Die Digitalisierung ist für die Versicherungsbranche grundsätzlich nichts Neues und wird dort seit Jahren schon vorangetrieben. Doch viele Projekte scheitern nach einer gewissen Zeit, weil sie auf lange Sicht nicht performant, nicht interaktiv oder schlicht nicht kompakt genug sind. Der Grund: Versicherer digitalisieren ihre Prozesse und Datenablage zwar, gehen aber mit alten Systemen und Denkweisen heran. Ein Beispiel: Ein Fahrzeug lässt sich zwar im laufenden Betrieb verbessern, Einzelteile können immer mal ausgetauscht, Reparaturen vorgenommen werden. Im Kern aber bleibt es das alte Fahrzeug. Alternativ kann der Fahrer, während er das alte Auto nutzt und immer mal ausbessert, parallel dazu auf einer neuen Plattform ein ganz neues Fahrzeug aufbauen. Ist dieses fertig und das alte schliesslich totgefahren, wechselt der Fahrer einfach vom alten auf das neue Fahrzeug. Genauso sollten Versicherer auch ihre Digitalisierungsstrategie fahren. Auch deshalb, weil die junge Zielgruppe vollkommen andere Anforderungen als die älteren Bestandskunden hat. Früher war es die dicke Luxuslimousine, heute eher das kompakte E-Auto oder Fahrrad. Beides ist vollkommen unterschiedlich.
Laufende Kosten so gering wie möglich halten
Um langfristig Erfolg zu haben, ist es wichtig, die laufenden Kosten so gering wie möglich zu halten und auch auf Veränderungen am Markt schnell reagieren zu können. Entscheidend ist daher die Frage: Wie weit unterstützt die Software das Geschäftsfeld und wie flexibel sind Versicherer mit ihr? Nicht zu verachten ist auch die Time-to-Market: Wie schnell wird die Digitalisierung umgesetzt, wie schnell kann die Software im Unternehmen und von Kunden genutzt werden, und wie schnell und flexibel ist das Unternehmen nach der Digitalisierung? Und wie schnell kann der Versicherer auf Marktveränderungen reagieren? In Monaten? Wochen? Oder eben in Echtzeit direkt?
Autor:
Matthias Stauch, CEO Intervista AG Deutschland
Um die laufenden Kosten auf Dauer gering zu halten, spielt die verwendete Software in zweierlei Hinsicht eine Rolle: Zum einen darf sie selbst in ihrer Entwicklung nicht aus dem Ruder laufen – weshalb es eben mehr Sinn macht, ein neues System aufzubauen, als viel Geld in die Weiterentwicklung alter Systeme zu investieren. Zum anderen muss das System die manuellen Aufwände bei der Datenpflege reduzieren. Denn verbringen Sachbearbeiter viel Zeit mit der Nachbearbeitung von Kundendaten, verlieren sie wertvolle Arbeitszeit. Versicherer bezahlen ihr Personal dann für standardisierte Arbeiten, die im Zuge der Digitalisierung automatisiert werden sollten – für Änderungen in den Kundendaten, zum Beispiel einer neuen Adresse. Dabei haben – vor allem junge – Kunden inzwischen die Erwartungshaltung, ihre neue Anschrift einfach selbst bei ihren Versicherern ändern zu können. Sie wollen sich dafür nicht minutenlang in eine Telefonwarteschleife hängen, kompliziert gesicherte und nicht handytaugliche Portale benutzen oder gar zur nächsten Servicefiliale fahren. Es muss schlicht direkt und online gehen, und das einfach ohne umständliche Zusatzfragen und auch nicht auf Kosten der Datenqualität.
24/7-Service: Verträge abschliessen und ändern, Schäden melden
Eine App oder wenigstens ein handytaugliches Kundenportal müssen also her, wo Kunden ihre Daten und Tarife selbst anpassen können. Auch Schäden möchten Kunden unkompliziert und zu jeder Zeit melden können. Eine Software kann ihnen dann sogar bereits ihren etwaigen Eigenanteil ausrechnen, weil die Vertragsdaten hinterlegt sind. Sie kann auch dafür sorgen, dass alle Unterlagen und Fragen zur Bewertung, die dann automatisiert oder manuell entschieden werden kann, vorliegen. So erhalten Kunden unmittelbar eine Reaktion auf ihr Anliegen – ein Service, den sie vom 24/7-Online-Shopping längst gewohnt sind und den sie immer mehr auch in anderen Lebensbereichen erwarten.
