Darum geht's
  • Lukas Müller-Brunner, Direktor des Schweizerischen Pensionskassenverbands Asip, betont, dass die primäre Aufgabe der BVG-Reform die Finanzierung von Leistungsversprechen bleibt, während Nachhaltigkeit und Innovation lediglich Mitnahmeeffekte darstellen können.
  • Trotz diverser Kritikpunkte, wie der grosszügigen Zuschüsse für Übergangsgenerationen, spricht sich der Verband für die Reform aus, um die Vorsorge insbesondere für Teilzeit- und Mehrfachbeschäftigte zu stärken.
  • Müller-Brunner warnt vor politischen Begehrlichkeiten, die den Kapitalstock der Pensionskassen zweckentfremden könnten, und fordert stattdessen eine klare Fokussierung auf die primären Ziele der Vorsorgeeinrichtungen.
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Hinsichtlich der BVG-Reform besteht in Ihrem Verband keine einheitliche Meinung. Was genau lehnen die Mitglieder des Asip ab?

Die Reduktion des Mindestumwandlungssatzes mit Anpassung des Sparprozesses ist in der Branche unumstritten. Es gibt sogar Stimmen, die sagen, der Satz müsste noch tiefer gehen, aber das ist politisch nicht realistisch. Die Stärkung des obligatorischen Teils für Teilzeitarbeitende und Mehrfachbeschäftigte, wovon vor allem Frauen profitieren, deren Erwerbsbiografie häufiger Teilzeitarbeit umfasst, ist auch unstrittig. Die Lösung für die Übergangsgenerationen hingegen steht in der Kritik. Denn die Konditionen wurden aus politischen Gründen der Mehrheitsfähigkeit sehr grosszügig gefasst. Pensionskassen, die ihre Hausaufgaben gemacht und die Umwandlungssätze schon längst gesenkt haben, fragen sich, warum sie solche Zuschüsse an die Übergangsgenerationen mitfinanzieren sollen. 

Dennoch sprechen Sie sich für die Annahme der Reform aus.

Die Frage auf dem Abstimmungszettel lautet ja nicht, ob wir im Detail noch eine bessere Idee haben. Stattdessen liegt hier ein politisch geschnürtes Paket vor, und die Gretchenfrage lautet «Ja oder Nein?». In dieser Situation hat die Mehrheit unserer Mitglieder beschlossen, die Reform zu unterstützen. Das heisst aber nicht, dass wir die Kritikpunkte unter den Teppich kehren. Denn wenn man es ernst damit meint, die Vorsorge für teilzeit- und mehrfachbeschäftigte Personen zu stärken, ist diese Reform unbedingt notwendig.

Obwohl das auch bedeutet, dass das Einkommen der Arbeitnehmenden stärker belastet wird?

Kaum jemand zahlt gern mehr. Aber die Versicherten sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Beiträge, die sie in die zweite Säule einzahlen, ihr eigenes Sparkapital bilden. Für jeden eingezahlten Franken erhalten sie mindestens einen weiteren Franken vom Arbeitgebenden dazu und meist auch noch einen dritten Franken über die Rendite, die die Pensionskasse mit der Investition des Geldes am Kapitalmarkt erwirtschaftet. Bezahle einen, erhalte drei – das scheint mir ein unglaublich gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zu sein.

Der Kapitalstock der zweiten Säule in Höhe von 1255 Milliarden Franken kann auch als Hemmnis für Innovationen angesehen werden, da er überwiegend konservativ angelegt werden muss.

