Apple ist in den vergangenen Jahren mit einer Hochpreis-Strategie zum wertvollsten Unternehmen der Welt geworden. Im bevorstehenden Weihnachtsgeschäft testet Konzernchef Tim Cook mit neuen iPhone-Modellen die Zahlungsbereitschaft der Kunden noch weiter aus.
Die Liste der Superlative, die Apple-Chef Tim Cook aufzählt, ist lang: Im neuen iPhone Xs stecken nach seinen Worten der «intelligenteste, leistungsstärkste Smartphone-Chip» sowie «ein revolutionäres Dual-Kamerasystem». Die Gesichtserkennung FaceID ist schneller geworden und im Modell Xs Max bietet Apple das bislang grösste iPhone-Display an.
Was der Apple-Chef auf der Bühne nicht so sehr betont, ist die Tatsache, dass das neue Spitzenmodell in der üppigen 512-Gigabyte-Ausstattung mit 1739 Franken so teuer ist wie kein iPhone zuvor.
Unbegründete Zweifel
Vor einem Jahr hatte Apple es gewagt, sich mit dem iPhone X in den USA erstmals an die psychologisch wichtige Schwelle von 1000 US-Dollar (ohne Mehrwertsteuer) heranzutasten. Da die Preise in Europa stets die Steuern enthalten, wurde in der Schweiz sogar die 1000-Franken-Marke überschritten.
Etliche Beobachter bezweifelten damals, dass die Kunden bereit sind, so viel Geld für ein Smartphone auszugeben. Doch sie wurden eines Besseren belehrt. Das teure iPhone X verkaufte sich nach Angaben von Apple besser als die preiswerteren Modelle wie das iPhone 8 und steigerte die Konzerngewinne weiter.
Unterschiede beim Display
Zum Weihnachtsgeschäft tritt Apple aber nicht nur mit zwei neuen teuren Spitzen-Modellen iPhone Xs (5,8 Zoll) und Xs Max (6,5 Zoll) an: Das neue iPhone Xr (6,1 Zoll) soll die Kunden ansprechen, die unter der 1000-Franken-Schwelle bleiben wollen. Die Preise für das Xr starten in der Schweiz bei 879 Franken.
Der iPhone-Hauptchip, der A12 Bionic, ist bei allen drei Modellen identisch. Unterschiedlich ist die Qualität des Displays: hochwertiges OLED bei den Xs-Modellen und LCD beim Xr. Ausserdem verfügen die Xs-Modelle über eine Kamera mit zwei Linsen (Weitwinkel und Tele), während sich das Xr mit einer Linse begnügen muss.
Letzte Billigvariante erfolglos
Die Strategie erinnert an das Vorgehen des Konzerns im Jahr 2013, als Apple dem damaligen Spitzenmodell iPhone 5s das um rund 100 Euro billigere iPhone 5c zur Seite stellte. Damals ging die Rechnung für Apple nicht auf, denn die Kunden wollten für einen vergleichsweise geringen Preisunterschied nicht erhebliche Differenzen in der Leistungsfähigkeit hinnehmen.
Der Hauptchip im 5c war deutlich langsamer als im 5s. Und im Gegensatz zum 5s verfügte das 5c nicht über den abgesicherten Speicherbereich «Secure Enclave», der einen unbefugten Zugang zu dem Gerät wirksam abwehren kann. Die Nachteile sprachen sich auch in der Kundschaft herum, so dass Apple das erfolglose Projekt bereits nach einem Jahr wieder beendete.
Neue Günstigversion besser aufgestellt
Annette Zimmermann von Marktforschungsunternehmen Gartner glaubt aber, dass Apple diesmal besser aufgestellt ist. «Das iPhone Xr enthält den neuen Spitzen-Prozessor und auch die Gesichtserkennung FaceID. Es steht somit nicht im Verdacht, Technik von gestern zu bieten», sagte Zimmermann der Nachrichtenagentur dpa nach der Produktvorführung in Cupertino. Das sei beim gefloppten iPhone 5c damals anders gewesen.
Für den Erfolg von Apple insgesamt ist aber nicht mehr nur entscheidend, wie viele iPhone-Geräte zu welchem Preis verkauft werden, sondern auch, wie umfangreich man danach die Smartphones nutzt. So schliessen Intensiv-Nutzer häufig ein Speicher-Abo bei Apple ab, um die wertvollen Daten auf dem Gerät in der iCloud zu sichern.
Ausserdem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie auch einen Dienst wie Apple Music buchen. Zuletzt hatte das Dienstleistungsgeschäft bei Apple stark zugelegt und Erwartungen bei Investoren geweckt, die manchen Experten jedoch als überzogen erscheinen. So verweist Ed Snyder vom Marktforschungsunternehmen Charter Equity Research darauf, dass sinkende Absatzzahlen beim iPhone letztlich auch zu einem schrumpfenden Service-Geschäft führen würden.
Wende in China angestrebt
Dieser Gefahr versucht Apple auch mit dem Xs Max entgegenzuwirken. Das iPhone mit dem grossen 6,5-Zoll-Bildschirm richtet sich vor allem an Kunden in Asien, wo solche «Phablets» (Mix-Wort aus «Phone» und «Tablet») besonders populär sind.
«Während Samsung mit dem Galaxy Note und andere Hersteller hier erfolgreich unterwegs sind, hatte Apple in dieser Kategorie nichts im Programm», sagt Zimmermann. «Das war einer der wichtigste Gründe, warum Apple in den letzten Jahren in China nicht mehr gewachsen ist. Mit dem iPhone Xs Max könnte eine Wende eingeleitet werden.»
Neue Apple Watch
Die Apple-Führungsriege bemüht sich gleichzeitig, die Abhängigkeit des Unternehmens vom iPhone-Absatz zu vermindern. Im wachsenden Markt der Computeruhren immerhin ist dieses Vorhaben gelungen. Konzernchef Cook pries die Apple Watch als «Smartwatch #1» und legte mit der vierten Generation der Apple-Uhr nach. Sie verfügt über ein rund 30 Prozent grösseres Display - auch weil es den Ingenieuren gelungen ist, den dunklen Rand um den Bildschirm schmaler zu machen.
Ausserdem wurde die Uhr mit neuen medizinischen Funktionen ausgestattet. So kann die Apple Watch künftig erkennen, ob der Besitzer gestürzt ist und bei Bedarf einen Notfall-Anruf auslösen. Ausserdem verfügt sie über einen Sensor, der Elektrokardiogramme (EKG) aufzeichnen kann.
Gerade in den USA ist das ein wichtiges Feature, weil viele Menschen nicht umfassend krankenversichert sind und sich Routine-Besuche beim Arzt ersparen. Die US-Aufsichtsbehörde FDA hat das Messverfahren bereits zugelassen. In Europa stehen solche Zertifikate aber noch aus, so dass Kunden sich noch gedulden müssen, bis die Funktion hier aktiviert wird.
Apple arbeitet an Computer-Brille
Auf grössere Produktneuheiten, die ganze Branchen umkrempeln, werden Apple-Fans aber noch länger warten müssen. Die Apple-Ingenieure arbeiten dem Vernehmen nach intensiv an einer Computer-Brille, die ähnlich wie beim Konzept von Google Glass künstliche Realität und die Wirklichkeit miteinander vermengen soll.
Im Gegensatz zu dem Google-Flop soll die Technik hier funktionieren und das Gerät datenschutzfreundlicher ausgelegt sein. Ausserdem forschen etliche Apple-Mitarbeiter an der Technik für selbstfahrende Autos. Doch hier ist weiterhin unklar, wie weit Apple sich solo in den schwierigen Automobilmarkt vorwagen wird oder nur Kooperationen mit Herstellern oder Dienstleistern sucht.
(sda/ccr)