Inflation, Energiekrise, Krieg mitten in Europa, Klimawandel, schwächelnde Wirtschaft – eine Krise, so scheint es in den vergangenen Monaten, folgt der andern. Die scheinbar nicht mehr enden wollende Aneinanderreihung von Krisenlagen hat Christine Lagarde, Chefin des europäischen Systemrisikorates, im vergangenen Dezember gar dazu bewogen, das Wort Permakrise in den Mund zu nehmen und der britische Colline Dictionary hat «permacrisis»zum Wort des Jahres 2022 ernannt.
Stresstest für Unternehmen
Auch die Unternehmen – vor allem in Europa und den USA – machen sich Sorgen über die anhaltenden Krisen, die aus den Folgen der Pandemie und den wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen des anhaltenden Krieges in der Ukraine resultieren, das zeigt die 12. Ausgabe des Allianz Risk Barometers. «Die aktuelle Lage ist ein Stresstest für jedes Unternehmen», konstatiert Joachim Müller, CEO von Allianz Global Corporate & Speciality (AGCS).
Allerdings hat die gefühlte Dauerkrise auch ihre positiven Seiten. «Wir stellen bei vielen Kunden kontinuierliche Verbesserungen in Sachen Resilienz und Risikomanagement fest», so Joachim Müller. Viele Unternehmen hätten die Lieferketten in den vergangenen Jahren robuster gemacht, seien besser gewappnet gegen Unterbrechungen ihrer Geschäftsbetriebs und hätten ihre Cyberkontrollen ausgebaut.
Cyberattacken bereiten am meisten Sorgen
Nichts desto trotz werden Cybervorfälle, wie IT-Ausfälle, Ramsomware-Angriffe oder Datenschutzverletzungen global betrachtet im zweiten Jahr in Folge als wichtigstes Risiko eingestuft. In 19 Ländern, darunter Kanada, Frankreich, Japan, Indien und im Vereinigten Königreich, steht dieses Risiko auf Rang 1.
Auch in der Schweiz führen die Sorgen um Cybervorfälle wie im Vorjahr die Rangliste mit 57 Prozent der Antworten an (siehe Grafik ganz unten). Vor allem kleinen Unternehmen (< 250 Mio. Dollar Jahresumsatz) bereitet dieses Risiko am meisten Sorgen. «Für viele Firmen ist die Bedrohung durch Cyberangriffe nach wie vor grösser als je zuvor, und die Schadensfälle in der Cyberversicherung bleiben auf einem hohen Niveau», sagt Shanil Williams, AGCS-Vorstandsmitglied und Chief Underwriting Officer Corporate.
Allianz Risk Barometer
Das Allianz Risk Barometer ist ein jährlich veröffentlichtes Ranking der grössten Unternehmensrisiken, das vom Unternehmensversicherer Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) gemeinsam mit anderen Allianz Gesellschaften erstellt wird. In diesem Jahr berücksichtigt es die Meinung von 2712 Risikomanagement-Experten in 94 Ländern und Territorien, darunter CEOs, Risikomanager, Makler und Versicherungsexperten. Die Umfrage erscheint bereits zum 12. Mal.
KMU unterschätzen Cybergefahr
«Grosse Unternehmen sind mittlerweile daran gewöhnt, zur Zielscheibe zu werden und diejenigen, die über ein angemessenes Niveau an Cybersicherheit verfügen, können die meisten Angriffe abwehren.» Zunehmend seien aber auch kleine und mittlere Unternehmen betroffen. «Diese neigen dazu, ihre Gefährdung zu unterschätzen, und sollten kontinuierlich in die Stärkung ihrer Cyberabwehr investieren.»
Energiekrise – Schweizer Aufsteigerin des Jahres
Aufsteigerin des Jahres ist die Angst vor Energiekrisen. Bei den befragten Schweizer Unternehmen liegt sie hinter den Sorgen um Cyberangriffe mit 48 Prozent auf Platz 2. Betriebsunterbrechung – lange Jahre die grösste Sorge der Unternehmen – ist mit 41 Prozent der Antworten auf den 3. Rang zurückgefallen. Politische Risiken und Gewalt sind als ebenfalls neue Kategorie bereits auf Rang 4 (20%), gefolgt von Änderungen in der Gesetzgebung und Regulierung (18%) und Naturkatastrophen (18%).
Am anderen Ende der Skala rangiert die Furcht vor den Folgen des Klimawandels auf dem 10. Platz, während es Ausbruch einer Pandemie nicht mehr in den Top10 der grössten Unternehmensrisiken in der Schweiz geschafft hat.
Risiko Fachkräftemangel vor politischen Risiken
Auch weltweit sind sowohl Naturkatastrophen (von Platz 3 auf 6) als auch die Risiken des Klimawandels (von Platz 6 auf 7) in der Rangliste zurückgefallen. Gleiches gilt für den Ausbruch einer Pandemie (von Platz 4 auf Platz 13). Politische Risiken und Gewalt hat es auf Platz 10 geschafft, während der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften auf Platz 8 aufsteigt. Änderungen in der Gesetzgebung und Regulierung bleibt ein relevantes Risiko auf Platz 5, Feuer/Explosion hingegen fällt um zwei Positionen zurück auf Platz 9.
Im Unterschied dazu rangieren makroökonomische Entwicklungen wie Inflation oder die Volatilität der Wirtschafts- und Finanzmärkte als drittwichtigstes Risiko für Unternehmen weltweit (25 % der Antworten), gegenüber Platz 10 im Jahr 2022. Es ist das erste Mal seit einem Jahrzehnt, dass es dieses Risiko unter die Top 3 geschafft hat.
Rezession in Europa, China und den USA
Alle drei grossen Wirtschaftsräume – die Vereinigten Staaten (USA), China und Europa – befinden sich gleichzeitig in einer wirtschaftlichen Krise, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, so das Team von Allianz Research, das für 2023 eine Rezession in Europa und den USA prognostiziert. Als besonders besorgniserregend bezeichnet es die Inflation, da sie die Preisstruktur und die Margen vieler Unternehmen auffrisst.
Energiekrise stärkt mittelfristig die gesamte Wirtschaft
«2023 wird ein herausforderndes Jahr werden; rein wirtschaftlich gesehen dürfte es für viele Haushalte und Unternehmen buchstäblich ein Jahr zum Vergessen werden. Dennoch gibt es keinen Grund zu verzweifeln», macht Ludovic Subran, Chefvolkswirt der Allianz Hoffnung. «Zum einen hilft die Zinswende, wovon nicht zuletzt Millionen von Sparern profitieren. Auch die mittelfristigen Aussichten sind trotz – oder gerade wegen – der Energiekrise deutlich besser. Die Folgen, die über die erwartete Rezession im Jahr 2023 hinausgehen, zeichnen sich bereits ab: ein forcierter Umbau der Wirtschaft in Richtung Dekarbonisierung sowie ein erhöhtes Risikobewusstsein in allen Teilen der Gesellschaft, das die soziale und wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit stärkt.»