Im digitalen Zeitalter von Amazon, Netflix und Co. hat sich die Anspruchshaltung der Kunden rapide verändert. Diese erwarten nun nichts weniger als hochgradig personalisierte Dienstleistungen und proaktive Interaktionen – zunehmend auch von ihrem Versicherer. Für die Letzteren birgt dies die Herausforderung, dass die wenigen Kundenkontakte als so gut wahrgenommen werden müssen, dass sie zur Weiterempfehlung durch die zufriedenen Kunden führen. Wie sonst sollte nachhaltiges Wachstum in einem stark gesättigten Markt auch möglich sein?

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Talent-Management-Programm «CAS Future of Insurance» 

Nils Hafner und Florian Schreiber sind Co-Studienleiter des neuen IFZ-Weiterbildungslehrgangs CAS Future of Insurance, der im März 2021 erstmalig durchgeführt wird. Online-Infoabende für den CAS Future of Insurance finden am 13. Januar 21, 27. Januar 21 und am 10. Februar 21 statt.
 

Wenige direkte Berührungspunkte in der Kundenbeziehung

Ein vom Versicherer verzögert abgewickelter Schaden oder eine aus Sicht der Kunden ungerechtfertigte Ablehnung von Leistungsansprüchen kann für den Anbieter in Zeiten der Digitalisierung und sozialen Medien zu einem rufschädigenden Problem werden. Seit je stehen Versicherer in nahezu allen Sparten – mit Ausnahme der Krankenversicherung – vor dem Problem, dass sie nur spärlichen Kontakt mit ihren Kunden haben. Erschwerend kommt noch hinzu, dass diese Kontakte zumeist auch problembehafteter Natur sind. Tritt kein Schaden oder Leistungsfall ein, sind lediglich der Zeitpunkt, an welchem ein Kunde ein Angebot anfordert bzw. die Erneuerung der Police ansteht, sowie der Moment der Prämienbegleichung die beiden wenigen direkten Berührungspunkte in der Kundenbeziehung. Dies führt in vielen Fällen mitunter dazu, dass die Kunden sich fragen, wofür sie eigentlich genau ihre Prämie entrichtet haben. 

Altsysteme bremsen aus

Nun wäre leicht anzunehmen, dass Versicherer jahrzehntelang eine Vielzahl an Daten über ihre Kunden gesammelt haben und dieses Wissen nun einsetzen können, um deren Anliegen und Bedürfnisse besser zu verstehen bzw. zu antizipieren. Das zentrale Problem ist jedoch, dass bei vielen Versicherern noch immer Altsysteme vorherrschen und diese in einer Zeit der Produktzentrierung entwickelt wurden. Für die heute geforderte Kundenzentrierung fehlen trotz der grossen Datengrundlage daher oftmals die relevanten Verknüpfungen zwischen Policen und tiefergehenden Informationen über die Kunden, wie beispielsweise deren Präferenzen, deren Verhalten oder deren sozioökonomischem Status. Die Konsequenz ist neben einem erschwerten Zugang zu den einzelnen Daten die Existenz verschiedener Identitäten eines Kunden, der mehrere Policen hält.

Vormarsch der Neoversicherer

Der zunehmende Vormarsch der sogenannten Neoversicherer macht die Gemengelage nicht einfacher. Die neue Konkurrenz verfolgt einen digitalen Plattformansatz, der es ihr erlaubt, ihre Produkte und Services für die Kunden digital erlebbar zu machen. Solche positiven Erlebnisse resultieren nicht selten in häufigeren digitalen Interaktionen und erlauben den Insurtechs die weitere Verfeinerung ihres Produkt- und Serviceangebots. Teodoro Martino, einer der Gründer der Wefox Group, hat die potenziellen Auswirkungen auf die etablierten Versicherer jüngst korrekt auf den Punkt gebracht: «Der Kuchen bleibt immer gleich gross. Wenn neue Player in den Markt kommen, müssen andere ein Stück abgeben.»

Die goldene Regel

Wie können klassische Anbieter sich in der digitalen Welt nun entwickeln und ihre Kunden langfristig erfolgreich an sich binden? Schliesslich wacht niemand frühmorgens gut gelaunt auf und denkt sich: «Yeah, heute darf ich mit meinem Versicherer reden.» Die goldene Regel besagt, dass Kundenkontakte einfach, schnell und komplikationslos sein müssen. Für Versicherer ist das Potenzial, sich über guten Kundenservice zu profilieren, also denkbar gering. Demgegenüber steht das hohe Risiko, Kunden durch schlechte bzw. falsch wahrgenommene Erlebnisse zu verärgern. Wenig Raum für Fehler also und an und für sich eine prädestinierte Möglichkeit für den Einsatz einer hochgradigen Automatisierung. Problem dabei ist nur, dass standardisierte Erlebnisse nach wie vor das Bild des austauschbaren Problemlösers verfestigen. 

Ökosysteme als Lösung?

Eine denkbare Lösung zur Verbesserung der spärlichen Kundeninteraktion ist der Aufbau oder die Partizipation an Ökosystemen. Gemäss der IFZ Versicherungsstudie 2020 steht dies bei vielen Schweizer Versicherern auch ganz oben auf der Agenda. Erst im Dezember führte der scheidende Konzernchef der Mobiliar, Markus Hongler, im Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» aus, dass gerade sein Unternehmen stark in den Aufbau eines Ökosystems rund ums Wohnen investiert. Nur stellt sich in diesem Zusammenhang zwangsläufig die Frage nach dem Orchestrator eines solchen Ökosystems. Sollten alle Versicherer diese Rolle für sich beanspruchen, finden sie dann überhaupt genügend Partner? Ökosysteme funktionieren dann gut, wenn Anbieter sich gegenseitig mit ihren jeweiligen Fähigkeiten komplementieren und hierdurch einen grösseren wirtschaftlichen Wert liefern, als dies durch eine autonome Bereitstellung möglich gewesen wäre (Swiss Re Institute 2019, «Digital Ecosystems: Extending the Boundaries of Value Creation in Insurance»). Damit es zu genügend Weiterempfehlungen in der relevanten Gruppe kommt, sollten mindestens 5000 Kunden in einer Sprache von einem Ökosystem profitieren können. Das ist in einem Land wie der Schweiz mit vier Landessprachen und lediglich etwa acht Millionen Einwohnern alles andere als einfach.  

Ikea und Chubb machen es vor

Integrieren sich Versicherer hingegen in Ökosysteme, die von branchenfremden Unternehmen orchestriert werden, stellt sich erneut die Frage nach der Verteidigung der Kundenschnittstelle. Im Positionierungswettkampf mit den orchestrierenden Handelsunternehmen oder Banken laufen Versicherer schnell Gefahr, zur austauschbaren Commodity zu werden. Jüngst haben jedoch einige Beispiele gezeigt, dass die Ausrichtung als «Abwickler oder Rückversicherer» durchaus profitabel sein kann. Im B2B-Segment ist beispielsweise die Kooperation zwischen Iptiq und Ikea mit dem Angebot Hemsäker zu nennen. Einen anderen Weg geht in diesem Zusammenhang der Industrie-Versicherer Chubb  der vor kurzem den Webstore Chubb Studio als «Digital Insurance in a box» präsentiert hat: Dieser erlaubt Partnern wie beispielsweise Banken oder Handelsunternehmen, die Produkte, die sie anbieten wollen, in einer Art Webstore mit vordefinierten Inhalten, Angeboten und API-Schnittstellen nach dem «Plug and Play»-Prinzip zu beziehen. Einfacher, schneller und industrieller sind bislang wenige Lösungen.