Erneuerungsvorschläge für das Schweizer Dreisäulensystem haben es schwer. Nebst dem Volks-Nein zum Reformprojekt «Altersvorsorge 2020» hat der Bundesrat im Windschatten des turbulenten Abstimmungskampfes still und leise den Vorschlag für eine bessere Vergleichbarkeit der Pensionskassen begraben. Der Prozess zugunsten von mehr Transparenz und der Früherkennung von Risiken wird damit jäh gestoppt. Vor vier Jahren forderte FDP-Nationalrat Albert Vitali mit seinem Postulat, es sei zu prüfen, inwiefern die Vergleichbarkeit der finanziellen Lage von Schweizer Vorsorgeeinrichtungen verbessert werden könne. Eine im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) vom Beratungsunternehmen PPCmetrics erstellte Studie mit anschliessendem Machbarkeitstest schien den Durchbruch zu bringen.
Die Pensionskassen-Spezialisten konzentrierten sich nach eingehender Analyse aller in Frage kommender Kennzahlen auf den risikotragenden Deckungsgrad (RTD). Für die Studienautoren lassen sich mit diesem Kennzahlenset, das sowohl die finanzielle als auch die strukturelle Risikofähigkeit einer Vorsorgeeinrichtung berücksichtigt, die gestellten Anforderungen an die Vergleichbarkeit erfüllen. Jetzt aber hat der Bundesrat definitiv abgewinkt. Seine Begründung: Die Autonomie der Pensionskassen werde damit zu stark eingeschränkt, weil die Anwendung eines Risikomodells nicht den jeweiligen Eigenheiten einer Vorsorgeeinrichtung entsprechen würde.
Risiken einheitlich beurteilen
Angesichts von tiefen Zinsen und den steigenden Rentenverpflichtungen sind die Verantwortlichen einer Pensionskasse bei der Risikobeurteilung extrem herausgefordert. Kommt dazu, dass die gesetzliche Garantie laufender Renten sämtliche Risiken auf die aktiven Versicherten und den Arbeitgeber überträgt. Ein professionelles Risikomanagement wird für die Stiftungsräte entsprechend zur Kernaufgabe. Für die Versicherten hätte ein einheitliches Kennzahlenset den Vorteil, dass sich die Pensionskassen etwa bei einem Stellenwechsel besser vergleichen lassen. Nicht umsonst halten Alfred Bühler und Dominique Ammann, Partner bei PPCmetrics, in einem «Expert Focus»-Artikel zu den Kennzahlen des risikotragenden Deckungsgrades fest: «Sie eignen sich bestens für den Vergleich der Vorsorgesicherheit im Zeitablauf, relativ zu einer Peer Group sowohl aus der Perspektive der aktiven Versicherten als auch derjenigen der Vorsorgeeinrichtung.» Beim Bundesrat und BSV sieht man das anders. Für die Versicherten sei ein einrichtungsübergreifender Vergleich kaum relevant, weil sie ohnehin in das betriebliche Kollektiv eingebunden seien, wird in der ablehnenden Begründung festgehalten.
Dem Sachverstand der Versicherten wird ganz generell wenig zugemutet. Die komplexen Kennzahlen, insbesondere auch im Falle einer Integration versicherungstechnischer Zahlen, wären überdies aus Sicht des Bundesrates für das Gros der Versicherten nicht sachgerecht interpretierbar. Das ist nicht stichhaltig. Interpretieren kann man nur, wenn alle mit den gleichen Ellen messen. Das wird aber auf absehbare Zeit nicht geschehen. Gemäss den bundesrätlichen Schlussfolgerungen sollen die zuständigen obersten Führungsorgane weiterhin unabhängig entscheiden können, welche Ansätze und Modelle zur Risikobeurteilung die individuelle Situation einer Vorsorgeeinrichtung am besten abbilden. Dies in Zusammenarbeit mit den zuständigen Experten für die berufliche Vorsorge. Mit anderen Worten: Die Behörden wollen den Pensionskassen die Anwendung eines einheitlichen Modells nicht vorschreiben, weil nicht klar ist, ob der Nutzen die dabei entstehenden Kosten rechtfertigt.
Fehlschlüsse vermeiden
Seit dem Ausbruch der Finanzkrise hat die Zahl der sanierungsbedürftigen Pensionskassen deutlich abgenommen. Diese Momentaufnahme darf aber nicht zu Fehlschlüssen verleiten. Auch wenn sich die Lage zwischenzeitlich etwas entspannt hat, bleiben viele Einrichtungen der beruflichen Vorsorge einem hohen Risiko ausgesetzt. Der Deckungsgrad ist nur eine Messgrösse, ebenso wichtig sind für eine Kasse der Anteil an Rentnern, das Durchschnittsalter der Aktiven, der technische Zinssatz, der Umwandlungssatz und die finanzielle Stabilität des Arbeitgebers. Mit dem risikotragenden Deckungsgrad werden nicht alle diese Grössen erfasst, aber er stellt die für die Beurteilung der Sicherheit der Leistungsversprechen entscheidenden Aspekte wie die finanzielle Situation, den Anteil der garantierten Leistungen, die Sanierungsfähigkeit wie auch den Einfluss des Zinsniveaus in einer Kennzahl dar.
