Im nächsten Jahr feiert das BVG einen runden Geburtstag. Das wäre eigentlich ein Grund zum Feiern. Die zweite Säule des Schweizer Rentensystems, die berufliche Vorsorge (BVG), ist seit ihrer obligatorischen Einführung 1985 ein zentraler Pfeiler der Altersvorsorge - und wird international hoch angesehen. Ihr Ziel ist es, zusammen mit der ersten Säule (AHV) den Versicherten den gewohnten Lebensstandard im Alter zu sichern. Aber: Trotz oder gerade wegen dieser grossen Bedeutung ist das BVG immer wieder Gegenstand intensiver politischer Debatten und Reformbestrebungen. Wichtige Volksabstimmungen zur Reform des BVG sind aber regelmässig gescheitert. Ein eher unrühmliches rundes Jubiläum: Seit der 1. BVG-Revision 2004 - also seit 20 Jahren - ist die zweite Säule eine Baustelle, die nicht wirklich vorankommt, wie ein Rückblick zeigt. 

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2010: Senkung des Umwandlungssatzes scheitert krachend

Am 7. März 2010 wurde über die Anpassung des Mindestumwandlungssatzes abgestimmt. Im Zuge der 1. BVG-Revision - die in drei Etappen vollzogen wurde - war bereits eine Anpassung im Gange, die bis 2014 zu einem Satz von 6,8 Prozent für Frauen und Männer führte. Mit der neuen Vorlage sollte der Mindestumwandlungssatz für neue Renten ab 2016 bei 6,4 Prozent festgesetzt werden. 

Dieses Vorhaben scheiterte beim Schweizer Stimmvolk damals krachend. Die Vorlage wurde mit 72,7 Prozent Nein-Stimmen versenkt, im Jura stimmten sogar 84 Prozent dagegen. Der Bundesrat sowie die bürgerlichen Parteien und die Wirtschaftsverbände mussten damit eine schwere Niederlage einstecken. Während SP, Grüne und Gewerkschaften erfolgreich mit dem Schlagwort «Rentenklau» punkteten, verfingen die Argumente der Befürworter, dass die Senkung wegen der gestiegenen Lebenserwartung und gesunkenen Renditeaussichten notwenig sei, in keinster Weise.

 

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Reform der Altersvorsorge 2020: Ein grosser Rückschlag

Mit dem wichtigen Grossprojekt «Reform der Altersvorsorge 2020», das 2017 zur Abstimmung kam, sollte dann endlich der grosse Wurf gelingen. Die Doppelvorlage war das erste Projekt, mit dem die 1. und die 2. Säule gleichzeitig reformiert werden sollte. Kernpunkte der Reform waren die Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65 Jahre, die Senkung des Umwandlungssatzes im BVG von 6,8 Prozent auf 6 Prozent sowie eine Erhöhung der AHV-Renten als Ausgleichsmassnahme. Aber auch dieser Reformversuch entpuppte sich als Rohrkrepierer und war für den Bundesrat und die Parlamentsmehrheit eine schallende Ohrfeige. 

Am 24. September 2017 lehnten 52,7 Prozent der Stimmberechtigten die Reform ab. Die Abstimmung zeigte die Schwierigkeit auf, eine Balance zwischen den unterschiedlichen Interessen zu finden. Während Gewerkschaften und linke Parteien die Senkung des Umwandlungssatzes ablehnten, empfanden bürgerliche Kreise die geplante AHV-Rentenerhöhung als unnötige Belastung der Sozialwerke. Das Reformvorhaben scheiterte somit an einem breiten Spektrum an Widerständen, das von beiden politischen Lagern getragen wurde. Alain Berset und der Bundesrat hatten es nicht geschafft, eine Mehrheit für die umfassende Rentenreform zu gewinnen, welche erstmals die AHV und die berufliche Vorsorge in einem Massnahmenpaket zusammenbrachte.

Der nächste Anlauf

Am 17. März 2023 verabschiedeten National- und Ständerat die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG-Reform) mit dem Ziel, die Finanzierung der 2. Säule zu stärken, das Leistungsniveau zu erhalten und Teilzeitbeschäftigte besser abzusichern. Kernelemente der Reform sind die Senkung des BVG-Umwandlungssatzes von 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent, eine Reduktion des Koordinationsabzugs, eine Glättung der BVG-Altersgutschriften, die Senkung der Eintrittsschwelle in die Pensionskasse sowie entsprechende Kompensationsmassnahmen. Linke und Gewerkschaften liefen Sturm gegen die BVG-Reform und reichten umgehend das Referendum ein. Mehr als 140’000 Unterschriften kamen zusammen. Die Reformvorlage steht nun am 22. September zur Abstimmung, der politische Schlagabtausch ist längst im Gange. In welche Richtung wird das Pendel diesmal ausschlagen? 

Es steht jedenfalls wieder einmal viel auf dem Spiel. Die wiederholte Ablehnung von Reformvorlagen zur beruflichen Vorsorge zeigt, dass die Bevölkerung in Bezug auf das BVG besonders sensibel reagiert. Bislang gelang es nicht, einen Kompromiss zu finden, der von einer Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert wurde. 

Die Zeit läuft davon

Die steigende Lebenserwartung und die damit verbundene längere Rentenbezugsdauer setzen das BVG derweil immer stärker unter Reformdruck. Seit 1985 ist die durchschnittliche Lebenserwartung bei Frauen um fast 5 Jahre und bei Männern um rund 8 Jahre gestiegen. Zudem haben sich die Erwerbsbiographien in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark verändert, hin zu mehr Teilzeit- und Mehrfachbeschäftigung oder Selbständigkeit. 

Die neue BVG-Vorlage ist sicherlich kein grosser Wurf - aber sie ist ein Schritt in die richtige Richtung, ein Kompromiss. Ob das Stimmvolk dies auch so sieht, ist ungewiss. Bei einem Nein würde die Baustelle für viele Jahre weiter bestehen bleiben - und die Probleme nur vertagt werden. Aber eines ist klar: Die Zeit läuft eher schnell als langsam davon.