Seit 2018 zeigt der Monitor «Datengesellschaft und Solidarität» der Stiftung Sanitas jährlich auf, welche Erwartungen und Befürchtungen die Bevölkerung der Schweiz mit dem digitalen Wandel verbindet. Die Ausgabe 2022 blickt auf zwei Ausnahmejahre aufgrund der Covid-19-Pandemie zurück.
Mit den Lockerungen der Pandemie-Massnahmen hat die Nutzung digitaler Kanäle zudem ihren Höhepunkt überschritten. Weniger Befragte nutzen regelmässig Social Media, Videotelefonie, Streamingdienste wie Netflix oder Cloud-Speicher und Instant Messaging. Auch die Lebensvermessung von Aktivitäten und Zuständen mit dem Smartphone hat sich eher stabilisiert.
Mehr digitale Anwendungen im Gesundheitsbereich
Im Unterschied zu den meisten anderen Bereichen hat Corona das Vertrauen in digitale Lösungen im Gesundheitsbereich gesteigert – etwa in Bezug auf das das elektronische Patientendossier. Eigene Gesundheitsdaten mit Zusatzgeräten aufzuzeichnen, ist in der Schweiz noch wenig üblich – aber es nimmt im Unterschied zum übrigen Tracking stetig zu. Den Puls, die Herzfrequenz oder beispielsweise den Blutdruck tracken heute doppelt so viele Personen wie vor fünf Jahren. Und 2022 nennen erstmals am meisten Befragte (50%) als Folge ein «ein besseres Gesundheitsbewusstsein» und weniger Befragte «Stress» (38%).
Und mit wem würden die Menschen ihre aufgezeichneten Gesundheitsdaten teilen? Der Hausarzt oder die Hausärztin ist nach wie vor auf Platz 1 (86%), gefolgt von medizinischen Spezialisten (70%). Erstmals würden zudem mehr als die Hälfte der Personen ihre Daten mit der medizinischen Forschung teilen (55%) – vielleicht auch ein Effekt der Pandemie.
Pandemie ändert Solidaritätsverständnis
Der Solidaritätsbegriff verändert sich durch die Digitalisierung und es zeigt sich hier der Einfluss der Pandemie: Mit «Solidarität» verbinden nach wie vor am meisten Menschen «sich persönlich für andere einsetzen» (78%). Aber um acht Prozentpunkte gesteigert hat sich die Auslegung des Begriffs «Für sich zu sorgen und anderen nicht zur Last zu fallen». Und bei den Solidaritätsprinzipien haben die Konzepte «Gesund mit Krank» und «Alt mit Jung» einen deutlichen Aufschwung erfahren. Interessant ist, dass vor allem ältere Menschen es anfangs 2022 wichtig fanden, mit den Jungen solidarisch zu sein. Vielleicht im Wissen, dass Junge wegen Covid-19 auf vieles verzichtet haben zugunsten der älteren Generation.
Solidarität in der Grundversicherung geschätzt
Wenn sich jemand wider besseren Wissens gesundheitsschädigend verhält – beispielsweises bei einem Herz-/Kreislaufrisiko sich weiterhin ungesund ernährt und zu wenig bewegt – und so hohe Gesundheitskosten für die Allgemeinheit riskiert, empfindet das eine Mehrheit der Bevölkerung grundlegend als unsolidarisch. Drei Viertel sind aber trotzdem dafür, dass diese Person Anspruch auf eine teure, vermeidbare medizinische Behandlung hat. Das Solidaritätsprinzip in der Krankengrundversicherung scheint geschätzt und wird nach der Pandemie hochgehalten.
Datenteilen aus Solidarität oder Eigennutz?
In der Pandemie wurde viel debattiert, ob Gesundheitsdaten zu teilen auch als «Datenspende» oder «solidarischer Akt» gegenüber der Gemeinschaft zu verstehen ist. Für die Studienteilnehmenden dieser Umfrage sind «Vertrauen in die Person/Organisation» und ein «Persönlicher Nutzen» die wichtigsten Faktoren fürs Datenteilen. Ein «Nutzen für die Allgemeinheit» erreichte nur Platz drei. Dass medizinische Datensammlungen grundsätzlich zu einer besseren Versorgung und tieferen Gesundheitskosten beitragen, befürwortet eine grosse Mehrheit.
Belohnung fürs Datenteilen erwünscht
Aber über die Hälfte der Daten-Teilenden wollen dafür belohnt werden, beispielsweise mit einem Vorrang für neu entwickelte Medikamente. Die Bevölkerung zeigt sich somit ein weiteres Jahr ambivalent, wer im (digitalen) Gesundheitssystem profitieren soll – der Einzelne, die Gesellschaft oder beide. Dazu passen zwei weitere Bereiche: Die Zustimmung zu verhaltensabhängigen Krankenkassenprämien ist von Menschen mit gesundem Lebensstil nach wie vor besonders hoch. Und eine Mehrheit der Befragten mit Covid-Impfung räumt den Ungeimpften bei Bettenknappheit keinen Anspruch auf Intensivbehandlung ein. (pm/hzi/sec)