Anders als bei der AHV handelt es sich nicht um einen einzigen Kapitalstock, denn jede einzelne Vorsorgeeinrichtung hat ihr individuelles Profil und ist für die Verwaltung des Vermögens selbst verantwortlich. Eine Pensionskasse kann beispielsweise einen sehr hohen Anteil an Rentenbeziehenden und damit faktisch keine Risikofähigkeit haben, sodass sie konservativ anlegen muss, damit sie nicht durch Kapitalmarktschwankungen in eine Unterdeckung fällt. Im Gegensatz dazu kann sich eine Vorsorgeeinrichtung mit vor allem aktiv Versicherten dieses Risiko leisten. Daher geben die Anlagevorschriften zu Recht keine Pauschale vor, sondern setzen lediglich Grenzen über das ganze Universum hinweg. 

Wäre es nicht begrüssenswert, wenn mit diesen Investitionen mehr Innovation und Transformation gefördert würde?

Das in der zweiten Säule angesparte Geld hat bereits eine Bestimmung, und zwar die Finanzierung von Leistungsversprechen. Das ist immer der primäre Zweck, wie es explizit auch gesetzlich festgelegt ist. Die gesetzliche Absicht ist der einzige Grund, warum eine Vorsorgeeinrichtung überhaupt am Kapitalmarkt anlegt. Sie will eine Rendite erzielen, um ihr Leistungsversprechen zu finanzieren – und das auf eine Art, die zu ihrem Risikoprofil passt. Aber was auf jeden Fall verhindert werden muss, ist eine Umkehrung des Prinzips.

Wie meinen Sie das?

Teilweise habe ich den Eindruck, dass der Kapitalstock der Pensionskassen gewisse Begehrlichkeiten weckt, auch auf politischer Ebene. Es darf nicht sein, dass wir Gelder aus der beruflichen Vorsorge gleichzeitig für mehrere Zwecke verwenden wollen, dann sind Zielkonflikte vorprogrammiert. Wenn man also gleichzeitig Leistungsversprechen finanzieren und beispielsweise Startups fördern kann, dann gerne. Sowohl Innovationsförderung als auch Nachhaltigkeit können aber immer nur Mitnahmeeffekte sein, keinesfalls primäre Zwecke. 

Wie viele Ihrer Mitglieder haben das Thema «nachhaltiges Investieren» zumindest ganz oben auf der Agenda? 

Das Thema hat eine sehr grosse Bedeutung für unsere Mitglieder. Intensiv diskutiert wird vor allem, wie man einen einmal gefassten Nachhaltigkeitsanspruch konkret umsetzt. Wir wissen, dass wir in unserer Branche in Zukunft genauere Aussagen dazu machen müssen. Deswegen werden wir im Laufe des Sommers eine Erhebung bei unseren Mitgliedern machen und überprüfen, wer bereits wie über nachhaltiges Anlegen berichtet und was die wichtigsten Erkenntnisse sind. 

Die Erhebung führt der Verband hoffentlich digital und papierlos. Was mich zur Frage veranlasst, wie digital die Schweizer Pensionskassen aufgestellt sind.

Für uns steht im Bereich der Digitalisierung vor allem der Datenaustausch zwischen den Vorsorgeeinrichtungen im Vordergrund. Hier schlummert ein sehr grosses Effizienzpotenzial. Beispielsweise könnten Fehlerquellen vermieden und die Effizienz erhöht werden, wenn bei einem Wechsel des Arbeitgebers der Datenaustausch zwischen den involvierten Pensionskassen über digitale Kanäle stattfindet und kein Papier mehr verschickt werden muss. Übrigens: Unsere ESG-Umfrage machen wir digital.

Höhere Effizienz würde auch eine Kostenersparnis bedeuten. Könnte das dazu beitragen, die Diskussion über die Höhe der Verwaltungskosten von durchschnittlich 0,62 Prozent zu entschärfen?

