Monatelang pfiffen die Spatzen einen möglichen Zusammenschluss zwischen Helvetia und Baloise von den Basler und St. Galler Dächern. Dennoch hat die Ankündigung direkt nach den Osterfeiertagen in der Branche für mächtig Wirbel gesorgt. Ein Gespräch mit Professor Martin Eling von der Universität St. Gallen über Erfolgsaussichten und strategischen Weitblick.
Herr Professor Eling, wie sehr hat Sie die Ankündigung des Zusammenschlusses zwischen Baloise und Helvetia überrascht?
Es gab schon seit geraumer Zeit entsprechende Andeutungen, insofern kam es nicht überraschend. Der Druck im Markt ist hoch – sowohl durch technologische Veränderungen als auch durch neue Wettbewerber. Dass zwei finanziell gesunde, traditionsreiche Schweizer Versicherer diesen Schritt freiwillig gehen, ist bemerkenswert und zeugt von strategischem Weitblick.
Martin Eling ist Direktor am Institut für Versicherungswirtschaft der Hochschule St. Gallen (I.VW-HSG).
Ergibt ein solcher «Merger of Equals» aus Ihrer Sicht Sinn?
Ja, aus ökonomischer Sicht ergibt das absolut Sinn. Es gibt klare Argumente für Synergien: Skaleneffekte, gemeinsame IT-Infrastruktur, gestärkte Kapitalbasis und mehr Schlagkraft bei der digitalen Transformation. Wichtig ist, dass der Zusammenschluss wirklich auf Augenhöhe passiert und die Integration sorgfältig gestaltet wird.
Ist es tatsächlich ein Zusammenschluss unter Gleichen?
Auf dem Papier würde ich sagen ja: Marktkapitalisierung, Unternehmensgrösse und auch die regionale Verwurzelung sind vergleichbar. In der Realität wird sich allerdings zeigen, wie die Machtverhältnisse in Verwaltungsrat und Geschäftsleitung verteilt werden – und wer kulturell den Ton angibt. Das ist auch entscheidend für den Integrationserfolg.
Der Schlüssel liegt in der Umsetzung.
Martin Eling
Welche Erfolgsaussichten hat der Zusammenschluss Ihrer Einschätzung nach?
Die Erfolgsaussichten sind gut – vorausgesetzt, die kulturelle Integration gelingt und die strategische Ausrichtung wird konsequent gemeinsam weiterentwickelt. Die beiden Häuser bringen viel Erfahrung mit, haben eine solide Bilanz und ergänzen sich in gewissen Bereichen gut. Der Schlüssel liegt in der Umsetzung.
Aber es wird aufgrund der Synergien sicherlich auch einen massiven Stellenabbau geben...
Das ist leider wahrscheinlich. Doppelspurigkeiten in der Verwaltung, im Vertrieb und bei den IT-Systemen lassen sich bei einer solchen Fusion kaum vermeiden. Für die Betroffenen ist das schmerzhaft – aus betriebswirtschaftlicher Sicht aber fast unausweichlich, wenn die Fusion wirtschaftlich erfolgreich sein soll.
Es ist die bedeutendste Branchenfusion der letzten 20 Jahre.
Martin Eling
Was bedeutet die Fusion insgesamt für den Schweizer Versicherungsmarkt?
Es ist die bedeutendste Branchenfusion der letzten 20 Jahre – vergleichbar mit AXA-Winterthur 2006. Die Konzentration im Markt nimmt zu, der Wettbewerb könnte sich verschärfen. Gleichzeitig entsteht ein starker Gegenspieler zu den grossen internationalen Häusern, was auch Vorteile für den Standort Schweiz bringen kann.
Beide Versicherer ähneln sich in ihrer Ausrichtung, auch was das Auslandsgeschäft anbelangt. Wegen der geringen Grösse dort wurden beide kritisiert. Wird sich daran nun etwas ändern?
Gerade in dieser Hinsicht macht die Fusion sehr viel Sinn. Durch den Zusammenschluss entsteht im Ausland zwar kein «grosser Spieler», aber die kritische Masse erhöht sich – etwa für Investitionen in Vertrieb, Technologie oder Partnerschaften. Die Position in Europa könnte gezielter ausgebaut werden. Es ist ein Schritt in Richtung Relevanz – auch wenn noch kein grosser internationaler Durchbruch damit verbunden ist.
Vor allem die Baloise stand immer wieder in der Kritik des aktivistischen Investors Cevian. Bedeutet der Zusammenschluss da einen Befreiungsschlag?
Es könnte durchaus als strategischer Befreiungsschlag interpretiert werden. Der Zusammenschluss gibt der Baloise eine neue Perspektive und ein starkes gemeinsames Narrativ. Gleichzeitig wird die Bewertung der Fusion durch Investoren wie Cevian auch davon abhängen, ob der kombinierte Konzern tatsächlich höhere Kapitalrenditen und Effizienzgewinne liefert.
Wie wird es in dieser neuen Konstellation mit der Baloise Bank weitergehen - hat sie noch eine Zukunft?
Dies ist aus heutiger Sicht schwer zu sagen, die Zukunft der Baloise Bank dürfte in der neuen Konstellation ebenfalls auf den Prüfstand kommen. Aus ökonomischer Sicht sind solche integrierten Bank-Versicherungs-Modelle (Bancassurance) nur dann erfolgreich, wenn es gelingt, echte Synergien im Vertrieb zu realisieren. Das ist in der Vergangenheit – auch bei anderen Häusern – oft nicht gelungen. Das Thema «Bancassurance» erlebt im Kontext von Open Finance allerdings gerade ein Revival – wenn man es datenbasiert und digital denkt. Die Baloise Bank könnte also auch als Plattform oder Ökosystem-Baustein neu positioniert werden.