Versicherungsunternehmen können sich nicht länger nur auf organisches Wachstum oder eigene Innovation verlassen, um weiterhin im Wettbewerb bestehen zu können. Sie müssen ihre Prozesse beschleunigen, verschlanken und sicherer machen, um die wachsende Datenflut zu bewältigen – und effektiv nutzbar zu machen. Hinzu kommt die Covid-19-Pandemie, die durch Kontaktbeschränkungen den Umgang mit Kunden stark verändert hat. Dies alles sind Gründe, warum gerade in diesem Jahr der digitale Transformationsprozess der Schweizer Versicherungswirtschaft einen Quantensprung nach vorn gemacht hat. Die Pandemie hat zudem den Wert, den Nutzen und die Widerstandsfähigkeit von digitalen Lösungen wie Payment, Datenverarbeitung, Cloud Computing, Streaming, E-Commerce und intelligenten KI-Anwendungen noch einmal verdeutlicht.
Heute blicken Versicherungsunternehmen über die traditionellen Insurtech-Lösungen hinaus und erweitern die von ihnen angebotenen Lösungen und Dienstleistungen. Um schnell zu diversifizieren und die relevanten digitalen Pioniere zu identifizieren, arbeiten sie mit Startups aus verschiedenen Branchen zusammen wie zum Beispiel Healthtech, Edtech und vielen anderen. Es geht nicht nur darum, schneller, digitaler und kosteneffizienter zu sein, sondern vielmehr auch darum, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kunden zu verstehen und diesen zu dienen.
Autorin:
Katka Letzing, Mitbegründerin und CEO der Schweizer Innovationsplattform Kickstart.
Axa, die Mobiliar und Sanitas, drei führende Schweizer Versicherungshäuser, haben sich auf die Suche nach neuen innovativen Konzepten gemacht und wurden mithilfe der Innovationsplattform Kickstart fündig: von Datenanbietern über KI-Erkennungsspezialisten, Sicherheitskonzeptentwicklern sowie Vermittlungsplattformen bis hin zu spezifischen Service-Dienstleistern für Autonutzung oder Handyreparatur. Der Fokus liegt stark auf Kundendaten, die für Versicherer einen doppelten Nutzen haben. Einerseits stellen Daten ein wichtiges Gut dar; ob es sich um die Altersvorsorge oder die Schadenabsicherung handelt: Jedes Versicherungsprodukt ist eine Dienstleistung, die auf eine Person und ihr Sicherheitsbedürfnis zugeschnitten ist. Andererseits sind Kundendaten hochsensibel und müssen vor Missbrauch geschützt werden. Die Mobiliar hat sich mit dem Berliner Scale-up Statice zusammengetan, das eine Lösung zur anonymen Analyse von Kundendaten entwickelt hat, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen, die sowohl für das Bestandskundenmanagement (z. B. Storno, Beschwerdemanagement) als auch für das Neukundengeschäft (z. B. Anbahnungsprozesse, Lead Conversion) von Bedeutung sind.
Ein anderes Scale-up, mit dem die Mobiliar eine Zusammenarbeit gestartet hat, ist der KI-Spezialist Advaisor, ein Spin-off der ETH Zürich. Die Advaisor-Software ermöglicht es Unternehmen, Kundenanschreiben präziser und mit einer geringeren Fehleranfälligkeit zu erstellen, da der Algorithmus Texte erkennt und mit Mustertexten für ähnliche Betreffe vergleicht. Dies führt zu einem exakt arbeitenden Beschwerdemanagement bei niedrigeren Kosten.
Das deutsche Scale-up Selfapy, das Online-Kurse zur Prävention und Behandlung von psychischen Erkrankungen anbietet, hat sowohl mit Axa als auch mit Sanitas Pilotprojekte durchgeführt, um der gesteigerten Nachfrage nach Lösungen für die psychische Gesundheit zu begegnen. Die Kunden beider Versicherer können die verschiedenen Online-Therapien von Selfapy nutzen, die schnelle und flexible Hilfe bei psychischen Erkrankungen bieten. Sanitas ist auch eine Partnerschaft mit dem Startup Braive eingegangen, einem führenden finnischen Anbieter von personalisierten digitalen Programmen für psychische Gesundheit.
Bereits 2016 war Veezoo, ein Spin-off der ETH Zürich, eine Kooperation mit Axa eingegangen. Das Scale-up entwickelte eine auf künstlicher Intelligenz basierende Konversationslösung, die mithilfe der myAnalytics-Plattform grosse Datenmengen in Sekundenschnelle analysieren kann. Diese wendet Axa für den Vertrieb an. Dieses Jahr lancierte Axa das Produkt über seine 1800 Vermittler in der ganzen Schweiz. Im September starteten die Axa-Aussendienstmitarbeitenden 15’500 Anfragen mit Veezoo. Darüber hinaus hat die Axa Mobility Services AG (AMS), die einst mit zehn Mitarbeitern begann, ihren Personalbestand dank der Kooperation mit dem Mobilitäts-Startup UPTO inzwischen verdreifacht. Das Auto-Abonnement von UPTO hilft Unternehmen und Privatpersonen, ihre Mobilitätskosten zu senken und die Zukunft der Mobilität aktiv zu gestalten.
Wie in den obigen Beispielen dargestellt, sind Versicherungsunternehmen an vielfältigen Digitalisierungslösungen interessiert, die über das Kerngeschäft der Versicherung hinausgehen. Die Bedürfnisse ihrer Kunden stehen bei ihren Innovationsbemühungen im Vordergrund und die internen Prozesse werden zunehmend agiler und weniger segmentiert.
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