Herr Beer, Sie sind seit fast vier Jahrzehnten bei der Zurich und haben vom Lernenden zum CEO eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Wäre so etwas heute noch möglich bei der Zurich?
Vielen Dank für die Bilderbuchkarriere. De facto sind es 38 Jahre in 2025 und ich fühle noch den gleichen Stolz und Enthusiasmus wie damals, als ich zum ersten Mal unser Hauptgebäude betrat. Als ich meine Lehre begann, hatten wir noch das «ü» im Namen. Es ist viel Zeit vergangen, aber Zurich ist ein grossartiges Unternehmen mit einer einzigartigen Kultur geblieben. Es dürfte kein Zufall sein, dass wir eine gewisse Tradition haben, aus Lernenden viele Jahre später Mitglieder der Geschäftsleitung oder gar CEO's zu machen. Wir investieren auch heute viel in die Fähigkeiten und in die individuellen Profile unserer Mitarbeitenden. Somit sollte der Weg nach wie vor möglich sein, auch wenn die Anforderungen hoch sind.
Juan Beer ist seit Februar 2018 Chief Executive Officer (CEO) von Zurich Schweiz. Er stiess 1987 als Lernender zu Zurich und besetzte seit dann unterschiedliche lokale und globale Positionen in der Gruppe in den Bereichen Underwriting, Verkauf und Relationship Management, sowie in der Führung von Markt- und Kundensegmenten.
Hat es Sie nie gereizt, mal eine andere Branche kennenzulernen?
Mit dem Eintritt in das internationale Geschäft direkt nach der Lehre konnte ich schon in jungen Jahren grosse und multinationale Unternehmen in verschiedenen Branchen bei deren Expansionsplänen begleiten und diese in der Tiefe kennenlernen. Zurich war schon damals die führende Marke in diesem Segment und ich habe früh realisiert, dass sich mit harter Arbeit, Talent und viel Geduld eine Vielzahl an Möglichkeiten ergeben könnten.
Zwischenzeitlich bin ich in meiner elften Position in der Gruppe angekommen und bin in der Versicherungswelt zu Hause. Ich habe ein grosses Netzwerk, viele Freunde, ein unglaubliches Team und die Möglichkeit, jeden Tag etwas Nobles zu erbringen, Menschen und Unternehmen zu unterstützen, ihre Risikolage zu verbessern und ihre Ziele zu erreichen.
Welche sind die prägendsten Veränderungen, die Sie in dieser Zeit im Unternehmen erlebt haben?
Als global ausgerichtetes Unternehmen gehören Veränderungen und Innovation zu unserer DNA. Demzufolge konnte ich in all den Jahren mehrere Versionen des Unternehmens erleben und teilweise mitprägen. Auch wenn nicht immer alles perfekt war, hat es jede einzelne Phase gebraucht, um hier anzukommen, wo wir heute stehen - ein Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von über 70 Milliarden Franken. Das Geschäft zu betreiben ist heute aufgrund der hohen rechtlichen und regulatorischen Anforderungen wesentlich komplexer.
Der Markt ist kompetitiver und dynamischer, die Kundenerwartungen höher. Mit der Erfindung des Internets Mitte der 90er Jahre wurde die Art und Weise das Geschäft zu betreiben fundamental verändert. In den Büros ist kaum noch Papier zu finden und wir arbeiten hybrid. Generaldirektoren, Direktoren und Prokuristen geniessen keine besonderen Privilegien mehr, teilweise sind die Titel verschwunden. Es braucht keine 10 Jahre Betriebszugehörigkeit und einen Apéro für das «Du», das ist heute Teil unserer Kultur über alle Ebenen hinweg.
Als global ausgerichtetes Unternehmen gehören Veränderungen und Innovation zu unserer DNA.
Juan Beer
Smartphones und Internet waren in Ihren Anfangsjahren noch weit weg. Leben wir jetzt in der spannendsten aller (Versicherungs-)Zeiten?
(lacht) Ich weiss nicht, ob das Smartphone die «Versicherungszeiten» spannender gemacht hat. Ich weiss nicht einmal, ob das wünschenswert wäre. Unsere Aufgabe ist es, für das Gegenteil zu sorgen: Entspannung. Privat und beruflich richtig geschützt zu sein, lässt Menschen nachts gut schlafen. Wir sind eine unaufgeregte Branche, die ihre Kundinnen und Kunden vor unnötiger Aufregung und bösen Überraschungen schützt. Das ist gut so.
