In der Schweiz ereignen sich Erdbeben mit einer gefährlichen Stärke um eine Magnitude von sechs durchschnittlich nur alle fünfzig bis hundert Jahre - aber Erdbeben zählt dennoch zu einem der grössten Risiken. Immerhin erlebt statistisch gesehen jede Person in der Schweiz im Laufe ihres Lebens mindestens ein Erdbeben, das ernste Schäden verursacht. Deshalb stand die Paneldiskussion der Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen (VGK) im Rahmen der Swissbau 2024 vergangene Woche in Basel nicht von ungefähr unter dem Titel «Erdbeben – wie gut ist die Schweiz vorbereitet».

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Risiken abschätzen

In seinem Eingangsreferat umriss Stefan Wiemer, Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes (SED) an der ETH Zürich, das Gefahrenpotenzial: Neben Strommangellage, Grippe-Pandemie, Ausfall Mobilfunk und Hitzewelle zählt ein Erdbeben zu den fünf grössten Risiken in der Schweiz. Anhand des Erdbebenrisikomodells, das der Schweizerische Erdbebendienst (SED) an der ETH Zürich zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt (BAFU), dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS), der EPFL und weiteren Partnern aus der Industrie entwickelt hat, ist es mittlerweile möglich, die Folgen von Erdbeben auf Personen und Gebäude umfassend abzuschätzen. 

Wichtige Grundlagen erstellt

Wiemer wartete mit Zahlen auf: Würde ein Erdbeben der Magnitude sechs die Bundesstadt Bern treffen, dann gäbe es mit hoher Wahrscheinlichkeit rund 400 Todesopfer zu beklagen, mehr als 60’000 Menschen wären schutzsuchend und die Kosten für Gebäudeschäden lägen bei rund 11 Milliarden Franken. Grundsätzlich wären in der Schweiz vor allem Gebiete betroffen, in denen viele Menschen und verletzliche Gebäude auf einem schlechten, weichen Untergrund zusammenkommen - wie zum Beispiel in Basel, Genf, Zürich, Luzern und eben Bern. «Das nächste grosse Beben kommt bestimmt», schloss Wiemer sein Referat. Das Erdbebenrisikomodell schaffe aber wichtige Grundlagen, um besser darauf vorbereitet zu sein und das Risiko abschätzen zu können. 

Gemeinsames Verständnis schaffen

Anschliessend zeigte Blaise Duvenay, Leiter des Fachbereichs Erdbeben beim Bundesamt für Umwelt (BAFU) das integrale Risikomanagement auf, das aktuelle Grundlagen, erdbebengerechtes Bauen, Vorbereitung der Bewältigung und Finanzierungslösung für den Wiederaufbau umfasst. Erdbebengerechtes Bauen sei in den 90er Jahren noch ein exotisches Thema gewesen,«seitdem sind grosse Fortschritte gemacht worden», betonte er. Bei der Bewältigung eines Ereignisses gebe es aber noch grossen Handlungsbedarf und es sei wichtig, ein gemeinsames Verständnis unter den verschiedenen beteiligten Akteuren zu schaffen. Zudem werde auf politischer Ebene noch immer nach einer Lösung gesucht, woher das Geld für einen möglichen Wiederaufbau kommen könne.

Umfassende Daten 

Thomas Kühni, Geschäftsleiter der Schadenorganisation Erdbeben (SOE), stellte die Public-Private-Partnership-Organisation vor, der alle 26 Kantone sowie 19 Gebäude- und 9 Privatversicherungen angehören. Die im Auftrag entwickelte IT-Plattform ist einsatzbereit, mit neuen mobilen Applikationen können Expertinnen und Experten nach einem Erdbeben sämtliche Schäden und Informationen zu einem Ereignis schnell aufnehmen und die Kosten für den Wiederaufbau einschätzen. Die Schadenorganisation kann den zuständigen Behörden und der Assekuranz somit Gebäude-Daten für die Schadenbeurteilung zur Verfügung stellen und ist in der Lage, innerhalb eines Jahres bis zu 300’000 Schadenschätzungen zu erstellen. Die Schadenschätzungen bilden wiederum die Grundlage für Finanzhilfen des Bundes, die Auszahlung von Hilfsgeldern und die Berechnung und Auszahlung von Versicherungsleistungen. 

Eventualverpflichtung Erdbeben 

Trotz aller Fortschritte: Im Falle eines schweren Erdbebens ist die Schweiz bei der Finanzierung des Wiederaufbaus laut VKG kaum vorbereitet. Mehr als 85 Prozent der Geäudeeigentümerinnen und -eigentümer stehen ohne Versicherungsdeckung da. Eine mögliche Lösung stellt die Eventualverpflichtung Erdbeben (EVV) dar, die David Gerber, Sektionsleiter Versicherungen und Risiken beim Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF), vorstellte. Diese ist derzeit beim Bundesrat in der Vernehmlassung und sei seiner Einschätzung nach derzeit die bestmögliche und kostengünstigste Lösung, welche fast alle Gebäudeeigentümer abdeckt. Diese zahlen nur, wenn Erdbeben mit Schäden aufgetreten sind - einen Maximalbetrag von 0,7 Prozent des Gebäudeversicherungswertes. Damit stünden aktuell rund 22 Milliarden Franken für die Deckung von Schäden an Gebäudeeigentum zur Verfügung.

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Lösung stösst auf Kritik

Bis die EVV kommt, kann allerdings noch einige Zeit vergehen, denn diese benötigt eine Verfassungsänderung. Zudem trifft sie nicht überall auf Gegenliebe: Ein gewichtiger Marktplayer wie der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) lehnt den Vorschlag ab, da er unter anderem unvollständig sei, wie eine zusätzliche Steuer wirke und die Risiken mittels Risikotransfer bereits heute in den globalen Rückversicherungsmarkt diversifiziert werden könnten. Die Gegensätze sind also gross - ob sie unüberbrückbar sind, wird sich zeigen.