Trotz Corona-Krise ist die Zahl der Konkurseröffnungen tiefer als in den Vorjahren. Dies dürfte sich rasant ändern, wenn die verschiedenen staatlichen Stützprogramme auslaufen. Kommt es dann tatsächlich zur befürchteten Konkurswelle, stellt sich bei einigen gescheiterten Unternehmen die Frage, ob die Mitglieder von Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen für das Scheitern persönlich (mit-)verantwortlich waren oder das Scheitern zulasten von Gläubigern zumindest zu lange hinausgezögert haben – Stichwort Konkursverschleppung. 

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Autoren:

  • Benjamin Schumacher, Dr. iur., Rechtsanwalt, MJur (Oxford), Nater Dallafior Rechtsanwälte AG in Zürich, ist spezialisiert auf Versicherungs-, Haftpflicht-, Verantwortlichkeits- und Vertragsrecht, LinkedIn
  • Patrick Dummermuth, lic. iur., Rechtsanwalt, Head of Claims, Kessler & Co AG, Zürich, LinkedIn

Rechtsstreitigkeiten sind reales Risiko

Ein Blick in die jüngste Vergangenheit zeigt, dass für Mitglieder von Unternehmensleitungen das Risiko von persönlicher Haftung und teuren Rechtsstreitigkeiten nichts Neues ist. Nur als Randnotiz wurde kürzlich in den Medien über das Ende von über Jahre geführten Verantwortlichkeitsprozessen berichtet. Ende 2020 zogen 29 ehemalige Mitglieder der Konzernleitung der konkursiten Swissair-Gesellschaften einen Schlussstrich unter die Rechtsstreitigkeiten, indem sie sich mit dem klagenden Liquidator auf eine Zahlung von knapp 2,75 Millionen Franken einigten. Ein gutes Jahr zuvor schloss die Glarner Kantonalbank die gegen ihre ehemaligen Mitglieder der Geschäftsleitung und des Bankrates geführten Verantwortlichkeitsklagen mit einem Vergleich ab.

Zielscheibe für den Regulator

In regulierten Branchen, insbesondere der Finanzbranche, können Mitglieder des Managements und andere Mitarbeiter auch zur Zielscheibe von Regulatoren werden. Beispiele sind der «Libor-Skandal» bei der UBS oder die «Causa Vincenz» bei Raiffeisen. In beiden Fällen eröffnete die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) ein sogenanntes Enforcement-Verfahren. Dieses richtet sich zwar zunächst gegen das Institut selbst. Aufgedeckte Verfehlungen können jedoch auch zu verwaltungsrechtlichen Verfahren gegen die verantwortlichen Personen führen. Im Fall Raiffeisen stellte die Finma gravierende Fehler bei der Aufsicht des Verwaltungsrats über den ehemaligen CEO fest. Ein Strafverfahren gegen Pierin Vincenz ist längst hängig. Zivilrechtliche Ansprüche gegen Vincenz und andere Personen könnten folgen.

Diese prominenten Beispiele zeigen, wie das Management von Unternehmen nach Turbulenzen mit Haftungsklagen oder sonstigen Vorwürfen und Verfahren konfrontiert werden kann. Das Risiko, über Jahre in komplexe, zeitaufwendige und sehr teure Rechtsstreitigkeiten verwickelt zu werden, ist real. Meist kommt ein Reputationsschaden hinzu. Dies alles unabhängig davon, ob sich von den erhobenen Vorwürfen am Ende etwas bewahrheitet.

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Organhaftpflichtversicherung schützt

Der öffentliche – und dadurch auch der politische und juristische – Druck auf Mitglieder von Unternehmensleitungen dürfte künftig kaum abnehmen. Im Gegenteil. Daher stellen sich Mitglieder von Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen sowie des höheren Managements zu Recht immer häufiger die Frage, wie sie sich zumindest in finanzieller Hinsicht schützen können. Richtig eingesetzt, kann eine D&O-Versicherung («Directors & Officers»-Versicherung, auch als Organ- oder Manager-Haftpflichtversicherung bekannt) eine gute Lösung sein.

Die oben genannten Beispiele sind alles Konstellationen, die von D&O-Versicherungen gedeckt sein können, sofern Ansprüche gegen Mitglieder der Unternehmensleitung erhoben oder Untersuchungs- oder Strafverfahren eröffnet werden. Ob und wie eine D&O-Police aber tatsächlich Schutz vor finanziellen Risiken bietet, zeigt sich meist erst nach Eintritt eines Schadenfalls. Um den bestmöglichen Schutz zu erlangen, sind zahlreiche Faktoren zu beachten. 

