Liebe Leserinnen und Leser
Bei der Uhrenmanufaktur Piaget im neuenburgischen Côte-aux-Fées sind fünf Frauen mit einer besonderen Aufgabe beschäftigt: Sie verzieren Uhrenplatinen von Hand mit einem aufwändigen Zierschliff.
Ähnliches tut man bei anderen Firmen auch, obwohl der Schliff ziemlich überflüssig ist: Kein Mensch bekommt die Sache je zu sehen; die Platinen sind unter dem Gehäuseboden der Uhr versteckt. Nur der Uhrmacher wird die schöne Arbeit beim Service der Uhr alle paar Jahre ein bisschen ästimieren können.
Bei der Firma Gübelin in Luzern war eine Frau geschlagene 2000 Arbeitsstunden lang mit einer besonderen Aufgabe beschäftigt: Marion Müller baute die wohl verrückteste Uhr des Jahres, eine Taschenuhr mit Drei-Achsen-Tourbillon, das sich räumlich auf drei Ebenen dreht und so ein Schauspiel bietet, das Freunde der mechanischen Uhr absolut hinreissend finden.
Das Tourbilllon, so muss man wissen, wurde 1795 erfunden, um die Uhren genauer zu machen. Erdmagnetismus und Erdanziehung beeinflussten den Gang der Uhr negativ – dies schaltete das Tourbillon aus, indem es die Unruh in einen drehenden Kasten legte. Heute bräuchte kein Mensch ein Tourbillon. Denn erstens ist jede Swatch genauer als eine Uhr mit Tourbillon, und zweitens gibt das hochwertige Material einer modernen mechanischen Uhr der Erdanziehungskraft sowieso keine Chance.
In diesem Uhren-Special finden Sie unter anderem Reportagen über Piaget und über die verrückte Uhr der Marion Müller. Beide Beispiele sind symptomatisch für eine Haltung, welche die Schweiz massgeblich zur Uhrennation par excellence gemacht hat: Hiesige Uhrmacher leisten nicht nur das Nötige, sondern das Beste. Coûte que coûte.
Am Resultat erfreuen wir Uhrenfreunde uns gern, und wenn die ingeniöse Technik auch noch ein paar Spielereien wie Minutenrepetition, Schleppzeiger, mechanischen Wecker oder Rechenschieber umfasst, dann ist das zwar alles ein bisschen überflüssig – höchst ergötzlich ist es allemal.
Und prestigeträchtig. Ab Seite 18 präsentieren wir die zehn berühmtesten Uhren der Welt. Sie sind schön, klassisch, tonangebend, und sie waren oft technische Meilensteine. Zum Beispiel die Omega Speedmaster Professional, die von der Nasa zur Uhr für die Mondexpedition erkoren wurde, weil sie alle Tests mit Bravour bestanden hatte. Oder die Rolex Oyster, weil sie dank einer neuen Technik die erste wirklich wasserdichte Uhr war. Oder die Swatch, weil sie den Uhrenbau revolutionierte, aus so wenigen Teilen zusammengesetzt werden konnte wie keine Uhr zuvor, nebenbei die Uhr zum Modestück machte und dazu auch noch schlicht die Schweizer Uhrenindustrie rettete.
Und heute? Die Schweizer Uhrenindustrie krankt derzeit, man hört es oft genug, an einem gravierenden Innovationsmangel. Dazu befragten wir einen Mann, der seinerzeit half, die Branche aus einer Krise zu führen: Jean-Claude Biver, der Blancpain aus der Versenkung holte und zur Erfolgsmarke machte, gab der Branche vitale Impulse. Solche vermissen wir heute.