Was Internet und Smartphone aber sicher gebracht haben ist mehr «Convenience». Vieles ist praktischer, bequemer und rascher geworden. Einfache Versicherungslösungen können in wenigen Minuten selber gesucht, verglichen und teilweise abgeschlossen werden. Für die Generation, die mit dem Handy aufgewachsen ist, sind solche Dienstleistungen unerlässlich.
Sie wollen mit der Zurich Schweiz weg vom traditionellen Versicherer hin zu nachhaltigeren Kundenbeziehungen durch mehr Beratung. Ist dieser strategische Wandel nicht etwas zu radikal?
Vielmehr als radikal ist dieser Wandel notwendig. Menschen stehen zum Beispiel vor der Herausforderung der Kombination von Langlebigkeit und Druck auf den Vorsorgesystemen. Das individuelle Vorsorgen wird an Bedeutung zulegen. Unternehmen sehen sich wandelnden und neuen Risiken ausgesetzt. Die geopolitische Lage führt zu einem Radikalumbau der globalen Lieferketten-Architekturen, weltweit erreichen die gesamtwirtschaftlichen Schäden aus Naturereignissen über 280 Milliarden US-Dollar, mit der Generativen Künstlichen Intelligenz verändern sich Cyber-Risiken, das Haftungsumfeld wird komplexer.
Der historische Produkteansatz ist somit obsolet. Daher gehen wir weg vom Produktevertrieb und hin zu einer holistischen und digital unterstützten 360°-Beratung. In den letzten sieben Jahren haben wir sehr viel in das Fundament dafür investiert und wir haben heute die organisatorische Reife, diesen Schritt strukturiert und orchestriert anzugehen. Unsere Industrie steht für das Konzept des «Abschlusses». Das klingt schon fast, als würde man danach nichts mehr damit zu tun haben wollen.
Im Kern unserer Strategie steht nicht mehr der «Abschluss» sondern der «Beginn und die Vertiefung von Beziehungen». Dieser Wandel geht auch einher mit der absoluten Durchlässigkeit der Kanäle. Genau dafür haben wir uns in den letzten Jahren strategisch positioniert, mit unseren Generalagenturen, mit Brokern, im Partnerschaftsgeschäft und in Direct & Digital.
Unsere Kultur ist heute stark und beruht auf einer gemeinsamen Ambition, Klarheit, Transparenz und Vertrauen.
Juan Beer
Wie nehmen Sie die Mitarbeitenden und vor allem den Aussendienst mit an Bord?
Auch hier haben wir in den letzten sieben Jahren viel investiert und ich fühle mich privilegiert, eine Organisation führen zu dürfen, die schon heute auf einem sehr hohen Niveau operiert. Kolleginnen und Kollegen im Innen- und Aussendienst zeigen mir jeden Tag, dass sie bereit sind, für unseren Kundinnen und Kunden und für Zurich die Extrameile zu gehen. Unsere Kultur ist heute stark und beruht auf einer gemeinsamen Ambition, Klarheit, Transparenz und Vertrauen.
Wir haben das aktuelle Kapitel gemeinsam geschrieben und wir schreiben auch das nächste gemeinsam. Wir alle wissen, dass wir uns verändern müssen, dass Erfolge aus der Vergangenheit kein Garant sind für zukünftige. Die Nachhaltigkeit unseres Erfolges beginnt mit dem absoluten Fokus auf unsere Kundinnen und Kunden in unseren Zielsegmenten und mit der Fähigkeit, über die richtigen Kompetenzen und über Vertrauen echte Beziehungen zu etablieren.
Wie setzen Sie die digitale Transformation in Ihrem Unternehmen um - und welche Vorteile bringt dies für die Kundinnen und Kunden mit sich?
Mit der absoluten Klarheit, dass sich unsere Strategie um Menschen und Unternehmen und ihre Lebens- und Risikosituationen dreht, setzen wir mit der digitalen Transformation auf die Verbesserung unserer Effizienz, Effektivität und Agilität. Die digitale Transformation ist also nicht unsere Strategie, sondern ein zentraler Baustein, um die Umsetzung unserer Strategie zu ermöglichen. Unsere digitale Transformations-Roadmap startet bei unseren Kundinnen, Kunden und Geschäftspartnern. Kundinnen und Kunden wählen den Eingang in die Zurich-Welt, unsere Beratung wird professioneller, der Umgang mit uns unkomplizierter und rascher.
Auf welchen Sparten oder Branchen liegt Ihr besonderer Fokus?