Die Firma schliesst den Kontrakt

Eine Besonderheit ist, dass D&O-Versicherungen vom Unternehmen für die eigenen Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung abgeschlossen werden. Die Versicherungsnehmerin ist das Unternehmen. Die Personen im Management sind selbst nicht Vertragsparteien, sondern werden lediglich, aber immerhin, aus der Police als versicherte Personen begünstigt. Entsprechend kann es vorkommen, dass Verwaltungsräte und Geschäftsleitungsmitglieder beim Einkauf der D&O-Versicherung gar nicht oder nur am Rande involviert werden. Haben aber genau jene Personen, die durch die D&O-Police letztlich geschützt werden sollen, keine genauen Kenntnisse über den konkreten Inhalt und die Wirkung der für sie abgeschlossenen Policen, kann das für sie riskant sein. Ratsam ist es deshalb, wenn sich Verwaltungsrats- und Geschäftsführungsmitglieder früh – idealerweise bereits vor Stellenantritt – näher mit der Thematik auseinandersetzen. Immerhin betrifft es ihre persönlichen Vermögensverhältnisse.

Wichtige Weichenstellungen gibt es beim und nach dem Abschluss der Police, im Schadenfall sowie nach dem Schadenfall.

D&O-Police ist nicht gleich D&O-Police

Primär ist auf den Deckungsumfang zu achten, das heisst darauf, was eine Police überhaupt versichert. Im Wesentlichen wird zwischen zwei Deckungsbestandteilen unterschieden: einerseits der Übernahme von Abwehrkosten (d. h. Aufwendungen i. Z. m. Verfahren, die gegen Verwaltungsrats- oder Geschäftsleitungsmitglieder geführt werden, wozu insbesondere auch Anwaltskosten zählen) und anderseits der Zahlung von Haftpflichtansprüchen (d. h. Zahlung von Schadenersatzforderungen). Es ist sinnvoll, genau darauf zu achten, für was eine Police konkret Deckung bietet. Die grössten Fallstricke liegen auch hier in den Details.

Ein besonderes Augenmerk ist der Frage zu widmen, ob eine Versicherungsdeckung auch dann besteht, wenn das Unternehmen (und damit die Versicherungsnehmerin selbst) gegen die eigenen Verwaltungsrats- oder Geschäftsleitungsmitglieder Ansprüche erhebt. Teilweise sehen Policen diesbezüglich explizite Ausschlüsse vor.

Beim Deckungsumfang ist ebenso darauf zu achten, für welche Arten von Prozessen (Zivil-, Verwaltungs- und/oder Strafverfahren) eine Police überhaupt Deckung bietet.

Berücksichtigung der tatsächlichen Risiken

Ebenso zentral ist, dass eine Police den potenziellen Risiken des Unternehmens und seines Managements hinreichend Rechnung trägt. Primär zu denken ist an den geografischen Geltungsbereich der Police (d. h., wo auf der Welt die Police überhaupt gilt) sowie an die Geschäftsfelder, die besetzt werden bzw. die es zukünftig noch zu erschliessen gilt. Je nach Geschäftsbereich ergeben sich unterschiedliche Risiken. Dabei ist zu darauf zu achten, dass die abzuschliessende Police diesen Risiken auch tatsächlich Rechnung zu tragen vermag.

Ebenso wichtig ist, darauf zu achten, dass die Police eine genügend hohe Versicherungssumme (allenfalls verteilt auf mehrere Versicherer) vorsieht und der Selbstbehalt angemessen ist (in der Schweiz wird auf einen solchen oft ganz verzichtet).

Es zählt, was vereinbart wurde

Eine D&O-Versicherung ist letztlich nichts anderes als ein Vertrag – konkret ein Versicherungsvertrag. Kommt es mit dem Versicherer zu Meinungsverschiedenheiten darüber, ob ein bestimmter Schadenfall von der abgeschlossenen Police gedeckt ist, zählt, was zwischen den Parteien vereinbart wurde. In erster Linie ist der Vertragstext relevant. Deshalb lohnt es sich, den Vertragswortlaut, sprich die einzelnen Vertragsklauseln, im Detail zu prüfen.

