometer 56-adriges Kabel verlegt werden. Bereits jetzt halten sich Swiss-Timing-Techniker in Turin auf, wo 2006 die Winterspiele stattfinden. Langfristiger Vertrag mit dem IOK Es war Ende Januar 2001, als die Verantwortlichen der Swatch Group mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOK) handelseinig wurden. Die Uhrengruppe zeichnet für den reibungslosen Ablauf von Zeitmessung, Datenanzeige und -verarbeitung vor Ort verantwortlich, und zwar für die nächsten vier Olympischen Spiele, die Sommerspiele in Athen (2004) und Bejing (2008) sowie die Winterspiele in Turin (2006) und Vancouver (2010). Im Gegenzug erhält der Uhrenkonzern die Vermarktungsrechte als offizieller Zeitmesser und darf die olympischen Ringe in seiner Kommunikation einsetzen. Das IOK ging damit die erste Langzeitverbindung der Geschichte ein, nachdem es zuvor diese Aufgaben für jeden Anlass einzeln und an verschiedene Firmen vergeben hatte. Noch vor vier Jahren in Sidney hatte IBM das Datahandling besorgt. Dass Swatch den Zuschlag erhielt, kommt nicht von ungefähr. Kein Uhrenkonzern hat grössere Erfahrung in der Sportzeitmessung als die Bieler. Bereits 1932 war es Omega, heute die umsatzstärkste Marke in der Gruppe, die als erstes Privatunternehmen für die Zeitmessung an Olympischen Spielen zuständig war. Damals schickte man 80 Chronographen sowie einen Uhrmacher nach Los Angeles. Seither fanden nur ganz wenige Spiele ohne Beteiligung der Schweizer statt. Zum Beispiel 1964, als Olympia in Tokio über die Bühne ging und die Japaner den Auftrag an die einheimische Seiko vergaben.
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Swiss Timing – aus der Not entstanden Bis 1972 konkurrenzierten verschiedene Schweizer Uhrenfirmen – allen voran Omega und Longines – um den Titel «offizieller Zeitmesser der olympischen Spiele». Omega übernahm die Aufgabe letztmals 1968 in Eigenregie und entschied sich danach aus finanziellen Gründen für den Rückzug. «Vorerst geschah gar nichts», erinnert sich Hürzeler, «erst als 1972 bei den Spielen in München plötzlich Junghans als offizieller Zeitmesser erschien, ging ein Aufschrei durch unser Land.» Das Resultat war die Gründung von Swiss Timing noch im selben Jahr. Die damaligen Konkurrenten Omega, Longines und TAG Heuer erkannten, dass die immensen Kosten für Forschung und neueste Technologie fortan gemeinsam getragen werden sollten. Finanziert wurde die neue Gesellschaft von diversen Banken und verschiedenen Kantonen und Uhrenstädten. Plötzlich floss von überall her Geld. Weitherum war erkannt worden, um welchen Imagetransfer für die Schweiz es hier ging. Nur wenige Jahre später wurde es abermals eng für Hürzeler und seine Kollegen. Als sich während der grossen Uhrenkrise Anfang der Achtzigerjahre ein Geldgeber nach dem anderen zurückzog, war es nur dem beherzten Entscheid von Nicolas G. Hayek zu verdanken, dass die Schweiz sich nicht aus dem Geschäft zurückzog und das Feld kampflos Seiko überliess. «Das führen wir weiter», entschied Hayek 1986, «doch fortan unter unseren Marken.» Der Name Swiss Timing tauchte letztmals 1988 offiziell an den Olympischen Spielen in Seoul auf. Seither handelt es sich um den Namen der Servicegesellschaft, die für die einzelnen Swatch-Group-Marken die technische Arbeit übernimmt. Die Sportarten wurden auf verschiedene Brands verteilt. Omega steht für Leichtathletik und Schwimmen, Longines für Kunstturnen und Reiten, Tissot für Radsport, Fechten und Eishockey und Swatch für Ski alpin, Snowboard und Beach-Volleyball. Die Olympischen Spiele dienen der Marke Swatch als Plattform. Wie 28 Weltmeisterschaften Damit vom 13. bis zum 29. August alles reibungslos funktioniert, spielten die Swiss-Timing-Spezialisten in den vergangenen Jahren und Monaten alles an diversen Test-Events in Griechenland minutiös durch. «Diese Anlässe sind weniger für uns», sagt Hürzeler, «als vielmehr für die Veranstalter. Die Lokalität muss getestet werden, und auch das