Sinkende Margen, steigende Kosten, Digitalisierung oder Fachkräftemangel – das Gesundheitswesen und damit auch die Spitäler stehen vor vielen Herausforderungen: Welches sind die Fäden, an denen es prioritär zu ziehen gilt, um einen Schritt weiterzukommen?
Es stimmt, es gibt sehr viele Herausforderungen. Doch wichtig ist mir auch zu betonen: Unser Gesundheitswesen ist hervorragend. Das zeigen auch Befragungen bei der Bevölkerung über die Zeit. Die Bevölkerung schätzt und sieht den direkten Zugang für jedermann und beurteilt die Qualität als sehr hoch. Es stört mich, wenn man einzig den Kostenaspekt in den Vordergrund stellt.
Steigende Kosten sind allerdings ein Fakt …
Ja, sicher, die steigenden Kosten sind eine Tatsache wie auch die steigenden Prämien. Daher gibt es einen Handlungsbedarf, um das effizienteste und effektivste Modell zu finden und dieses vor allem so zu gestalten, dass das Verhältnis von Kosten und Nutzen stimmt.
Ist denn der Nutzen mit den steigenden Prämien gestiegen?
Das ist eine gute Frage. Klar ist, dass die Prämien steigen, weil die Kosten steigen. Und die Kosten steigen unter anderem weil die Leistungen ausgeweitet werden, und zwar unabhängig vom Bevölkerungswachstum. Es gibt Mehrfachbehandlungen, Ineffizienzen – Dinge, die nicht nötig wären. Da müssen alle Akteure und Akteurinnen sehr genau hinschauen. Aber es gibt auch die technologischen Fortschritte. Diese kosten, doch von ihnen profitiert die Bevölkerung auch.
Die Gesprächspartnerin
Regine Sauter ist Direktorin der Zürcher Handelskammer und seit Anfang 2023 Präsidentin des Spitalverbands H+. Seit 2015 politisiert die promovierte Staatswissenschafterin als FDP-Vertreterin für den Kanton Zürich im Nationalrat. Zu ihren politischen Schwerpunkten gehören Wirtschaftsfragen sowie die Sozial- und Gesundheitspolitik.
Viele der aufgezählten Punkte betreffen auch die Spitäler – was für Veränderungen müssten für ein tragbares Gesundheitswesen der Zukunft in diesem Bereich geschehen?
Die Frage, die wir uns stellen müssen, heisst: Wie soll unsere Spitallandschaft in Zukunft aussehen? Plakativ gesagt: Brauchen wir alle paar Meter ein kleines Regionalspital mit dem gesamten Angebot oder gehen wir dazu über, grösser zu denken, z. B. in überregionalen Versorgungsgebieten mit einem Zentrumsspital, das über eine umfassende Versorgung verfügt und über Aussenstationen, die die Grundversorgung übernehmen.
Ein regionaler Spitalverbund ist in der Ostschweiz gescheitert, die Innerschweiz versucht es nun erneut. Glauben Sie, dass es dieses Mal klappen wird?
Die Entwicklungen in der Zentralschweiz sind interessant und sie scheinen auf einem guten Weg zu sein. Ich bin überzeugt, dass Kooperationen das Modell der Zukunft sind. Wir müssen wegkommen von Silos und integrierter denken. Und zwar nicht nur bei den Spitälern. Wir müssen den ganzen Behandlungspfad der Patientinnen und Patienten im Auge haben.
In der Wirtschaft würde man wohl von der Customer Journey sprechen…
Wenn Sie so wollen, ja. Eine solche beginnt mit einem niederschwelligen Zugang im Sinne eines Hausarztzuganges, und von dort aus gilt es zu schauen, wo der Patient oder die Patientin am besten aufgehoben ist oder welche Behandlung die optimale für ihn oder sie ist. Ebenfalls einbezogen werden muss eine allfällige Pflege nach einem Eingriff. Wenn man über die ganze Kette schaut, darf es zudem keine Ineffizienzen und Schnittstellenprobleme geben, daher betrifft die integrierte Denkweise nicht nur die Spitäler, sondern das gesamte Gesundheitssystem.
Ist Digitalisierung ein Schlüssel dazu?
Falls Sie damit das elektronische Patientendossier ansprechen: Ja, ein solches ist eine wichtige Voraussetzung für die integrierte Versorgung. Das Vorhandensein vollständiger und elektronisch zugänglicher Daten beim Patienten würde einerseits Doppelspurigkeiten verhindern, könnte aber auch zu einer Verbesserung der Behandlungsqualität führen.