Der Teufel steckt dabei bekanntlich im Detail – oder besser gesagt im Kleingedruckten. Nebst den genannten Eckpfeilern der Police wie Deckungsumfang und Versicherungssumme ist deshalb ebenso den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) genügend Beachtung zu schenken, wenn man unverhoffte juristische Stolpersteine vermeiden möchte. Gerade hier kann das Beiziehen von Experten sinnvoll sein.

Andere wichtige Punkte

Versicherer verlangen beim Abschluss der Police regelmässig das Ausfüllen eines Fragebogens (ein sogenanntes Warranty Statement), in dem Auskünfte über bereits eingetretene bzw. bekannte Umstände (wie z. B. Pflichtverletzungen) zu machen sind, die zu Schadenfällen führen können. Ist die Beantwortung ungenau oder gar falsch, kann es später im Schadenfall zu bösen Überraschungen kommen. Deshalb ist es auch hier ratsam, dass sich jene Personen, die von der abzuschliessenden Police profitieren sollen, nach Möglichkeit auch damit auseinandersetzen.

Zuletzt sind auch Faktoren wie die Schadenerfahrung mit einem Versicherer bei anderen Fällen, die Dienstleistungsqualität, die Bonität sowie selbstverständlich auch der Preis (Prämie) relevant. Verschiedene Offerten einzuholen oder einholen zu lassen, ist hierbei zu empfehlen. Fundierte Kenntnisse des in- und ausländischen Versicherungsmarktes sind eine grosse Hilfe bei der Suche nach einer guten Versicherungslösung.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Ist die Police abgeschlossen, ist auf die pünktliche Bezahlung der Prämien zu achten, damit der Versicherungsschutz aufrechterhalten bleibt. Zwar ist das Unternehmen für die Bezahlung zuständig. Das vom Schutz einer D&O-Police profitierende Management hat deshalb ein Eigeninteresse, dies im Auge zu behalten.

Zudem ist es ratsam, die Angemessenheit des Versicherungsschutzes periodisch zu überprüfen und allenfalls anzupassen. Dies kann beispielsweise angezeigt sein, wenn ein Unternehmen (organisch oder durch Zukäufe) wächst, in neue Geschäftsfelder vordringt oder in zusätzlichen Ländern tätig wird. Auch andere risikoerhöhende Umstände, die im Einflussbereich des Unternehmens liegen und von wesentlicher Bedeutung sind, müssen dem Versicherer mitgeteilt werden. Meist enthält die Police selbst Bestimmungen, in denen definiert ist, welche Umstände als sogenannt gefahrerhöhend gelten und wie in solchen Situationen vorzugehen ist. Auch darauf sollten Personen, für die eine D&O-Versicherung abgeschlossen wurde, achten.

Nach dem Abschluss ist vor der Erneuerung

Um mögliche Versicherungslücken in zeitlicher Hinsicht zu vermeiden, ist es ratsam, sich bereits bei Abschluss der Police einen Zeitpunkt vorzumerken, zu dem man sich wieder mit der Erneuerung der Police zu befassen beginnt.

1. Eintritt eines Versicherungsfalls

Kommt es zu einem Schadenfall, ist sicherzustellen, dass die in der Police vereinbarten Pflichten eingehalten werden. Oft sieht die Police bestimmte Fristen vor, innert deren bestimmte Handlungen vorgenommen werden müssen. Ein Fristversäumnis kann, je nach Ausgestaltung der Police, erhebliche Rechtsfolgen nach sich ziehen – im Extremfall sogar die Reduktion oder gar den Verlust der Deckung.

Die Anzeige eines Versicherungsfalls ist eine zentrale Pflicht. Werden Ansprüche gegen ein Verwaltungsrats- oder Geschäftsleitungsmitglied geltend gemacht oder ein Verfahren eingeleitet, sollte dies dem Versicherer umgehend gemeldet werden.

Eine Meldung kann selbst dann ratsam sein, wenn sich ein potenzieller Rechtsstreit erst vage abzeichnet. Für einen bloss möglichen, aber noch nicht eingetretenen Versicherungsfall kann eine sogenannte Umstandsmeldung erfolgen. Je nach Ausgestaltung der Police kann dies den Vorteil haben, dass bei effektivem Eintritt des Falles – unter Umständen erst Jahre später – jene Police anwendbar ist, unter welcher der Umstand ursprünglich gemeldet wurde.

