Das Erdbebenrisiko in der Schweiz ist beträchtlich und beschränkt sich nicht auf Basel und auf das Wallis. Im Gegenteil. Die neusten Berechnungen des Schweizerischen Erdbebendienstes zeigen, dass neben Basel auch Bern, Genf, Luzern und Zürich zu den Städten mit dem höchsten Erdbebenrisiko gehören und über einen Zeitraum von 100 Jahren allein an Gebäuden und ihren Inhalten Schäden von 11 bis 44 Milliarden Schweizer Franken verursachen. Allerdings: Rund 85 Prozent der Schweizer Gebäudeeigentümer sind gegen Erdbeben finanziell nicht ausreichend abgesichert, ein schweres Erdbeben könnte für sie existenzbedrohend sein. Deshalb hat der Bundesrat an seiner Sitzung vom 13. Dezember 2024 die Botschaft zur Finanzierung der Behebung von Gebäudeschäden bei Erdbeben an das Parlament übermittelt.

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Umstrittenes Vorhaben

Konkret soll die Einführung einer Eventualverpflichtung Erdbeben (EVV) den Schutz vor Erdbebenrisiken in der Schweiz verstärken - ohne eine jährlich wiederkehrende Belastung durch Versicherungsprämien. Erst nach einem schweren Erdbeben soll der Bund zur Finanzierung der Behebung von Gebäudeschäden die Kompetenz erhalten, von den Gebäudeeigentümern in der Schweiz einen zweckgebundenen Beitrag in Höhe von maximal 0,7 Prozent ihres Gebäudeversicherungswertes zu erheben. Damit würden gemäss den aktuellen Werten rund 22 Milliarden Franken für die Deckung von Schäden an Gebäudeeigentum zur Verfügung stehen. In der Branche ist die EVV umstritten, der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) spricht sich deutlich dagegen aus.

Der Risikoexperte Bruno Spicher hat in der 16-köpfigen Arbeitsgruppe des Bundesrats an der Ausarbeitung des Konzepts mitgewirkt, nachdem das Parlament dem Bundesrat den Auftrag gegeben hatte, das Projekt zu prüfen.

Wurde in der Arbeitsgruppe kontrovers über die Eventualverpflichtung Erdbeben diskutiert?

Nein, in der Arbeitsgruppe waren wir uns eigentlich alle einig, dass wir endlich eine Lösung brauchen, um das Problem der Finanzierung von Erdbebenschäden zu lösen. Natürlich gab es unterschiedliche Meinungen, beispielsweise zur Höhe des Betrags oder ob die Eventualverpflichtung auch bei kleineren Erdbeben greift. Dass es grundsätzlich eine gute Idee ist, da herrschte Konsens.

Bruno Spicher ist Inhaber der Risk Agent GmbH und berät als Risikoexperte politische Verantwortungsträger bei Naturrisiken. Zudem ist er Vorstandsmitglied der Schadenorganisation Erdbeben (SOE) und war lange Jahre in führenden Positionen in der Assekuranz tätig.

Welche sind aus Ihrer Sicht die Vorteile einer Eventualverpflichtung?

Ein Vorteil ist, dass die Eventualverpflichtung eine flächendeckende Lösung ist, die alle Gebäude in der ganzen Schweiz mit einbezieht. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Lösung vergleichsweise günstig ist, weil nicht auf Vorrat Kapital angehäuft werden muss. Ein weiterer Punkt: Es ist eine solidarische Lösung für alle Gebäudeeigentümer und es werden keine Schulden für künftige Generationen angehäuft.

Dennoch gibt es viel Kritik, gerade aus der privaten Versicherungswirtschaft…

Die gibt es. Ich bin mit dem SVV einig, dass Erdbeben ein versicherbares Risiko ist. Aber nicht unbeschränkt und auch nicht in der Höhe, wie wir sie bei der Finanzierung der Schäden nach einem Erdbebenereignis benötigen. Die Versicherer müssen ihre Exponierung bei dem Risiko limitieren, wie es grosse Versicherer mit ihren Produkten bereits heute praktizieren. Sie bieten pro Ereignis nur eine Deckung von 1 bis 2 Milliarden.