Doch nicht nur Bestandskunden haben es mit einer Versicherungssoftware einfacher. Vor allem Neukunden können mit einem automatisierten System schnell und einfach neue Versicherungen abschliessen. Anstatt zunächst umständlich ein Antragsformular anzufordern, dieses womöglich erst nach vielen Tagen zugeschickt zu bekommen, dann unterschreiben oder gar händisch ausfüllen und zurückschicken zu müssen, bevor sie letztlich nach Wochen endlich ihren Versicherungsschein erhalten, können Kunden ihren Versicherungsvertrag auch innerhalb weniger Minuten allein am PC oder Smartphone abschliessen. Die Software stellt die nötigen Fragen, der Kunde klickt sich durch und erhält im Anschluss eine Bestätigung und die Police per Mail.
Komplexe Fälle, die die Software nicht verarbeiten kann – ob nun bei rückwirkenden Tarifänderungen, komplexen Schadenmeldungen oder individuellen Anliegen – verweist das System an die Sachbearbeiter. Da diese von eintöniger Datenpflege entlastet werden, haben sie für ihre Kernaufgaben mehr Zeit, bearbeiten auch aufwendige Fälle schneller. Kunden erhalten dann auch hier schneller eine Rückmeldung – und sind zufriedener.
Zwei Hebel: Junge Kunden und DSGVO
Doch nicht nur der Versicherungsbetrieb, auch das Produkt an sich muss neu gedacht werden. Denn die Zielgruppe der jungen Generationen ist einer der beiden Hebel, die Versicherer für ihr Fortbestehen bewegen müssen. Junge Kunden erreichen Versicherer nicht mehr mit Hausbesuchen, diese Gruppe möchte Verträge unkompliziert und allein abschliessen und bei Bedarf auch ändern können. Voraussetzung dafür ist, dass sie das Produkt allein verstehen. Noch sind Versicherungen aber erklärungsbedürftige Produkte, die Vertragsvereinbarungen umständlich auf vielen Seiten erklärt. Junge Menschen springen da ab. Auch suchen sie im Grunde nicht gezielt nach Versicherungen, sondern erwarten mehr Service: Sie buchen übers Internet eine Reise – sofort sollte ihnen der passende Versicherungsschutz angeboten werden und dann eben auch umstandslos abgeschlossen werden können.
Der zweite Hebel ist die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Bisher haben Versicherer Daten erfasst, irgendwo abgelegt, ab und an Veränderungen eingepflegt. Was wann durch wen vorgenommen wurde, ist oftmals nicht nachvollziehbar. Durch die DSGVO muss es das nun aber sein. Versicherer brauchen nun eine strukturierte Datenablage mit Protokolleinheiten, die genau und transparent festhalten, welche Arbeitsschritte wann, wo und von wem gemacht wurden.
Das neue europäische Datenschutzgesetz ist auch für Schweizer Unternehmen relevant
Seit 2018 ist die neue Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der Europäischen Union (EU) in Kraft. Mit den neuen Bestimmungen erhalten Bürgerinnen und Bürger mehr Kontrolle über ihre Personendaten. Auch für Schweizer Unternehmen kann die Verordnung von Bedeutung sein.
4711-Effekt: Ältere Kunden behandeln wie immer
Nun sind junge Kunden für die Zukunft der Versicherungsbranche zwar elementar, in der Gegenwart und in den nächsten Jahren spielen aber auch die weitaus älteren Bestandskunden eine wichtige Rolle. Versicherer können diese nicht dazu zwingen, digital zu werden, und sollten es auch nicht. Diese Kundengruppe gilt es weiterhin so zu behandeln wie bislang. Tarife müssen kaum angepasst werden, und wenn, dann eben doch durch Sachbearbeiter. Man kann hier von einem 4711-Effekt sprechen: Wer das Kölnisch Wasser kauft, gehört einer älteren Generation an, die gar nichts Neues mehr ausprobieren möchte. Die neuen Zielgruppen aber sollten mit ihrer Erwartungshaltung deswegen nicht zurückstecken müssen.
Fazit
Um neue, junge Zielgruppen zu erreichen und den Anschluss an die Konkurrenz nicht zu verlieren, müssen Versicherungen ihre Vertriebswege und Produkte überdenken und sich digital aufstellen. Auf klassischem Wege – mit persönlicher Ansprache durch einen Sachbearbeiter – verprellen Versicherer die Kunden, die ihre Zukunft bedeuten. Die Digitalisierung von jetzt auf gleich auf alle Kunden auszurollen, ist dennoch wenig sinnvoll: Junge und ältere Zielgruppen müssen auf verschiedenen Wegen bedient werden.