Verschiedene Befragungen zeigen: Herr und Frau Schweizer wissen herzlich wenig über das Thema berufliche Vorsorge. Warum eigentlich?
Weder in der Schule noch sonst wo wird das Thema Vorsorge vermittelt. Die meisten von uns kommen kaum mit dem Thema in Kontakt, dadurch fehlt der Bezug zum eigenen Pensionskassenvermögen. Das heisst, man muss sich aktiv damit befassen. Doch gerade für junge Menschen ist das Thema total uncool.
Wäre es nicht Aufgabe der Vorsorgeeinrichtungen, in die Bresche zu springen und transparent zu informieren?
Ja, doch auch uns als Branche fällt es schwer, das komplexe Thema Vorsorge einfach und verständlich zu kommunizieren. Jahr für Jahr kommen neue Regulative und Bestimmungen hinzu, was die Sache auch nicht einfacher macht.
Was macht die Sammelstiftung Vita, um die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren?
Mit unserer «Fairplay»-Kampagne wollen wir die Bevölkerung für die berufliche Vorsorge sensibilisieren. Wir vermitteln auf unserer Website vita.ch Fachwissen auf einfach verständliche Weise.
Der Gesprächspartner
Werner Wüthrich ist seit Januar 2017 Geschäftsführer der Sammelstiftung Vita. Nach Abschluss seines Studiums arbeitete er als Delegierter für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Anschliessend wechselte er als Unternehmensberater in die berufliche Vorsorge. Der diplomierte Pensionskassenleiter war in verschiedenen Funktionen im Bereich der beruflichen Vorsorge tätig.
Hilft es, dass das Thema aufgrund der anstehenden Abstimmungen zur Rentenreform etwas mehr in den Medien ist?
Da bin ich mir nicht sicher. Ich denke, Leute, die sich eh schon dafür interessieren, spricht die mediale Berichterstattung an, die anderen aber nicht. Das Thema ist einfach zu komplex. Mit der AHV setzen sich viel mehr Menschen auseinander – diese ist deutlich einfacher zu verstehen.
Weshalb ist es denn so wichtig, dass die Versicherten auch beim BVG den Durchblick haben?
Weil Menschen das, was sie nicht verstehen, nicht interessiert. Aufgrund der demografischen Entwicklungen ist es zentral, dass wir als Branche dafür sorgen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verstehen und auch begreifen, dass sie im BVG einen gewissen Spielraum haben.
Habe ich als Arbeitnehmerin wirklich einen Spielraum?
Sofern der Arbeitgeber zum Beispiel einen Wahlsparplan anbietet, ja. Dabei können die Mitarbeitenden selbst entscheiden, ob sie einen höheren Beitrag in die Pensionskasse einzahlen möchten. Ein solcher stellt eine emotionale Bindung zur eigenen Vorsorge her und gibt Ihnen als Arbeitnehmerin das gute Gefühl, selbst bestimmen zu können. Zudem kann und soll man als Arbeitnehmer das Thema berufliche Vorsorge beim Arbeitgeber ansprechen – vielleicht verfügt er noch nicht über das nötige Wissen und ist froh um den Input.
Nicht nur die Versicherten, auch die Arbeitgeber haben das Thema BVG bis dato eher stiefmütterlich behandelt. Wie sensibilisieren Sie als Sammelstiftung Ihre Kunden?
Zum Beispiel mit Kundenstorys auf unserer Website und in den sozialen Medien. Mit diesen praktischen Beispielen können wir den Unternehmerinnen und Unternehmern zeigen, wie andere Firmen ihre BVG-Lösungen gestalten.
Welche Gestaltungsmöglichkeiten haben denn die Firmen?
Relativ grosse. Man kann als Arbeitgeber mehr als die gesetzlich vorgeschriebene Hälfte zahlen oder den Sparprozess optimieren, zum Beispiel mit höheren Sparbeiträgen oder indem man das Sparen bereits ab Alter 18 ermöglicht. Für Familien oder Besitzerinnen von Wohneigentum ist es attraktiv, wenn die Vorsorgelösung einen Risikoschutz bietet, der über das gesetzliche Minimum hinausgeht. Für Teilzeitmitarbeitende ist es wertvoll, wenn der Koordinationsabzug ans Pensum angepasst wird.
Nutzen die Kunden diese Möglichkeiten auch?
Wir stellen eine gewisse Zunahme bei den Wahlplänen fest. Aber das kommt stark auf den Reifegrad des Unternehmens an.
Wie meinen Sie das?
Unsere Kunden sind grösstenteils KMU, daher betreuen wir unter anderem viele Neugründungen. In dieser Phase stehen die Kosten im Vordergrund, daher wählen diese Unternehmen meistens Vorsorgelösungen, die dem gesetzlichen Minimum entsprechen.
Aus einem Minimalplan wächst man aber bald heraus. Ab einem gewissen Lohnniveau muss das Unternehmen die Leistungen ausbauen. Da kommen wir ins Spiel und zeigen den Firmen auf, wie sie die Leistungen optimieren können.
Der BVG-Markt ist hart umkämpft, und die Konsolidierung schreitet voran. Gibt es die Sammelstiftung Vita in zehn Jahren noch?
Ja, ganz sicher. Aber klar, es ist ein Verdrängungsmarkt. Als ich 1993 in die Branche eingestiegen bin, hatten wir noch um die 10’000 Vorsorgeeinrichtungen. Aktuell sind es weniger als 1400. Am Ende dürften wohl noch etwa 200 Vorsorgeeinrichtungen überleben.
Dieser Artikel ist Teil der Market Opinion «Private Vorsorge zeitgemäss gestalten», die in Zusammenarbeit mit der Sammelstiftung Vita realisiert wurde.
Was muss man als BVG-Einrichtung mitbringen, um zu überleben?
Kreativität, Innovation und eine gewisse Grösse.
Wie kann man in einem stark regulierten Markt innovativ sein?
Ich kann Ihnen versichern: Die Ideen werden uns noch lange nicht ausgehen. Leider gilt das auch für den Regulator – aber wir bleiben kreativ!
Gibt es eigentlich die perfekte BVG-Lösung?
Nein, die perfekte Lösung ab der Stange gibt es nicht. Die optimale Lösung ist abhängig von den individuellen Bedürfnissen der Firma, von der Branche, dem Lebenszyklus des Unternehmens oder der Art der Mitarbeitenden.