- In Deutschland entsteht viel Dynamik im Markt für gebrauchte Ersatzteile jüngerer Fahrzeuge
- Das Einsparpotenzial ist hinsichtlich Emissionen und Reparaturkosten enorm
- Eine grosse Mehrheit der Kundinnen und Kunden würde den Einbau gebrauchter Ersatzteile akzeptieren
Eine kaputte Autotür, ein verbeulter Kotflügel - der Ärger nach einem Unfall ist oft gross, vor allem wenn das geliebte Fahrzeug noch nicht so viele Kilometer auf dem Tacho hat. In der Garage des Vertrauens wird das kaputte Teil dann häufig gegen ein fabrikneues ausgetauscht. Die Versicherung bezahlt es ja. Angesichts der galoppierenden Schadeninflation und aus Gründen der Nachhaltigkeit ist aber genau diese Praxis den Versicherern immer mehr ein Dorn im Auge.
Weniger Kosten, mehr Nachhaltigkeit
Das Problem bislang: Gerade für jüngere Fahrzeuge zwischen drei und acht Jahren gibt es noch keinen breiten Markt für Ersatzteile. Deshalb nahm sich der Branchenriese Allianz im Frühling diesem Thema an, und stellt dem deutschen Reparaturmarkt seit April geeignete Gebrauchtteile zur Verfügung. «Wir wollen den Gebrauchtteilemarkt in Deutschland stärken, denn die Verwendung von gebrauchten Ersatzteilen ist nicht nur aus Kostengesichtspunkten, sondern vor allem auch aus Nachhaltigkeitsgründen sinnvoll», sagte Frank Sommerfeld, Vorstandsvorsitzender der Allianz Versicherungs-AG, erst kürzlich auf dem 12. Allianz Autotag.
Die Rechnung kann für die Versicherer in beiderlei Hinsicht aufgehen. So rechnet der Branchenprimus anhand eines Beispiels vor: Bei der Verwendung einer gebrauchten Fahrertür eines VW ID.3 werden 78,4 Prozent oder 64,9 kg CO2 eingespart. Hochgerechnet auf alle Reparaturen könnten bei entsprechender Verfügbarkeit 420'000 Tonnen CO2 im Jahr allein in Deutschland eingespart werden.
Das Potenzial ist also riesig, gerade im Mutterland von VW, Mercedes, BMW & Co. Allein im vergangenen Jahr ist der Bestand nach Zahlen von Statista in Deutschland um 688'000 Fahrzeuge gestiegen, am 1. Januar 2024 waren rund 69,1 Millionen Fahrzeuge zugelassen. Marktführerin unter den Autoversicherungen ist dabei die Huk-Coburg mit fast 14 Millionen versicherten Autos, gefolgt von der Allianz mit etwa 13 Millionen Millionen Verträgen.
Allerdings hat die Medaille auch eine Kehrseite: Die deutschen Autoversicherer haben ein Ertragsproblem. So hat sich Die Schaden-Kosten-Quote nach Zahlen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) um fast zehn Prozentpunkte auf über 110 Prozent verschlechtert. Mit anderen Worten: Das Autoversicherungsgeschäft ist nicht profitabel. Nach einer aktuellen Hochrechnung des Verbands werden die deutschen Autoversicherer in diesem Jahr einen Verlust von rund zwei Milliarden Euro einfahren. Diese Zahlen sind vor allem auf die seit Jahren steigenden Reparaturkosten zurückzuführen, denn sowohl Ersatzteile als auch die Arbeit in den Werkstätten werden immer teurer, so der GDV. Die Initiative der Allianz kommt also nicht von ungefähr, denn gebrauchte Ersatzteile sind natürlich wesentlich günstiger als neue.
Dynamischer Markt für Gebrauchtteile
Gebraucht statt neu, soll die Devise der Zukunft lauten. Der Markt für Gebrauchtteile jüngerer Fahrzeuge hat sich mit dem Start der Initiative der Allianz in Deutschland dynamisch entwickelt. Das Gebrauchtteileangebot bei ClaimParts habe sich insgesamt, auch durch den Anschluss weiterer Lieferanten, um 40 Prozent von 3,2 auf 4,5 Millionen Teile erhöht, teilt die Allianz mit. Auf der Seite der Gebrauchtteilegewinnung konnte die Restwertbörse green.casion die Anzahl der angeschlossenen zertifizierten Recycler von 8 auf 20 erhöhen. «Die Entwicklung stimmt mich positiv. Wir hoffen, dass noch viele Versicherer unserem Beispiel folgen», sagt Sommerfeld.
Hohe gesellschaftliche Akzeptanz
Aber nicht nur die Versicherer, sondern auch die Kundinnen und Kunden sehen die Wiederverwendung gebrauchter Ersatzteile offensichtlich positiv: Laut einer Allianz-Umfrage würde eine grosse Mehrheit von 89 Prozent eine Reparatur ihres Fahrzeugs mit gebrauchten, aber vollständig intakten und zertifizierten Ersatz- anstelle von Neuteilen akzeptieren. Dass gebrauchten Ersatzteilen ein zweites Leben eingehaucht wird, könnte in Zukunft also zur Norm werden. In vielen Ländern ist diese Praxis bereits Usus: England, Frankreich und die Niederlande haben den Handel und die Reparatur mit gebrauchten Ersatzteilen auch mittels gesetzlicher Vorgaben gefördert. Deshalb brauche es auch in Deutschland gesetzliche Rahmenbedingungen, um die Entwicklung schneller voranzutreiben, fordert die Allianz. Das könnte dann auch Einfluss auf die Prämiengestaltung haben. Die Dynamik ist hoch, der Wille da - die positiven Beispiele dürften also Schule machen, auch in der Schweiz.