Wenn wir die Kapazitäten bündeln, dann haben wir ein sehr gutes Finanzierungskonzept.

Bruno Spicher

Ich bin der Meinung, dass die Interessen der Versicherungswirtschaft gut mit der Eventualverpflichtung zusammenpassen. Die Eventualverpflichtung stellt die Finanzierung der Gebäudeschäden sicher, die Privatassekuranz bietet ihre Produkte zur Finanzierung von Schäden an der Fahrhabe oder von Vermögensschäden wie Ertragseinbussen bei Unternehmen oder Mietzinsausfälle an. Wenn wir die Kapazitäten bündeln, dann haben wir ein sehr gutes Finanzierungskonzept. Aus meiner Sicht stehen die Interessen also nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sind komplementär. Je schneller die Volkswirtschaft ein Erdbebenereignis - das sicher kommen wird - bewältigt, desto besser geht es der Wirtschaft und damit auch der Versicherungswirtschaft hinterher.

Die Gebäudepreise in der Schweiz sind hoch - da können auch 0,7 Prozent, die bei einem Ereignis anfallen, die Eigentümer schwer belasten…

Das ist temporär natürlich eine hohe Belastung, aber über die Zeit gesehen ist es immer noch viel viel günstiger, als wenn Eigentümer jedes Jahr eine Versicherungsprämie zahlen. Auf 50 Jahre gerechnet ist die Belastung dann nur etwa ein Drittel so hoch. Was man zudem bedenken sollte: Bei einem grossen Erdbeben werden vielleicht 5 Prozent der Gebäude beschädigt, die anderen nicht. Das heisst, alle anderen Eigentümer sind finanziell nicht betroffen. Und es ist immer noch besser, 0,7 Prozent zu bezahlen, als über gar keine Lösung zu verfügen.

Ist die Eventualverpflichtung nicht eher eine Zusatzsteuer?

Eine Zusatzsteuer im Falle eines Erdbebens, das kann man durchaus so sehen, wenn man will. Ich würde das als durch Umlage organisierte Finanzierungslösung, welche nur bei Bedarf aktiviert wird, bezeichnen. Wenn wir die Risiken nicht in dieser Art und Weise finanzieren würden, dann wären die Zusatzsteuern noch wesentlich höher, weil dann die öffentliche Hand die Schäden zahlen muss. Dann würden über die Steuern zudem auch die Mieter für die Wiederherstellung der Gebäude zur Kasse gebeten. Das finde ich unsolidarisch.

Könnten die Risiken nicht auch auf die internationalen Finanzmärkte Kapitalmärkte transferiert werden?

Das wäre eine Möglichkeit, aber dann würden wir aufgrund der gestiegenen und weiter steigenden Rückversicherungsprämien wahrscheinlich das Vier- bis Fünffache der heutigen Prämien sehen.

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Die Eventualverpflichtung bedingt eine Verfassungsänderung und müsste somit vom Stimmvolk entschieden werden. Hat das Vorhaben an der Wahlurne überhaupt eine Chance?

Ich denke ja. Das Vorhaben hat eine gute Chance, weil Corona gezeigt hat, dass unser Risikomanagement ungenügend war und wir uns auf solche grossen Ereignisse vorbereiten müssen - und Erdbeben hat sogar ein noch höheres Risikopotenzial als eine Pandemie. Wir müssen der Bevölkerung aufzeigen, dass eine gute Vorbereitung hilft, damit wir solche Katastrophen schneller bewältigen können. Es muss klar sein, wer im Schadenfall für was zuständig ist. Die öffentliche Hand sollte sich bei einem Erdbeben auf die Wiederherstellung der Infrastruktur und Versorgung der Bevölkerung konzentrieren und sich nicht mit dem Wiederaufbau und der Schadenbewertung von privaten Gebäuden auseinandersetzen müssen.

Eine angemessene Vorbereitung auch für die Finanzierung von allfälligen Schäden gehört zu einem vorausschauenden Risikomanagement. Die Eventualverpflichtung ist angemessen, da sie günstig ist, auf Solidarität zwischen den Gebäudeeigentümern beruht und keine Schulden für nachfolgende Generationen anhäuft. Das sind aus meiner Sicht schlagkräftige Argumente.