Hier müssen wir unterscheiden zwischen normalen Verwaltungskosten und Vermögensverwaltungskosten. Man muss sich zunächst bewusst machen, dass die Erträge aus den Finanzanlagen ein Segen für die Versicherten sind. Sie setzen voraus, dass das angesparte Kapital hoch professionell verwaltet und in Anlagegefässe investiert wird, die privaten Investoren und Investorinnen oftmals gar nicht zur Verfügung stehen. Auf ihr Geld erhalten die Versicherten zudem eine Kapitalgarantie und eine Mindestverzinsung, und sie können damit auch Wohneigentum oder eine Selbstständigkeit finanzieren. Das ist insgesamt ein unschlagbar gutes Paket von Dienstleistungen. Und dafür bezahlt man einen Preis, der nachweislich tief ist, wenn man ihn mit ähnlichen Modellen im Ausland oder den Tarifen in der privaten Schweizer Vermögensverwaltung vergleicht. Tatsächlich zahlen viele, die sich bei Rentenbeginn für den Kapitalbezug entscheiden und ihr Geld einem Vermögensverwalter anvertrauen, häufig das Doppelte oder Dreifache an Gebühren gegenüber der Vermögensverwaltung in der zweiten Säule. 

Und trotzdem hat die Zahl derer, die das Kapital beziehen, und das Volumen des insgesamt bezogenen Kapitals zugenommen. Verliert die zweite Säule an Bedeutung?

Diese Entwicklung pauschal als Misstrauensvotum gegenüber der zweiten Säule zu interpretieren, halte ich für Angstmacherei. Die angepassten Umwandlungssätze können natürlich ein Grund sein, warum mehr Versicherte ihr Kapital beziehen, statt es in eine Rente umzuwandeln. Dafür gibt es aber auch noch eine ganze Reihe andere, individuelle Gründe – etwa gesundheitliche Einschränkungen oder der Kauf von Wohneigentum im In- oder Ausland. Das ist alles legitim, und deshalb gibt es ja überhaupt die Option, das Kapital zu beziehen. 

Vielleicht halten viele das Modell der zweiten Säule aber nicht mehr für zeitgemäss, weil sich die Gesellschaft und Erwerbsbiografien fundamental ändern werden. Eine Studie der HSLU spricht sich deshalb unter anderem für strukturelle Reformen der zweiten Säule aus, die statt einer fixen Altersgrenze zum Beispiel das Modell einer Lebensarbeitszeit vorschlägt. Was halten Sie von diesem Ansatz?

Es gibt diese Herausforderungen im Bereich der zweiten Säule, einverstanden. Doch wir sind schon zweimal an der Urne damit gescheitert, das BVG schlicht und einfach an die veränderten demografischen und ökonomischen Realitäten anzupassen, die für ein stabiles System viel dringlicher sind. Am 22. September haben wir jetzt die dritte Chance. Wenn das gelingt, können wir gern in einem nächsten Schritt strukturelle Fragen, wie sie immer wieder aufgeworfen werden, im Sinne einer Kür angehen. 

Ein weiterer Reformvorschlag aus der Wissenschaft plädiert für die freie Wahl der Pensionskasse. Was entgegnen Sie darauf?

Das ist ein Irrweg und würde unser bewährtes Drei-Säulen-System zum Einsturz bringen. Hinter der ersten Säule steht der Staat mit seinen Bürgerinnen und Bürgern, während die zweite Säule aus einer Risikogemeinschaft von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden gebildet wird. Bei einer freien Pensionskassenwahl wird diese Risikogemeinschaft zerschlagen. Wenn Arbeitnehmende ihre Pensionskasse frei wählen, wird sich der Arbeitgebende zwangsläufig aus jedwedem Risiko zurückziehen und keinen zusätzlichen Beitrag mehr leisten. Ich stimme zu, dass wir innerhalb der drei Säulen dosierte Reformen brauchen. Unnötig ist hingegen ein Schüttelbecher, der das sehr gut akzeptierte und funktionierende System gänzlich auf den Kopf stellt.

Erleben Sie Lukas Müller-Brunner live an unserem kostenlosen Anlass «HZ Focus Day» zum Thema BVG Reform.

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Dieser Beitrag erschien erstmals am 27. Juni 2024 im HZ Insurance Print Special Pensionskasse.