Die Schweiz zeichnet sich seit jeher durch die Suche nach ausgewogenen Lösungen aus – radikale Positionen haben selten lange Bestand. Derweil Extrempositionen genutzt werden, um Diskussionen anzustossen, steht am Ende jeweils die Frage im Vordergrund, ob eine Lösung breit akzeptiert und langfristig tragfähig ist. Ausgewogene Vorschläge sind das Fundament der schweizerischen Demokratie. Besonders bei vielschichtigen Themen ist es oftmals eine Herausforderung, den Nutzen verständlich darzustellen. Mit der BVG-Reform ist dem Parlament jedoch ein echt ausgewogener Kompromiss gelungen, bei dem die Vorteile klar überwiegen.
Urs Arbter ist seit 2022 Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes (SVV), der die Interessen seiner Mitgliedsgesellschaften auf nationaler und internationaler Ebene vertritt. Dem Verband gehören rund 70 Mitglieder an, zu denen neben global agierenden Erst- und Rückversicherern auch national ausgerichtete Sach-, Lebens- und Krankenzusatzversicherer zählen.
Die Antwort auf gesellschaftliche Veränderungen
Die BVG-Reform ist mehr als eine technische Anpassung des Systems. Sie ist eine direkte Antwort auf die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre. Die Art und Weise, wie wir arbeiten und leben, hat sich grundlegend verändert. Teilzeitarbeit und flexible Anstellungsverhältnisse haben deutlich zugenommen, während unsere Bevölkerung gleichzeitig immer älter wird und die Altersvorsorge im Durchschnitt länger gewährleistet sein muss. Es ist höchste Zeit, die berufliche Vorsorge an die neuen Realitäten anzupassen. Diese Reform bringt verschiedene Bedürfnisse unter einen Hut.
Ein durchdachter Kompromiss
Diese Reform ist nicht über Nacht entstanden, sondern das Ergebnis gründlicher Überlegungen und Beratungen. Der parlamentarische Prozess dauerte vier Jahre, und insgesamt beschäftigte sich das Parlament über zwei Jahrzehnte mit der Thematik. Das zeigt, dass es nicht darum ging, den erstbesten Vorschlag zu verabschieden, sondern die bestmögliche Lösung zu finden.
Vielschichtigkeit des Themas
Ein Grund, warum die Beratungen so lange dauerten, liegt in der Vielschichtigkeit des Themas. Die Reform verknüpft unterschiedliche Aspekte, die alle in die Diskussion einfliessen mussten. Die Senkung des Umwandlungssatzes ist eine notwendige und richtige Reaktion auf die steigende Lebenserwartung. Gleichzeitig wird durch die Senkung der Eintrittsschwelle und des Koordinationsabzugs den veränderten Arbeitsmodellen Rechnung getragen, die Teilzeitarbeit und flexiblere Anstellungen unterstützen. Auch die Altersstaffelung wurde gesenkt, um ältere Arbeitnehmer im Arbeitsmarkt weniger zu benachteiligen. Für jene, die von den Änderungen besonders betroffen sein könnten, wurden Kompensationsmassnahmen erarbeitet, um negative finanzielle Auswirkungen zu mildern.
Unsicherheit als Begleitfaktor
Es bleibt unbestritten, dass Prognosen im Bereich der Altersvorsorge immer mit Unsicherheiten behaftet sind. Wie entwickelt sich mein Lohn? Wie verändert sich mein Anstellungsgrad? Und wie entwickeln sich die Finanzmärkte? Diese Ungewissheiten machen es schwierig, exakte Vorhersagen sowohl auf individueller als auch auf systemischer Ebene zu treffen; sie ändern aber nichts an der Notwendigkeit der Reform. Die jüngsten Diskussionen, insbesondere die scharfe Kritik der Linken und der Gewerkschaften sowie die Zahlenschlachten der letzten Wochen, lenken jedoch von den wesentlichen Zielen der Reform ab. Das ist ein Fehler. Die Debatten stiften Verwirrung, statt zur Klarheit beizutragen.
Ein Ja für eine zukunftssichere Altersvorsorge
Das Schweizer Altersvorsorgesystem mit seinen drei Säulen ist insgesamt ausgewogen und verbindet die Stärken der einzelnen Komponenten. Die zweite Säule, das BVG, ist ein wichtiges und effizientes Instrument für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Es fördert das kollektive Sparen und entlastet gleichzeitig die Staatskasse. Mit der BVG-Reform werden die Mindestanforderungen an die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse angepasst – ein Schritt, der längst überfällig ist. Diesbezügliche Anpassungen wären auch bei der ersten Säule wünschenswert, doch dies steht momentan nicht zur Debatte.
Ein Ja zur BVG-Reform ist ein Ja zur umfangreichen Arbeit des Parlaments, das einen gut durchdachten und tragfähigen Kompromiss erarbeitet hat. Diese Reform legt den Grundstein für eine stabile Altersvorsorge, die den Bedürfnissen der heutigen und der zukünftigen Generationen gerecht wird. Dies ist ein wichtiger Schritt, um unser bewährtes Vorsorgesystem zukunftssicher zu machen und dafür zu sorgen, dass es auch in den kommenden Jahrzehnten Bestand hat.