Wir sind ein Allbranchen-Versicherer und daran will ich nichts ändern. Die Veränderung erfolgt über die strukturierte und orchestrierte Beratung sowie Loyalisierung unserer Kundenbeziehungen über Geschäftssparten hinweg. Wir betreiben Nichtleben und Leben und haben über Zurich InvestAG auch die nötigen Fähigkeiten im Asset Management. Das ist eine optimale Ausgangslage für unseren Wandel.
Sie sind seit 2018 CEO der Zurich Schweiz. In dieser Zeit ist das Nichtlebengeschäft um über 16 Prozent gewachsen, der Kostensatz um fast ein Viertel gesunken. Wie haben Sie das geschafft?
Im Zentrum meiner Überlegungen standen damals und stehen heute eine grosse Ambition, eine differenzierende Kultur, eine zukunftsorientierte Strategie, klare Prioritäten und der unermüdliche Fokus auf Kunden- und Vertriebsexzellenz sowie auf operative Effizienz, Effektivität und Agilität. Das braucht sehr viel Energie, Mut, Entschlossenheit, Disziplin und Präzision. Der Erfolg war und ist abhängig von der Reaktion und der Leistung der Organisation. Das «Dorf» Zurich Schweiz hat mir immer wieder bewiesen, dass es bereit ist, Grosses zu leisten. Wir haben gemeinsam grosse Herausforderungen gemeistert, unter anderem eine Pandemie und die Folgen einer Inflation. Das gibt mir Energie und Zuversicht für die Zukunft.
Wo sehen Sie derzeit die drei grössten Herausforderungen für die Zurich Schweiz - und wie wollen Sie diesen begegnen?
Die grösste Herausforderung ist wohl, dass das einzige Stabile die konstante Instabilität ist. Das eröffnet uns Herausforderungen und Opportunitäten zugleich. Ich spreche von einer Welt im geopolitischen und makroökonomischen Umbruch, von deutlichen Signalen des Planeten, dass Nichtstun keine Option ist, von der Kluft zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, mit der Generativen Künstlichen Intelligenz von einem neuen Kapitel des technologischen Fortschritts, und von der vorhersehbaren Koexistenz zwischen alten und neuen Formen der Mobilität.
Die Grenzen der Versicherbarkeit werden teilweise auf die Probe gestellt. Auf Historisches zurückzugreifen reicht nicht mehr. Wir brauchen neue Fähigkeiten, um Risikoveränderungen zu verstehen, und eine neue Art des Dialoges mit unseren Kundinnen und Kunden. Genau darauf ist unsere Strategie ausgerichtet.
Die grösste Herausforderung ist wohl, dass das einzige Stabile die konstante Instabilität ist.
Juan Beer
Sie äussern sich immer wieder zu den Grenzen der Versicherbarkeit, vor allem bei Toprisiken wie Klimawandel, Cyberrisiken oder Erdbeben. Warum liegt Ihnen dieses Thema so am Herzen?
In erster Linie geht es mir dabei um die Notwendigkeit eines neuen Risikodialoges zwischen Privatwirtschaft und Staat. Diese Risiken sind bekannt und teilweise leider schon getestet. Dennoch tun wir uns sehr schwer damit, gemeinsam nachhaltige Lösungen zu diskutieren, losgelöst von politischen Interessen und ganz im Sinne des Schutzes unseres Wohlstands. Das schulden wir der Gesellschaft und den zukünftigen Generationen. Wir sollten keine offenen Rechnungen hinterlassen.
Dass Risiken nicht nach deren Eintritt finanziert werden sollten, hat uns Covid-19 gezeigt. Der Staat und die Privatwirtschaft haben komplementäre Fähigkeiten und diese gilt es zusammenzubringen, für die vorgelagerte Finanzierung, den Aufbau von Risikokapital und zur fairen und transparenten Abwicklung im Ereignisfall.
Staatlich organisierte «Swiss Finishes», wie die Erdbeben-Eventualverpflichtung, eine eigentliche Nachsteuer zu einem Zeitpunkt, an dem die Bevölkerung ohnehin an ihre Grenzen stösst, können nicht die Antwort sein. Auch geht die aktuell diskutierte Lösung dieses staatlichen Instruments nur auf Gebäude ein.
Gerade für Unternehmen sind die Schäden an Maschinen und Anlagen sowie Betriebsunterbrechungen sehr relevant. Auf globaler Ebene ist die Versicherungswirtschaft bestens mit dem Erdbebenrisiko vertraut und die Mechanismen im Ereignisfall sind eingespielt. In der Schweiz haben wir mit dem Elementarschadenpool ein solides Fundament, welches als Ausgangslage dienen könnte.