Fernsehen muss alles proben.» Mühsam wird es, wenn die Test-Events verschoben werden wie mehrmals in diesem Jahr. Auch mit dem Abschluss der Bauarbeiten im Olympiastadion ist man in Verzug. Noch Anfang März fehlte das Dach. «Solange diese Arbeiten nicht abgeschlossen sind, können wir nicht ins Stadion», sagt Hürzeler. Ein ständiges Wettrennen der Zeitmesser gegen die Zeit. In den Stadien, wo die Wettkämpfe stattfinden, wickelt Swiss Timing diesen Sommer alles ab. Insgesamt müssen in Athen 121 Anzeigentafeln montiert werden. Das Datahandling startet schon vor den Spielen. Auf Grund der Startlisten in den 28 verschiedenen Sportarten müssen von Swiss Timing Unmengen von Statistiken erstellt werden. «Olympische Spiele, das ist wie 28 Weltmeisterschaften in einer Region zur gleichen Zeit», pflegt Hürzeler jeweils den Swatch-Group-Managern zu erklären, damit diese eine Vorstellung von der Komplexität des Projekts erhalten. Einfache Sportarten gibt es für ihn nicht. «Wir müssen alles gleich seriös angehen. Auch die Sportarten, in denen es nicht auf Zeit ankommt, etwa Tischtennis, dürfen wir nicht unterschätzen», weiss er. Doch höher schlägt sein Herz, wenn vom Schwimmsport die Rede ist. Peter Hürzeler, 65-jährig, aus Bellach SO, gilt als Erfinder der bis heute in internationalen Wettkämpfen eingesetzten Anschlagmatte. Diese stoppt die Zeit automatisch, wenn der Schwimmer anschlägt. Was simpel tönt, zwang die Zeitmesser zu schier endloser Tüftelei. Zum einen stellten die ungleichmässigen Platten am Bassinrand ein Problem dar, zum andern galt es zu verhindern, dass die Zeit durch den Wellengang gestoppt wurde. «Wir knieten tagelang bei brütender Hitze im Schwimmbad, und ich verbrannte mir sogar einmal die Fusssohlen», erinnert sich Hürzeler. 1971 montierte er ein Stück Storen zwischen die Matte und den unebenen Bassinrand. Das Problem war gelöst. Um die Systeme laufend zu verbessern, arbeitet Swiss Timing intensiv mit den Spitzensportlern zusammen. Nicht nur im Schwimmsport, wo die Kooperation mit dem Russen Alexander Popow Tradition hat, sondern auch in der Leichtathletik oder im Skisport. Mit den Sprintercracks Maurice Green und John Smith wurden Beschaffenheit, Form und Grösse der Startblocks in den letzten Monaten laufend optimiert. Im Ski alpin diskutierte man die Höhe des Start-Gate lange mit den Allerbesten. «Nur die Spitzenathleten wissen, worauf es ankommt. Diese Zusammenarbeit ist für uns enorm wichtig», so Hürzeler. Sommers wie winters haben die Experten aus Corgémont praktisch dieselben Messgeräte im Einsatz, nur die Software wechselt. Diese wird von Informatikern in Corgémont entwickelt. Anders die Geräte, die Omega Electronics in Biel herstellt. Umstrittenes Engagement Unter Experten ist das Olympia-Langzeitengagement der Swatch Group umstritten. Viel zu teuer, meinen viele und wollen heute vom prestigeträchtigen Engagement nichts mehr wissen. Etwa Jean Campiche von TAG Heuer, der sich mit seiner Firma bereits 1980 vom Riesenanlass zurückgezogen hat. Für Hürzeler dagegen steht ausser Frage, dass sich der Einsatz von Swiss Timing lohnt. Wie viel sich die Swatch Group das Ganze seit Jahrzehnten kosten lässt – die Löhne der gegen sechzig in Corgémont Festangestellten übernehmen die einzelnen Marken – könne er nicht sagen. Es komme aber viel zurück. «Natürlich sind wir heute ein schwierig messbares Marketinginstrument für die Swatch Group. Aber es wird auch etwas verkauft. 1996 in Atlanta zum Beispiel konnten wir nicht weniger als drei Millionen Stück der offiziellen Olympia-Uhr absetzen.» Auch die Hayeks weiss Hürzeler hinter sich. Wie jubilierte doch Nicolas G. Hayek nach Vertragsunterzeichnung mit dem IOK im Jahr 2001: «Die Olympischen Spiele sind nicht nur das grösste Sportereignis der Welt. Sie sind ein emotionales Festival – der vollkommenste, friedlichste und warmherzigste Wettstreit der Jugend. Sie passen damit perfekt in die Strategie der Swatch Group.» Sport sells.