Zudem kann die Digitalisierung im Spital dazu beitragen, medizinische Fachpersonen von administrativen Arbeiten zu entlasten. Heute geht zu viel Zeit für Bürokratie drauf, mit einer sinnvollen digitalen Unterstützung könnten Pflegende und Ärztinnen und Ärzte wieder mehr Zeit bei den Patientinnen und Patienten verbringen.
Warum ist denn das elektronische Patientendossier nach wie vor keine gelebte Realität?
Problematisch ist zum einen der Föderalismus, der zu inkompatiblen Lösungen geführt hat, zum anderen der Widerstand von einzelnen Leistungserbringern.
Was ist schwieriger zu lösen, der Föderalismus oder der Widerstand?
Der Widerstand gegen die Digitalisierung scheint mir eine Generationenfrage zu sein, die sich mit der Zeit auflösen wird. Allerdings muss gewährleistet sein, dass wir über digitale Infrastrukturen verfügen, welche die gleichen Schnittstellen haben und mit einheitlich definierten Datenstandards arbeiten. Diese Problematik muss auf eidgenössischer Ebene angegangen werden.
Wenn man in der Schweiz ein Gesundheitswesen will, bei dem die öffentliche Hand in Bezug auf die Finanzierung stark involviert ist, muss der Gesetzgeber auch sagen können, wie es läuft.
Wenn also das IT-Problem gelöst ist, kann das Patientendossier eingeführt werden, ohne dass der Föderalismus dazwischenfunkt?
Nein, natürlich nicht. Auch als liberale Politikerin erkenne ich, dass der Föderalismus seine Grenzen hat und es Aufgabengebiete gibt, für die sinnvollerweise der Bund zuständig ist.
Wenn man in der Schweiz ein Gesundheitswesen will, bei dem die öffentliche Hand in Bezug auf die Finanzierung stark involviert ist, muss der Gesetzgeber auch sagen können, wie es läuft. Es ist also legitim, dass der Gesetzgeber Standards definiert, um sicherzustellen, dass das System effizienter und kostengünstiger wird und qualitativ hochstehend bleibt. In Bezug auf das elektronische Patientendossier bedeutet das, dass es eine Verpflichtung der Leistungserbringer geben muss, mit diesem zu arbeiten.
Regulierung und Tools kommen also vom Bund, was machen die Kantone?
Deren Aufgabe ist die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung. Sie müssen definieren, was eine gute Versorgungsdichte ist, und hier ist meine Forderung, dass die Kantone dafür gemeinsame Strategien entwickeln müssen. Der Blick muss über die Kantonsgrenzen hinausgehen.
Zurück zu den Spitälern, wie sollen diese in Zukunft finanziert werden, wenn sie überregional zusammenarbeiten sollen?
Mit der Einführung der einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen Efas wird die Finanzierung dem Patienten folgen, somit sollte das kein unüberwindbares Problem mehr sein. Entscheidend wird sein, dass die Angebote den Grundsätzen entsprechen, dass sie qualitativ hochstehend, effizient und effektiv sind.
Efas hilft uns, wegzukommen vom Silodenken
Was sind die Pluspunkte von Efas?
Studien zeigen, dass es volkswirtschaftlich betrachtet eine Kostenreduktion geben wird. Denn ambulante Behandlungen sind günstiger als stationäre. Das Projekt kann massgeblich dazu beitragen, die Kosten zu dämpfen.
Und was hat die Vorlage mit der Patientenreise zu tun?
Efas hilft uns, wegzukommen vom Silodenken. Es unterstützt dabei, die Behandlungsart anzuschauen, und zwar nicht mehr rein ökonomisch, sondern hinsichtlich der Fragestellung, was für den Patienten oder die Patientin am sinnvollsten ist.
Heute gibt es aufgrund der Finanzierung falsche Anreize im System. Die Versicherer haben kein Interesse daran, dass noch mehr in den ambulanten Bereich geschoben wird, weil sie für diesen mehr bezahlen als für den stationären Bereich. Aus diesem Grund wird nicht mehr darauf geschaut, was am sinnvollsten für den Patienten ist. Genau das soll das neue Finanzierungsmodell überwinden.
Wie sollen die Spitäler eigentlich noch Geld verdienen?
Efas führt nicht daran vorbei, dass wir über die Tarife sprechen müssen. Diese müssen kostendeckend sein, so bestimmt es auch das Gesetz. Heute sind sie es sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich nicht. Die Unterdeckung beläuft sich auf 10 Prozent im stationären und auf 30 Prozent im ambulanten Bereich.