Auch inhaltliche Anforderungen sind bei einer Schadenanzeige zu beachten. Eine korrekte Meldung ist aus Sicht des Versicherers entscheidend für den weiteren Verlauf eines Falles. Entsprechend werden in aller Regel eine möglichst präzise Beschreibung des Sachverhalts, die Bereitstellung notwendiger Unterlagen und allenfalls eine über die erstmalige Meldung hinausgehende Kooperation mit dem Versicherer verlangt.

Das Beiziehen von externen Anwälten

Das Beiziehen von externen Anwälten, die die betroffenen Personen der Unternehmensleitung in den Rechtsstreitigkeiten vertreten sollen, ist ebenfalls mit dem Versicherer abzusprechen. Das betroffene Mitglied des Managements ist an einer möglichst guten Vertretung interessiert.

Gleichzeitig sollen die Anwaltskosten möglichst vollumfänglich vom Versicherer übernommen werden. In der Regel verlangen Versicherer ein Mitspracherecht. In den meisten Policen ist deshalb vorgesehen, dass die Anwaltswahl und auch die Honorierung (Höhe Stundenansatz, Budgets für bestimmte Arbeitsschritte) vorgängig vom Versicherer zu bewilligen sind. In jedem Fall dient die optimale Verteidigung den Interessen der betroffenen Person, aber auch dem Interesse des Versicherers.

Austausch mit dem Versicherer während eines Rechtsstreits

Ein Verantwortlichkeitsprozess dauert oft mehrere Jahre. Das davon betroffene Mitglied der Unternehmensleitung (bzw. dessen Vertreter) hat den Versicherer regelmässig über die Entwicklungen des Falles zu orientieren. Im Idealfall findet ein eigentlicher Dialog statt.

Im Laufe von Rechtsstreitigkeiten können sich immer wieder Gelegenheiten bieten, den Rechtsstreit durch eine Einigung (Vergleich) beizulegen. Auch hier ist der Versicherer zu involvieren. Der Abschluss oder das Ausschlagen eines Vergleiches kann einen direkten Einfluss auf die Bilanz des Versicherers haben. Darum muss auch hier das vorgängige Einverständnis eingeholt werden. Wird dies versäumt, können wiederum Kürzungen oder gar Deckungsablehnungen drohen.

Aufgepasst: Verjährung und Verwirkung

Während der gesamten Zeit ab Eintritt eines Schadenfalls ist die Verjährung von Ansprüchen aus der D&O-Police im Auge zu behalten. Nach geltendem Recht tritt die Verjährung bereits nach zwei Jahren ein. Im revidierten Versicherungsvertragsgesetz (VVG, Inkrafttreten am 1. Januar 2022) ist eine fünfjährige Frist vorgesehen.

Der Lauf der Verjährung kann auf verschiedene Arten relativ einfach unterbrochen werden. Jedoch können Policen auch sogenannte Verwirkungsfristen vorsehen. Diese können nicht unterbrochen werden. Läuft eine Verwirkungsfrist ab, gehen die Ansprüche aus der Police unwiderruflich unter.

2. Nach Abschluss eines Falles

Kommt der zugrundeliegende Haftpflichtfall zu einem Ende und wird die eingeklagte Person zur Leistung einer Schadenersatzzahlung verurteilt, wird der Versicherer auch diese Forderung übernehmen – sofern dies Teil der in der Police vereinbarten Deckung ist. Zu beachten ist allerdings, dass der Versicherer von seiner Leistungspflicht befreit wird, falls sich herausstellt, dass das Mitglied der Unternehmensleitung den Schaden vorsätzlich verursacht hat. Diesfalls kann der Versicherer die bereits während des Verfahrens laufend geleisteten Abwehrkosten zurückverlangen.

Nach Abschluss eines Falles sind ebenso die «Lessons Learned» zu analysieren: War die Versicherungssumme ausreichend oder muss sie künftig erhöht werden? War der Selbstbehalt (sofern anwendbar) zu hoch? Wie zufrieden war man mit der Schadenbearbeitung des Versicherers? Müssen die allgemeinen Bedingungen angepasst werden? Oder anders formuliert: Nach dem Schadenfall ist vor dem Schadenfall. 

3. Besser abgesichert

Wollen sich Mitglieder des Managements bestmöglich gegen die finanziellen Folgen von Verfahren, Rechtsstreitigkeiten und Haftungsansprüchen schützen, können D&O-Versicherungen einen sehr guten Schutz bieten. Damit eine Police aber nicht nur Prämien, und damit Kosten für das Unternehmen, verursacht, lohnt sich eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema.