Damit sollen zusammen mit der ersten Säule rund 60 bis 70 Prozent des Bruttojahreslohnes abgedeckt werden, um die Weiterführung der bisherigen Lebenshaltung zu ermöglichen. Aber aufgepasst: Trotz langjähriger Bezahlung von BVG-Beiträgen stehen Teilerwerbstätige bei Eintritt einer Teilerwerbsunfähigkeit häufig ohne jegliche Leistungen der beruflichen Vorsorge da und erhalten überhaupt keine BVG-Rente. Die Berechnungsmethode des Invaliditätsgrads für eine BVG-Rente lässt Teilzeiterwerbende durch die Versicherungsmaschen fallen. Die zugrundeliegende Problematik ist den wenigsten bekannt. Hier besteht Beratungsbedarf und -potenzial, um solche drohenden Deckungslücken von Teilzeitlern in der beruflichen Vorsorge aufzufangen.
Autor:
Christian Haag, RA lic. iur., Fachanwalt SAV Haftplicht- und Versicherungsrecht, Häfliger Haag Häfliger AG, Luzern, www.anwaltluzern.ch
Koordinationsabzug bringt Nachteile
Vielen ist bekannt, dass Teilzeitangestellte mit mehreren Jobs bei der Pensionskasse schlechter gestellt sind. So erhält, wer mit zwei oder mehr Teilzeitjobs gesamthaft 50’000 Franken verdient, unter dem Strich weniger Pension als jemand mit demselben Einkommen eines einzigen Arbeitgebers. Schuld daran ist der sog. Koordinationsabzug.[1]
Wie einleitend festgestellt, ist das allerdings nicht der einzige Nachteil des Arbeitsmodelles Teilzeit. So wird die Tatsache, dass sich bei einer Teilarbeitsunfähigkeit der Invaliditätsgrad im BVG anders als in der IV oder der Unfallversicherung berechnet, den meisten neu sein.
Dazu ein vereinfachtes Rechenbeispiel mit folgender Ausgangslage:
Vor der Erkrankung übt eine versicherte Person ein 80-Prozent-Pensum aus (häufig begründet mit einer guten Work-Life-Balance, familiären Verpflichtungen, Kindererziehung oder Weiterbildungen). Nach der Erkrankung ist aus gesundheitlichen Gründen nur noch ein 50-Prozent-Pensum möglich.
Je nach Sozialversicherung wird nun der Invaliditätsgrad unterschiedlich berechnet und führt damit zu zum Teil stossenden Ergebnissen:
Für den IV-Grad im Erwerb rechnet die IV das 80-Prozent-Pensum zuerst auf ein 100-Prozent-Pensum hoch und vergleicht dieses mit dem 50-Prozent-Pensum, das aufgrund der eingetretenen Invalidität noch erzielbar ist. Erzielte die Betroffene in ihrem Erwerbspensum bei voller Gesundheit von 80 Prozent einen Jahreslohn von 60’000 Franken, würde ihr Einkommen ohne Gesundheitsschaden (bei einem 100-Prozent-Pensum) 75’000 Franken betragen. Ist die betroffene Person mit dem Gesundheitsschaden nur noch in einem 50-Prozent-Pensum arbeitsfähig, beträgt der mögliche Lohn 37’500 Franken. Damit ergibt sich eine Erwerbseinbusse von 37’500. Damit entspricht der Invaliditätsgrad im Erwerbsbereich 50 Prozent. Dazu kommt die Einschränkung im Aufgabenbereich Haushalt, die oft tiefer ist. In der Regel resultiert mit dieser «gemischten Methode» eine Viertelrente oder eine halbe Rente der IV (erste Säule).
Hohe Einbussen für Teilzeitkräfte
Anders ist die Berechnung des IV-Grads in der Pensionskasse: Das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person durch die Teilerwerbstätigkeit erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre, wird nicht auf eine Vollerwerbstätigkeit hochgerechnet. Stattdessen wird das Pensum, das mit der Invalidität noch möglich ist (in unserem Fallbeispiel 50 Prozent), mit dem Pensum vor der Erkrankung verglichen (vorliegend 80 Prozent). Konkret heisst das für unseren Beispielfall, dass die Teilerwerbstätige 30 Prozent von den einstmals 80 Prozent einbüsst. Das ergibt eine Erwerbseinbusse von 37,5 Prozent, was dem BVG-Invaliditätsgrad entspricht. Nötig für eine Viertelrente wären aber 40 Prozent. Bei einem vormaligen Arbeitspensum von 80 Prozent und einer Arbeitsunfähigkeit von 50 Prozent wird folglich regelmässig überhaupt keine Rente der obligatorischen beruflichen Vorsorge bezahlt.
Diese Gerichtspraxis diskriminiert systematisch Frauen, denn diese sind hauptsächlich die Teilzeiterwerbstätigen. Und dennoch wird diese Berechnungspraxis vom Bundesgericht auch jüngst bestätigt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde deswegen bislang noch nicht angerufen, aber eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonventionen wäre rügenswert.
Berater und Broker sollten Teilzeiterwerbstätige auf diese Problematik aufmerksam machen. Individuelle, versicherungsmässige Verbesserungen sind gefragt. Private Erwerbsunfähigkeitsversicherungen mit einer tieferen Rentenschwelle (z. B. Leistungen schon ab 25 Prozent IV-Grad) sind sinnvoll. Prüfenswert sind ebenso Versicherungslösungen, welche den Erwerbsunfähigkeitsgrad anders als die IV rechnen, also nur bezogen auf den Erwerbsteil (sog. Berufsinvalidität). Solche Versicherungslösungen können die derzeit bestehenden Nachteile Teilerwerbstätiger bei der zweiten Säule ausgleichen oder zumindest abschwächen. Die Thematik und die dahinterliegende, geschilderte Problematik ist den meisten Teilerwerbstätigen nicht bekannt, weshalb darauf hinzuweisen ist. Zudem sollte – wo möglich – eine Anpassung des Koordinationsabzugs geprüft werden. Dies ändert zwar nicht die Berechnung des IV-Grads, aber es schwächt den Nachteil des tieferen Teilzeiteinkommens immerhin bei den Leistungen ab. Eine umfassende Beratung über entsprechende Zusatzversicherungen ist wichtiger denn je, denn Teilzeitpensen nehmen zu, und damit auch die drohenden Versicherungslücken.