Bei einem professionellen Risikomanagement stehen die finanzielle und strukturelle Risikofähigkeit ganz zuoberst. Der RTD verdichtet diese beiden Dimensionen in einer Kennzahl und misst dabei die Belastung der Risikoträger einer Vorsorgeeinrichtung. Im Klartext heisst das: Je höher der Anteil garantierter Renten, umso höher sind die von den aktiven Versicherten zu tragenden Risiken.
Grosse Differenzen zwischen den Kassen
Der Stiftungsrat muss die künftigen Herausforderungen erkennen und sich klare Vorstellungen über die Risikolage machen. Die Sanierungsfähigkeit einer Pensionskasse kann nur verbessert werden, wenn das Entscheidungsgremium die Gesamtsituation kennt. Die Auswirkungen von Massnahmen und Veränderungen müssen abschätzbar, aber ebenso quantitativ und qualitativ nachvollziehbar sein. PPCmetrics hat in einer Studie bei 261 Schweizer Vorsorgeeinrichtungen per Ende 2015 deutliche Unterschiede zwischen dem risikotragenden Deckungsgrad und dem durchschnittlich ausgewiesenen technischen Deckungsgrad ermittelt. Während der Letztere bei soliden 105,7 Prozent lag, bewegte sich der durchschnittliche RTD um 91,7 Prozent. Das zeigt auf, dass sich nach Ausfinanzierung der laufenden Renten das verbleibende Vermögen im Durchschnitt markant unter der Austrittsleistung der aktiven Versicherten einpendelte. Entscheidend ist, mit welchem technischen Zinssatz eine Pensionskasse kalkuliert. Weil dieser Diskontsatz nicht einheitlich vorgegeben ist, ergeben sich zwischen den einzelnen Kassen grosse Differenzen.
Gleichzeitig hat eine Mehrzahl der Kassen den technischen Zinssatz weiter reduziert. Dieser Ecksatz ist massgebend für das zurückgestellte Kapital während der laufenden Rentenzahlung. Aktuell bewegt sich der technische Zinssatz mehrheitlich zwischen 0,5 Prozent und 2,5 Prozent. Je nach der Höhe dieses Diskontsatzes legen die Vorsorgeeinrichtungen unterschiedlich viel Kapital auf die Seite. Daraus resultieren teils erhebliche Bewertungsunterschiede. Gemäss einer Faustregel führt eine Differenz von 1 Prozent im Diskontsatz zu rund 10 Prozent Unterschied im Deckungsgrad. Im BVG wird eine vorübergehende Unterdeckung toleriert. Sinkt der Deckungsgrad unter 90 Prozent, muss der Stiftungsrat die notwendigen Sanierungsmassnahmen einleiten. Reichen die Zuweisungen an die Pensionskasse nicht aus, um das gegenwärtige Leistungsniveau zu finanzieren, gilt es entweder die Beiträge zu erhöhen oder die Leistungen nach unten anzupassen.
Zu den gängigsten Massnahmen zählt eine vorübergehend niedrigere Verzinsung der Altersguthaben. Unantastbar ist die Mindestverzinsung im Obligatorium der beruflichen Vorsorge von aktuell 1 Prozent. Für das Sparkapital, das über den obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge hinausgeht, gilt dieser Mindestzins nicht. Möglich ist eine Null- oder gar eine Negativverzinsung. Bei dieser Sanierungsvariante trägt der Versicherte die Kosten allein. Bei der 2. Säule werden die Finanzierungsbeiträge meist gleichmässig von den Arbeitnehmern und Arbeitgebern geleistet. Sinnvoll ist deshalb ein paritätischer Sanierungsbeitrag, an dem sich die Sozialpartner zu gleichen Teilen beteiligen.
Massgebliche Kriterien der Oberaufsichtskommission
Unter dem Aspekt eines ganzheitlichen Risikomanagements trägt eine verbesserte Performance entscheidend zur Gesundung einer Vorsorgeeinrichtung bei. Die Anpassung der Anlagestrategie auf höherverzinsliche und risikoreichere Investments verbessert das Zahlenwerk. Die Hebelwirkung ist bei einer erfolgreichen Umstellung der Anlagephilosophie wesentlich grösser als mit den klassischen Sanierungsmassnahmen, wie sie der Gesetzgeber bei einer Unterdeckung erlaubt. Letztlich aber massgebend sind die Beurteilungskriterien der Oberaufsichtskommission berufliche Vorsorge. Der Regulator analysiert die Pensionskassen anhand der vier Risikodimensionen Deckungsgrad, Zinsversprechen, Sanierungsfähigkeit und Anlagestrategie.